Liebe Kayen,
ganz lieben Dank für Goethes Gedicht. Ich bin zwar eher ein Schiller-, als ein Goethe-Fan, aber ich anerkenne, dass er vieles gesehen hat und freue mich echt darüber. Kennst Du " das Märchen" von ihm? Das ist auch sehr schön.
Ein Ausschnitt:
.....
"Drei sind die da herrschen auf Erden: die Weisheit, der Schein und die Gewalt. Bei dem ersten Worte stand der goldne König auf, bei dem zweiten der silberne und bei dem dritten hatte sich der eherne langsam emporgehoben, als der zusammengesetzte König sich plötzlich ungeschickt niedersetzte."
Der Alte führte nun den immer nach starr und geistentleert blickenden Jüngling der Reihe nach zu den drei Königen. Der eherne König gab dem Jüngling sein Schwert und sagte mit mächtiger Stimme: "Das Schwert an der Linken, die Rechte frei!" Der silberne König überreichte ihm sein Zepter und sprach in gefälligem Ton: "Weide die Schafe!" Der goldene König drückte ihm schließlich seinen Eichenkranz aufs Haupt und sprach: "Erkenne das Höchste!" Da erwachte der Jüngling und sein Auge glänzte von unaussprechlichem Geist, und das erste Wort seines Mundes war "Lilie" und sprach dann weiter zu dem Alten:
"Herrlich und sicher ist das Reich unserer Väter, aber du hast die vierte Kraft vergessen, die noch füher, allgemeiner, gewisser die Welt beherrscht, die Kraft der Liebe."
Hierauf fiel er dem schönen Mädchen um den Hals; sie hatte den Schleier weggeworfen und ihre Wangen färbten sich mit der schönsten unvergänglichen Röte. Der Alte aber sagte lächelnd: Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr."
Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie
Ich bewundere, dass Du so viele Bücher zu diesem Thema gelesen hast. Ich bringe dafür wohl nicht die nötige Disziplin auf. Ein bißchen sitzt auch die Angst dahinter, indoktriniert zu werden, zum einen, zum anderen, will ich meine eigenen Bezüge, meine Gedanken nicht verlieren. Es ist fast, als wenn ich nicht wollte, dass sie schon jemand anders gedacht hat, komisch, ich weiß nicht warum das so ist.
Ich habe wohl auch nicht so ein ausgeprägtes EGO (ich mag das Wort ja immer noch nicht

), wobei ich schlicht das Gefühl hatte, ich komme einfach nicht mit den Füßen auf die Erde, ich komme nicht an in der Welt. Deshalb vielleicht die unbewußte Angst, das bißchen EGO auch noch zu verlieren, denn mit dem Urvertrauen hapert es natürlich bei mir auch.
Ist es bei Dir auch so ein Gefühl, nicht auf dem Boden zu sein? Nicht angekommen zu sein?
Ich bin froh, dass ich hier mal die Möglichkeit habe, darüber zu "reden", denn in meinem realen Leben habe ich kaum jemand, mit dem ich mich mal austauschen kann. Der einzige Mensch, wo es vielleicht im realen Leben möglich gewesen wäre ist mir wegen "emotionaler Verhedderungen abhanden gekommen"

