Verschiedene Gedichte

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Bodo

Sehr schön, Flower. Etwas Schönes noch zum Thema (Mit)Menschlichkeit und Emphatie und Demut.
Hier "singt" Hanns Dieter Hüsch ein kleines Gedicht.


Ich sing für die Verrückten
Die seitlich Umgeknickten
Die eines Tages nach vorne fallen
Und unbemerkt von allen

An ihrem Tisch in Küchen sitzen
Und keiner Weltanschauung nützen
Die tagelang durch Städte streifen
Und die Geschichte nicht begreifen

Die sich vom Kirchturm stürzen
Die Welt noch mit Gelächter würzen
Und für den Tod beizeiten
Sich selbst die Glocken läuten

Die an den Imbißtheken hängen
Sich weder vor- noch rückwärts drängen
Und still die Tagessuppe essen
Dann alles wieder schnell vergessen

Die mit den Zügen sich beeilen
Um nirgendwo zu lang zu weilen
Die jeden Abschied aus der Nähe kennen
Weil sie das Leben Abschied nennen

Die auf den Schiffen sich verdingen
Und mit den Kindern Lieder singen
Die suchen und die niemals finden
Und nachts vom Erdboden verschwinden

Die Wärter stehen schon bereit mit Jacken
Um werkgerecht die Irrenden zu packen
Die freundlich auf den Dächern springen
Für diese Leute will ich singen

Die in den großen Wüsten sterben
Den Schädel schon in tausend Scherben
Der Sand verwischt bald alle Spuren
Das Nichts läuft schon auf vollen Touren

Die sich durchs rohe Dickicht schieben
Vom Wahnsinn wund und krank gerieben
Die durch den Urwald aller Seelen blicken
Den ganzen Schwindel auf dem Rücken

Ich sing für die Verrückten
die seitlich Umgeknickten
die eines Tages nach vorne fallen
Und unbemerkt von allen

Sich aus der Schöpfung schleichen
Weil Trost und Kraft nicht reichen
Und einfach die Geschichte überspringen
Für diese Leute will ich singen

1969
 
Gedichte

Liebe Anne.​
So weit ich weiß, ist der Text nicht musikalisch umgesetzt worden. Hüsch hat mir schon oft eine Gänsehaut beschert. Er kann auch ganz komisch und grotesk sein - aber nie bösartig. Da Du dem Lachen ebenfalls nicht abgeneigt bist (Dein Schmunzeln macht mich fertig - gibt's das auf CD?) hier was "Erheiterndes" . . .



Robert Gernhardt

Der Abschiedsbrief des Weltumseglers Heinrich Heimaz an seine Nebenfrau

Liebe Erna, mach es gut,
im Kühlschrank liegt ein alter Hut,
den kannst du dir vielleicht kochen,
das reicht für ein paar Wochen.
Daneben steht noch etwas Eis,
das mach dir auf dem Ofen heiß,
würz es mit frischem Majoran,
tu zwei, drei Pfund Gemüse dran,
schmeck es mit Chili-Soße ab
und gieß es dann auf Puschls Grab.
Iß bitte auch vom Vollkornbrot
und mach den letzten Käse tot.
Zuguterletzt ein kleiner Trost,
in der Wanne hat's noch Most,
ich aber bin jetzt lieber still,
weil ich die Welt umsegeln will.
In Liebe, Dein Weltumsegler Heinrich
Heimaz


Gerade in Bezug auf die Damenwelt war Gernhardt mit allen Wassern gewaschen . . .

Wunsch und Wirklichkeit

Man müßte doch, man sollte mal,
zum Beispiel durch den Sitzungssaal,
ganz pudelnackt, wie Gott uns schuf,
hindurchzieh'n und dann mit dem Ruf
Jetzt ist's uns gleich! Jetzt ist's egal!
Man sollte doch, man müßte mal . . .

Man sollte mal, man müßte jetzt,
ist erst das Schamgefühl verletzt,
dann könnt' man doch, ich mein', es wär'
schön, wenn man schriee Weiber her!
sonst sind wir unglaublich vergrätzt!
Man müßte mal, man sollte jetzt . . .

