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Wie bereits bekannt, dockt das neuartige Coronavirus an die Zelle mit dem Spike-Protein an – dessen Teilchen als kronenartige Gebilde auf der Oberfläche zu erkennen sind. Eintrittspforten in die Zellen bilden die sogenannten ACE2-Rezeptoren. Die infizierten Zellen senden daraufhin einen „Hilferuf“ an das Immunsystem. Immunzellen kommen herbei, die die befallenen Zellen gezielt abtöten und das Virus neutralisieren. Die Immunzellen schütten bestimmte Botenstoffe aus, die die Abwehr aktivieren sollen. Fatalerweise trägt bei Covid-19 ausgerechnet einer dieser Immunbotenstoffe dazu bei, dass die Gewebezellen verwundbarer für die Infektion werden. Der Botenstoff Gamma-Interferon sorgt nämlich dafür, dass die Zellen mehr ACE2 bilden, also mehr Eintrittspforten für Sars-CoV-2 entstehen.
„Im Fall von Covid-19 hilft das Immunsystem so dem Virus, weitere Zellen zu infizieren, und verstärkt somit die Erkrankung“, sagt Irina Lehmann, Professorin und Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Epidemiologie am BIH. Außerdem beobachteten die Forscher, dass vor allem bei schwer Erkrankten die Immunzellen mit einer überschießenden Entzündung reagieren. In diesen Fällen werde die Immunantwort leider nicht abgedämpft, wenn die primäre Infektion erfolgreich bekämpft sei, sagt Roland Eils. Die Immunzellen seien weiter aktiv und fingen an, auch gesunde, nicht infizierte Zellen anzugreifen. In der Lunge der Patienten würden viele Gewebezellen in den Zelltod getrieben. Aus der Überreaktion des Immunsystems lässt sich erklären, warum sich der Zustand einiger Patienten nach etwa einer Woche abrupt zum schlechteren wendet, sodass sie oft sogar beatmet werden müssen.
Oft wird von „Zytokinsturm“ gesprochen, wenn es um eine überschießende Immunantwort geht. Zytokine – das ist der Oberbegriff für die bereits erwähnten Botenstoffe der Immunzellen. Zu ihnen gehören neben den Interferonen – wie in der BIH-Studie beschrieben – auch Interleukine und andere Signalproteine. Bereits vor Wochen hatten US-Forscher im Wissenschaftsjournal Science beschrieben, dass sich Zytokine im Körper mancher Covid-19-Kranker an ein bestimmtes Molekül – eine Art Generalschlüssel – anlagerten, das an nahezu allen Zellen andocken könne. Auf diese Weise entstehe ein „systemischer Zytokinsturm“, so ein Forscher. ...