))
Und wie man unschwer aus dieser Äußerung erkennen kann, handelte es sich um einen Mann. Mit weisssnicht habe ich auch so meine Probleme, ich mag diese Abgehobenheit und Strenge nicht. Deswegen war ich überglücklich, endlich mal einen weiblichen "Guru" gefunden zu haben, in Amma (siehe Glücksthread). Vielleicht sind Männer einfach anders und man muss als Frau einen anderen weiblichen spirituellen Weg gehen. Ich weiß es aber auch nicht.
Ich möchte garnicht vollkommen sein. Hinzu kommt, dass ich sowieso eher ein bißchen oberflächlich bin und gerne genieße. Diese Zen-Strenge ist nichts für mich. Das einzige, was mir einleuchtet, ist diese blitzartige Erkennen, das kenne ich wohl auch.
Am ehesten habe ich mich immer in der Schrift "Ich und Du" von Martin Buber wiedergefunden, obwohl ich die Sprache sehr kompliziert teilweise finde. Aber dieses Unmittelbar sein, was in dem Moment vorbei ist, wenn ich darüber nachdenke und dieses urplötzliche Erkennen, beides sagt mir was.
Bei Buber gefällt mir, das er sagt, es ist eine Gnade, aber sie ist nur möglich, indem ich mich hinwende. Wenn ich das nicht tue, und ich würde das mit Aufmerksamkeit oder auch Achtsamkeit oder Gewahrsein übersetzen, dann ist die Chance des Erlebnisses (des "no-mind-seins) geringer oder besteht gar nicht.
Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie; und das Gedächtnis selber verwandelt sich, da es aus der Einzelung in die Ganzheit stürzt. Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selber verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt. (...)
Gegenwart (...) gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, daß das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart. (...) Insofern sich der Mensch an den Dingen genügen läßt, die er erfährt und gebraucht, lebt er in der Vergangenheit, und sein Augenblick ist ohne Präsenz. Er hat nichts als Gegenstände; Gegenstände aber bestehen im Gewesensein. (...)
Wesenheiten werden in der Gegenwart gelebt, Gegenständlichkeiten in der Vergangenheit. (...)
Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, aber sie machen sie nicht aus; und die Gefühle, die es begleiten, können sehr verschiedener Art sein. Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden »gehabt«; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen, aber der Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum »Inhalt«, zum Gegenstand hätte, sie ist zwischen Ich und Du.
Martin Buber: Ich und Du
Den Bezug dazu habe ich mal bekommen durch einen sehr lieben Lehrer. Ohne ihn wüßte ich rein garnichts.
Was mir auch gut an ihm gefiel, war der Bezug zur Wirklichkeit, den er nach einer Phase "mystischer Verzückung" wieder aufgenommen hat, ausgelöst durch das, was er "Ver-gegnung" nannte, im Gegensatz zu "Begegnung" .
So "vergegnete" er einem Menschen, der in seiner Not zu ihm gekommen war, auf tragische Weise. Dazu aus dem Absatz mit dem Titel "Eine Bekehrung" aus Bubers "Autobiographischen Fragmenten": "Es ereignete sich ..., daß ich einmal, an einem Vormittag nach einem Morgen 'religiöser Begeisterung', den Besuch eines unbekannten jungen Menschen empfing, ohne mit der Seele dabei zu sein. Ich ließ es durchaus nicht an einem freundlichen Entgegenkommen fehlen, ich behandelte ihn nicht nachlässiger als alle seine Altersgenossen, die mich um diese Tageszeit wie ein Orakel, das mit sich reden läßt, aufzusuchen pflegten, ich unterhielt mich mit ihm aufmerksam und freimütig - und unterließ nur, die Fragen zu erraten, die er nicht stellte. Diese Fragen habe ich später, nicht lange darauf, von einem seiner Freunde - er selber lebte schon nicht mehr (er fiel zu Anfang des ersten Weltkrieges) - ihrem wesentlichen Gehalt nach erfahren, erfahren, daß er nicht beiläufig, sondern schicksalhaft zu mir gekommen war, nicht um Plauderei, sondern um Entscheidung, gerade zu mir, gerade in dieser Stunde. Was erwarten wir, wenn wir verzweifeln und doch noch zu einem Menschen gehen? Wohl eine Gegenwärtigkeit, durch die uns gesagt wird, daß es ihn dennoch gibt, den Sinn. Seither habe ich jenes 'Religiöse', das nichts als Ausnahme ist, Herausnahme, Heraustritt, Ekstasis, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag, aus dem ich nie herausgenommen werde. ... Ich kenne keine Fülle mehr als die jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung" (Buber 1963, 22).
Gestalttherapie: Die Politik des Ich-Du. Der Anarchist Martin Buber (Erhard Doubrawa)
Angesprochen hatten mich aber zuerst die Erzählungen über seine Kindheit, diese (unmittelbaren) "Ich-Du"-Erlebnisse im Gegensatz zu "Ich-Es"-Erlebnissen, wo alles zu materiellen Dingen und Objekten wird.
Aber diese Erlebnisse, ganz in der Verbundenheit zu sein, kennt die nicht jeder als Kind, dass man sich ganz und gar verlieren kann?
Lieben Gruß

LieberTee