Man müßte doch, man sollte gleich,
und, wenn sie dann so pfirsichweich,
so ganz erwartend vor uns steh'n,
dann brüll'n Laßt ihr euch wieder geh'n?
Tut Buße! Dirnen! Auf die Knie!
Man müßte mal - und tut's doch nie . . .​

In diesem Sinne - liebe Grüße - Bodo​
 
Gedichte

Hi Bodo, danke :) .

Tut Buße! Dirnen! Auf die Knie!

...und ich dachte immer, sich hinzulegen sei den Männern lieber...

Um vorangegangene Thematik noch einmal aufzugreifen - die Themen Leben, Überleben, Verlust und Tod sind nämlich sehr beliebte Themen in der Kunst. Ich liebe ja Heinz Ehrhardt über alles, der hat sich auch so manche Gedanken darum gemacht:

Die Made

Hinter eines Baumes Rinde
wohnt die Made mit dem Kinde.
Sie ist Witwe, denn der Gatte,
den sie hatte, fiel vom Blatte.
Diente so auf diese Weise
einer Ameise als Speise.

Eines Morgens sprach die Made:
"Liebes Kind, ich sehe grade,
drüben gibt es frischen Kohl,
den ich hol. So leb denn wohl !
Halt, noch eins ! Denk, was geschah,
geh nicht aus, denk an Papa !"
Also sprach sie und entwich.-
Made junior aber schlich
hinterdrein; und das war schlecht !
Denn schon kam ein bunter Specht
und verschlang die kleine
fade
Made
ohne Gnade.
Schade !

Hinter eines Baumes Rinde
ruft die Made nach dem Kinde...

Oje, wie traurig. Da frag'ich mich doch glatt, warum ich ausgerechnet ein Mensch geworden bin... So gern wäre ich auch mal eine Made, aber nur im Speck ;) . Na ja, wenn ich so weiter mache, dann klappt's bei der nächsten Reinkarnation bestimmt. Bin ganz zuversichtlich.
 
Gedichte

. . . Leben, Überleben, Verlust und Tod . . .

ANTEILNAHME

Erkundigen wir uns, meine Freunde;

jeder, jeder ist doch froh,

wenn man Anteil nimmt.

Ganz egal, ob er nun groß oder klein,

dick oder dünn, berühmt oder unbekannt ist.

Die meisten Menschen, wir alle, brauchen das.

Wir brauchen, das mal jemand kommt und nach uns fragt.

Nicht wahr?

Denn nach den meisten Menschen fragt doch kein Mensch.

Viele blühen doch richtig auf, wie ein Honigkuchenlipizzaner,

wenn man sie fragt, was sie denn so machen.

Wenn man sich für sie interessiert.

Und da können Sie mir sagen was sie wollen,

alle Menschen werden im Augenblick ganz andere Menschen,

wenn sie merken, da ist plötzlich jemand,

der oder die sich für das, was ich so mache, interessiert.

Plötzlich sieht der ganze Tag völlig anders aus,

viel heller, obwohl es regnet.

Weil man auf einmal von sich erzählen darf.

Und dann muss man einfach zuhören.

Das ist übrigens das Wichtigste.

Zuhören können, den anderen einfach mal alles erklären lassen.

Ich habe das regelrecht üben müssen, muss ich zugeben.

Man hört sich ja auch gern selbst reden. Besonders Künstler.

Aber jetzt ist mal der andere, der oder die andere dran.

Und der ist ganz überrascht, endlich hört ihm mal jemand zu.

Ich lasse mir oft von Leuten ihren Beruf haarklein erzählen,

obwohl ich gar nichts davon verstehe.

Aber der andere erzählt mir dabei sein ganzes Leben.

Und ich sehe, wie er immer leidenschaftlicher wird.

Vor einer halben Stunde war er noch apathisch und verbittert

und seine kleine Frau saß ganz klein und schüchtern neben ihm.

