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ACE2 als Bodyguard
Die durch das Virus geschwächte Aktivität von ACE2 steht also womöglich am
Beginn einer Kaskade, die Gefäße und Organe in lebensgefährlicher Weise angreift, vor allem wenn sie vorgeschädigt sind. Da kann man auf die Idee kommen, die Enzymaktivität von ACE2 irgendwie wieder hochzufahren. Tatsächlich legen Penninger und seine Kollegen genau diesen Behandlungsansatz in ihrem Artikel in »Cell« nahe. Sie berichten, dass
künstlich hergestelltes ACE2 die Infektion der gezüchteten Blutgefäße erfolgreich hemmen konnte. In Zellkultur vermochte die lösliche Form des Rezeptors namens hrsACE2 die Viruslast sogar um das 1000- bis 5000-Fache zu reduzieren.
Kann ACE2 also zugleich Türöffner für das Virus sein und als Bodyguard eingesetzt werden?
Ganz neu ist die Idee nicht. Tatsächlich arbeitet Penninger seit mehr als 15 Jahren an einem löslichen ACE2-Ersatz als Medikament. Schon im Jahr 2005 hatte seine Gruppe gezeigt,
dass ein solcher Wirkstoff bei Mäusen mit akutem Atemwegssyndrom (ARDS) Lungenversagen verhindern kann. Im Jahr 2010 folgte der
Nachweis der Wirksamkeit in Ferkeln. Auch an Menschen mit akutem ARDS wurde hrsACE2 in zwei Studien der Phase II getestet. Eine davon aus dem Jahr 2017 zeigte, dass eine Infusion von hrsACE2 keine negativen Auswirkungen auf die Sauerstoffversorgung oder die klinische Prognose hat. Außerdem reduzierte die Behandlung messbar die Konzentration von Angiotensin II und Interleukin-6 im Blut, einem wichtigen entzündungsfördernden Zellbotenstoff.
Da bietet sich ein
Test bei Covid-19 geradezu an. Tatsächlich läuft aktuell eine erste Studie an 24 schwer erkrankten Covid-19-Patienten in China. Und nun beginnt eine Phase-II-Studie in Österreich, Deutschland und Dänemark, die die Sicherheit des Ansatzes prüfen soll. Insgesamt sollen 200 Covid-19-Erkrankte in der randomisierten Doppelblindstudie mit hrsACE2 behandelt werden. Dabei könnte der Wirkstoff eine doppelte Wirkung entfalten: als Rezeptor, der Viruspartikel aus der Blutbahn fischt, und als Enzym, das Angiotensin II deaktiviert.
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Die pathologischen Erkenntnisse lieferten jedoch noch andere Ideen für die Behandlung von Covid-19-Patienten, sagt Tzankov. »Wir sollten
versuchen, die Funktion von Endothelzellen medikamentös zu verbessern.« Leider gebe es dafür keinen spezifischen Wirkstoff. In Frage kämen aber Kandidaten wie Statine oder Stickstoff-Monoxid-Liberatoren wie Arginin. Zudem brauche es Substanzen, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern.
»Bei uns und in anderen intensivmedizinischen Einrichtungen wird dazu bereits Blutplasma eingesetzt«, sagt Tzankov. Das enthalte alles, was man für die Kontrolle der Blutgerinnung brauche. Hinter solchen neuen Ansätzen stehen die pathologischen Erkenntnisse, mit denen Fachleute die Mechanismen der schweren Verläufe besonders bei sehr alten Menschen erklären. Für Tzankov zeigen sie allerdings auch: »Ohne Covid hätten die meisten der Patienten, die ich untersucht habe, noch Wochen, Monate oder sogar Jahre gelebt.«