25.03.20 12:39
Interview mit Rechtsexpertin
Coronavirus: „Risikogruppen haben nichts davon, wenn alle ‚weggesperrt‘ werden“
von Katja Thorwarth
Die Bewegungsfreiheit ist aufgrund der Coronakrise massiv eingeschränkt. Sind die Einschnitte notwendig bzw. rechtens? Die Juristin Jessica Hamed im Interview.
Jessica Hamed studierte Rechtswissenschaft in Mainz und Buenos Aires (Argentinien). Seit 2016 ist sie als Rechtsanwältin zugelassen und im Februar 2020 wurde ihr der Titel Fachanwältin für Strafrecht verliehen. Als Strafrechtlerin ist sie ständig mit Fragen des Verfassungsrechts befasst und hat in diesem Zusammenhang jüngst zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht gewonnen. Sie ist zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz tätig.
Die Coronakrise hat die Bewegungsfreiheit der Bürger*innen massiv eingeschränkt. Wie ordnen Sie das rechtlich ein?
Eingegriffen wurde in nahezu alle Freiheitsgrundrechte. Die körperliche Bewegungsfreiheit ist, je nach Bundesland/Gemeinde/Landkreis, zwar unterschiedlich intensiv betroffen. Allerdings wurde generell die Freizügigkeit und die allgemeine Handlungsfreiheit massiv eingeschränkt.
Vielen Menschen wird durch die Schließung von Geschäften die Ausübung ihres Berufs untersagt, sodass dort in den Kernbereich der Berufsfreiheit und gegebenenfalls in die Eigentumsfreiheit eingegriffen wurde. Die Versammlungsfreiheit – eines der wichtigsten Grundrechte in einem Rechtsstaat – ist faktisch aufgehoben. Die Glaubensfreiheit ist durch die Schließung religiöser Begegnungsstätten massiv eingeschränkt. Auch in die Unverletzlichkeit der Wohnung wird eingegriffen, wenn der Staat, wie angekündigt, Kontaktverstöße in Wohnungen verfolgen will. Mit anderen Worten, es ist kaum ein Grundrecht nicht massiv in seinem Kernbereich betroffen.
Kontaktsperre während Coronavirus-Pandemie: Einmalig in der bundesdeutschen Geschichte
Wie bewerten Sie das?
So etwas gab es noch nie in der bundesdeutschen Geschichte. Es wirft die Frage auf, ob es gerechtfertigt sein kann, Millionen Menschen, denen wohl kein schwerer Krankheitsverlauf droht, von anderen Menschen, bei denen ebenfalls nicht mit einem solchen zu rechnen ist, fernzuhalten.
Was ist der Unterschied zwischen der Ausgangseinschränkung und der Kontaktsperre? Wie würde die Ausgangssperre aussehen?
Bei einer Ausgangsbeschränkung muss jedes Verlassen der Wohnung gerechtfertigt werden, das heißt, gegenüber den Behörden ist ein „triftiger Grund“ glaubhaft zu machen. Zum Beispiel würde man sein Anliegen, joggen gehen zu wollen, durch Trainingskleidung glaubhaft machen können. Bei einer
Kontaktsperre ist es indes grundsätzlich gestattet, sich (alleine) frei zu bewegen, eine Rechtfertigung darf von den Behörden nicht verlangt werden.
Bei einer echten Ausgangssperre dürfte das Haus/die Wohnung gar nicht mehr verlassen werden. Aber auch die teilweise bestehenden Ausgangsbeschränkungen könnten noch intensiviert werden, in dem die Ausnahmetatbestände reduziert werden.
Vieles ist schwammig formuliert. Mit Leuten aus meinem Haushalt gilt keine Abstandsregel. Was ist mit meiner Familie, die nicht mit mir zusammen wohnt?
Von den Abstandsregeln ausgenommen sind diejenigen, die zusammen in einem Haushalt leben. Sei es als Familie, sei es als Wohngemeinschaft. Hintergrund ist der, dass diese Menschen alleine aufgrund ihrer Wohnsituation einen engen Kontakt haben und sich ohnehin gegenseitig anstecken würden. Das bedeutet aber auch, dass die Personen einer Familie, die nicht in einem Hausstand leben, wie fremde Menschen behandelt werden. Gewünscht ist natürlich, dass sich die Menschen auch nicht im privaten Raum näher kommen. Vielleicht eine Frage der Zeit, bis auch das kontrollieren wird…