Und jetzt sind beide nicht mehr zu bremsen,

und sie erzählen und erlären und machen und tun,

bloß weil jemand mal gesagt hat:

Wie geht es Ihnen

und

Was machen Sie? Erzählen Sie doch mal!

Sie müssen das, meine Freunde, auch mal machen.

auch wenn sie nicht gleich sämtliche Völker der Welt erreichen.

Probieren Sie's mal aus.

Wenn Sie wieder demnächst, hie und da in Gesellschaft sind, oder egal wo

gehen Sie einfach mal auf den Stillsten und auf die Schüchternste zu,

fragen Sie, was beide so machen, dann lassen Sie sie erzählen.

Sire, geben sie den Menschen ihre Bedeutung zurück!

Heute hier, morgen zwischen Moskau und Smolensk

und übermorgen auf der ganzen Welt.

Beginnen wir, meine lieben, mit unserem Weg, nämlich bei uns selbst.

Vielleicht ein bißchen viel verlangt, so früh am Morgen,

aber heute abend ist es vielleicht schon zu spät.

Hanns Dieter Hüsch
 

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Gedichte

Ich sprach

Ich sprach nachts: Es werde Licht!
Aber heller wurd' es nicht.

Ich sprach: Wasser werde Wein!
Doch das Wasser ließ das sein.

Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehen!
Doch er blieb auf Krücken stehen.

Da ward auch dem Dümmsten klar,
daß ich nicht der Heiland war.

Robert Gernhardt
 
Gedichte

Abendwolken

Was so ein Dichter sinnt und treibt,
Sich Reim und Vers ins Büchlein schreibt,
Manch einem scheint es ohne Kern,
Doch Gott versteht's und duldet's gern.

Er selber, der die Welt ermißt
Zuzeiten auch ein Dichter ist,
Und wenn das Abendläuten ruft,
Greift er wie träumend in die Luft,
Baut sich zum Feierabendspiel
Zartgoldene Wölklein schön und viel,
Läßt sie an Bergesrändern säumen
Und rot im Abendglanz erschäumen.
Und manche, die ihm wohl gelang,
Die leitet er und hütet lang,
Daß sie, die fast aus nichts gemacht,
Am Himmel ruht und selig lacht.
Und die nur Tand und Reimwerk schien,
Wird nun ein Zauber und Magnet
Und zieht der Menschen Seelen hin
Zu Gott in Sehnsucht und Gebet.
Der Schöpfer lächelt und erwacht
Vom kurzen Traum, das Spiel verglüht,
Und aus der kühlen Ferne blüht
Herauf die friedevolle Nacht.
Nur daß aus Gottes reiner Hand,
Sei's auch im Spiel, jedwedes Bild
Vollkommen, schön und selig quillt,
Wie es kein Dichter je erfand.

Mag denn dein irdisch Lied bedeuten
Ein schnell vertönend Abendläuten,
Darüber hin, im Licht entbrannt,
Die Wolken wehn aus Gottes Hand.

(Hermann Hesse)

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Gedichte

Liebe Gemeinde. Wir bewegen uns rasant und unvermeidlich auf das große
Christenfest - die Weihnacht - zu. Was liegt da näher, diesen Umstand durch
ein besinnliches Gedicht des großen Viko von Bülow (Loriot) aufzuwerten.

Nun dann.
Schnallt Euch an.


