„Juristen halten Impfpflicht für vereinbar mit Grundgesetz“
Der obige Artikel wurde mir heute früh von einem Online-Nachrichtenportal in meine Timeline gespült. Was ist davon zu halten?
1. Zunächst einmal ist die Überschrift meines Erachtens irreführend. Sie erweckt den Eindruck, dass „die Juristen“, also alle Juristen eine Impfpflicht für verfassungsgemäß halten. Das ist aber sicherlich nicht der Fall. Vielmehr halten „manche“ Juristen eine Impfpflicht für richtig.
Andere Juristen sehen das sicher anders. Unter den Juristen gibt es Konservative, Liberale, Linke, Querdenker – und wenn man lange genug sucht, wahrscheinlich sogar Satanisten oder sonstige Verirrte. Der Umstand also, dass ein Jurist eine bestimmte Meinung vertritt, heißt noch gar nichts. Schon gar nicht, dass die Meinung juristisch haltbar ist.
2. Nun werden für die oben zitierte These aber durchaus auch „namhafte“ Juristen zitiert, sogar Verfassungsrechtler und ehemalige Richter. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten. Der Umstand, dass jemand früher einmal als Richter neutrale, „objektive“ Urteile gefällt hat, heißt nicht, dass er jetzt, als pensionierter Richter und aktiver Anwalt, nach wie vor neutrale, gut überlegte Ansichten vertritt.
Anwälte sind in aller Regel Parteivertreter, d.h. sie unterstützen die Auffassung des von ihnen vertretenen Mandanten beziehungsweise der Interessengruppe, die sie – häufig gegen Entgelt - um eine entsprechende Stellungnahme gebeten hat. Solche Stellungnahmen sind daher mit Vorsicht zu genießen.
6. Fazit
Es ist schon interessant, wie Corona uns jetzt auf einmal alle zu Verfassungsrechtlern macht, obwohl wir in unserem Anwaltsalltag mit Verfassungsrecht eigentlich eher selten zu tun haben. Unsere „Spezialgebiete“ sind BGB, HGB, ZPO oder meinetwegen auch die Arbeitsgesetze oder das UWG, aber eher nicht das Grundgesetz. Trotzdem haben wir zu Impfpflicht und Corona alle irgendwie unsere (Rechts-)Meinung, und das ist ja auch gut so.
Also meine Meinung ist: Eine allgemeine Impfpflicht ist nicht verfassungsgemäß. Stattdessen müssen wir, wie in anderen Fällen von Grundrechtskollisionen auch, sachgerechte, ausgewogene und stärker am Einzelfall oder zumindest an Fallgruppen orientierte Lösungen finden. Dabei darf grundsätzlich jeder laut nachdenken und seine Meinung zur Diskussion stellen. Eine einheitliche Auffassung unter Juristen gibt es sicherlich nicht.