Gesamt-IgE
Allgemeines
Antikörper der Immunglobulinklasse E (IgE) kommen im Serum im Vergleich zu den anderen Immunglobulinklassen in wesentlich geringerer Konzentration vor. Sie besitzen die Fähigkeit, über die Bindung an selektive hoch- oder niedrigaffine zelluläre Rezeptoren spezifische Reaktionen des Immunsystems auszulösen [64] (Abb. 1). Sie unterscheiden sich strukturell von IgG-Antikörpern durch eine zusätzliche sog. CH-Region auf der konstanten Region der schweren Kette. Die IgE-Antikörper sind klinisch vor allem bedeutsam bei parasitären Erkrankungen, bei allergischen Erkrankungen vom Soforttyp und bei seltenen Systemerkrankungen.
Indikationen
Die Bestimmung von Gesamt-IgE ist indiziert:
- im Zusammenhang mit der Bestimmung von spezifischem IgE:
- als Hinweis für das Vorliegen einer atopischen Disposition in Verbindung mit dem spezifischen IgE,
- als Interpretationshilfe für die Beurteilung der spezifischen IgE-Titer.
- in besonderen Fällen zur ergänzenden Diagnostik von Erkrankungen, die mit Atopie assoziiert sein können:
- Urtikaria, Quincke-Ödem, eosinophile Gastroenteritis, unklare Exantheme, Verdacht auf Arzneimittel-Allergien.
- bei weiteren Erkrankungen im Rahmen der Differenzialdiagnostik:
- bei eosinophilen Lungeninfiltraten, allergischer Alveolitis (z. B. bei Farmerlunge oder Taubenzüchterkrankheit) oder Vaskulitiden wie der Wegenerschen Granulomatose und dem Churg-Strauss-Syndrom.
- zur Diagnostik und Therapiekontrolle:
bei Parasitosen, besonders bei unklarer Bluteosinophilie und negativem Parasitenbefund, z. B. Filariose, Trichinose, Toxocariasis, Capillaria philippensis, tropische Eosinophilie.
- im Rahmen der Diagnostik angeborener oder erworbener Immundefekte:
T-Zell-Defekte oder Hyper-IgE-Syndrom.
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Je nach verwendeter Methode und epidemiologischer Datenbasis können die Normalwerte etwas höher oder niedriger ausfallen [30]. Im Alter von sechs bis 14 Jahren ist die Streuung der Normalwerte am höchsten [62]. Die Gesamt-IgE-Werte werden auch durch Nikotin- oder Alkoholgenuss beeinflusst.
Bewertung
Erhöhtes Gesamt-IgE im Rahmen der Atopiediagnostik:
Die höchsten IgE-Werte finden sich bei der atopischen Dermatitis. Konzentrationen von mehr als 10.000 U/ml können erreicht werden. Bei sehr hohen Werten (> 20.000 U/ml) muss differenzialdiagnostisch ein zellulärer Immundefekt ausgeschlossen werden [44]. Hohes Gesamt-IgE gepaart mit stark vermehrter Eosinophilenzahl muss an eine Parasitose denken lassen [56]. Höhere Gesamt-IgE-Werte finden sich darüber hinaus während der Zeit der Allergen-Exposition.
Generell ist die Bestimmung des Gesamt-IgE zum Atopie-Screening weniger gut geeignet als das spezifische IgE gegen häufige Umweltallergene (Sammeltestung, keine Einzeltestung). Ein hohes Gesamt-IgE ist für das Vorliegen einer Atopie nicht beweisend, andererseits schließt ein normales Gesamt-IgE eine atopische Erkrankung nicht aus[17].
Atopiediagnostik im Nabelschnurblut: Ein Wert kann nur beurteilt werden, wenn sichergestellt ist, dass das Nabelschnurblut nicht mit mütterlichem Blut kontaminiert wurde. Eine Erhöhung des Nabelschnur-IgE > 0,9 U/ml kann als prädiktiver Parameter für ein Atopierisiko angesehen werden [7]. Hingegen schließen Werte < 0,9 U/ml die Atopieentwicklung nicht aus. Aus diesem Grund ist ein breites Nabelschnur-IgE-Screening nicht zu empfehlen. Diese Bestimmung sollte einer Risikopopulation, z. B. positive Atopie-Anamnese in der Familie, vorbehalten bleiben.
Immundefekte: Eine Vielzahl von angeborenen Immundefekten, insbesondere des zellulären Immunsystems, kann mit einer Erhöhung des Gesamt-IgE einhergehen [67]. Im Rahmen der Immundefektdiagnostik ist die Bestimmung des Gesamt-IgE Teil des Screenings für das humorale Immunsystem, zusammen mit den übrigen Immunglobulinklassen und -subklassen.
Infektionskrankheiten: Im Rahmen der HIV-Infektion entwickelt sich insbesondere im Spätstadium bei ausgeprägter Depletion der CD4+-Zellen ein atopieähnliches Syndrom, welches mit zum Teil exzessiver IgE-Erhöhung einhergeht [47].
Nach bestimmten Infektionskrankheiten wie Mykoplasmen-Infektionen, Pertussis und Masern sowie RSV-Bronchiolitis sind Gesamt-IgE-Erhöhungen beobachtet worden.
Weitere Erkrankungen: Erhöhungen des Gesamt-IgE finden sich auch bei folgenden Erkrankungen:
- bestimmte Autoimmunerkrankungen,
- Churg-Strauss-Syndrom,
- einige maligne Erkrankungen und Lymphome.
Das Gesamt-IgE dient im Zusammenhang mit der Bestimmung des spezifischen IgE als zusätzlicher Parameter zur Beurteilung für die spezifischen IgE-Titer, es kann jedoch eine spezifische Sensibilisierung nie ausschließen oder nachweisen. Zum „Atopie-Screening“ ist das Gesamt-IgE nur eingeschränkt geeignet.
Außerhalb der Allergologie besitzt das Gesamt-IgE vor allem eine Bedeutung bei der Diagnostik von Parasitosen und Immundefekten.
Spezifisches IgE (sIgE)
Allgemeines
sIgE beschreibt diejenige Fraktion der gesamtenIgE-Antikörper im Serum, deren Spezifität gegenüber bestimmten Allergenen mithilfe von In-vitro- Testverfahren bestimmt werden kann. Der Nachweis von sIgE bedeutet, dass eine spezifische Sensibilisierung gegenüber entsprechenden Allergenen vorliegt (Abb. 1). Es muss anschließend überprüft werden, ob die gefundene Sensibilisierung von klinischer Relevanz ist. Das sIgE ist damit nur ein Parameter in der klassischen allergologischen Stufendiagnostik: Anamnese – Hauttestung – Laboruntersuchung – Provokation.
Die Qualität (z. B. Epitopmuster, Reinheitsgrad) der verwendeten Allergene spielt für die Bestimmung des sIgE eine zentrale Rolle......