ADVENT

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis hernierdersinken.
Auf Edeltännleins grünem Wipfel
häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.
Und dort vom Fenster her durchbricht
den dunklen Tann ein warmes Licht.
Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
die Försterin im Herrenzimmer.
In dieser wunderschönen Nacht
hat sie den Förster umgebracht.
Er war ihr bei des Heimes Pflege
seit langer Zeit schon sehr im Wege.
So kam sie mit sich überein:
am Niklasabend muss es sein.
Und als das Rehlein ging zur Ruh'
das Häslein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimm und Korn.
Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sternlein traulich funkeln.
Und in der guten Stube drinnen
da läuft des Försters Blut von hinnen.
nun muss die Försterin sich eilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.
Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
(was der Gemahl bisher vermied)-,
behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück
und packt zum Schluss, es geht auf vier,
die Reste in Geschenkpapier.
Da tönt's von fern wie Silberschellen,
im Dorfe hört man Hunde bellen.
Wer ist's, der in so tiefer Nacht
im Schnee noch seine Runde macht?
Knecht Ruprecht kommt mit goldnem Schlitten
auf einem Hirsch herangeritten!
"He, gute Frau, habt ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen?"
Des Försters Haus ist tief verschneit,
doch seine Frau steht schon bereit:
"Die sechs Pakete, heil'ger Mann,
's ist alles, was ich geben kann."
Die Silberschellen klingen leise,
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.
Im Försterhaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt - es ist Advent.
 
Gedichte

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin - bereit,
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

(Rainer Maria Rilke)

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Gedichte

Und das ist mein absoluter Lieblingsreim - der paßt sogar zu Weihnachten :

Ein Mensch erhofft sich fromm und still
Dass er einst das kriegt, was er will.
Bis er dann doch dem Wahn erliegt,
Und schließlich das will, was er kriegt.

Eugen Roth

:D
 
Gedichte

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Grusse der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sybillen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.

(Goethe)
 
Gedichte

Die zwei Parallelen

Es gingen zwei Parallelen
ins Endlose hinaus,
zwei kerzengerade Seelen
und aus solidem Haus.

Sie wollten sich nicht schneiden
bis an ihr seliges Grab:
Das war nun einmal der beiden
geheimer Stolz und Stab.

Doch als sie zehn Lichtjahre
gewandert neben sich hin,
da wards dem einsamen Paare
nicht irdisch mehr zu Sinn.

Warn sie noch Parallelen?
Sie wußtens selber nicht, -
sie flossen nur wie zwei Seelen
zusammen durch ewiges Licht.

Das ewige Licht durchdrang sie,
da wurden sie eins in ihm;
die Ewigkeit verschlang sie
als wie zwei Seraphim.

Christian Morgenstern​

herzlichst - Phil
 
Gedichte

WAS ES IST

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe​

Quelle: Erich Fried "Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte", Berlin 1996.

Eine schön gestaltete und empfehlenswerte Adresse: www.erichfried.de/was_es_ist.htm

herzlichst - Phil
 
Gedichte

Heinrich Heine I
(an meine Liebste, Bodo)

Zum Polterabend

Mit deinen großen, allwissenden Augen
Schaust du mich an, und du hast recht:
Wie konnten wir zusammen taugen,
Da du so gut, und ich so schlecht!

Ich bin so schlecht und bitterblütig,
Und Spottgeschenke bring ich dar
Dem Mädchen, das so lieb und gütig,
Und ach! sogar aufrichtig war.

O, du kanntest Koch und Küche,
Loch und Schliche, Tür und Tor!
Wo wir nur zusammen strebten,
Kamst du immer mir zuvor.

Jetzt heiratest du mein Mädchen
Teurer Freund, das wird zu toll -
Toller ist nur, daß ich dir
Dazu gratulieren soll!

"O, die Liebe macht uns selig,
O, die Liebe macht uns reich!"
Also singt man tausendkehlig
In dem heil'gen röm'schen Reich.

Du, du fühlst den Sinn der Lieder
Und sie klingen, teurer Freund,
Jubelnd dir im Herzen wieder,
Bis der große Tag erscheint:

Wo die Braut, mit roten Bäckchen,
Ihre Hand in deine legt,
Und der Vater mit dem Säckchen,
Dir den Segen überträgt.

Säckchen voll mit Geld, unzählig,
Linnen, Betten, Silberzeug -
O, die Liebe macht uns selig,
O, die Liebe macht uns reich!

Der weite Boden ist überzogen
Mit Blumendecken, der grüne Wald,
Er wölbt sich hoch zu Siegesbogen,
Gefiederte Einzugmusik erschallt.

Es kommt der schöne Lenz geritten,
Sein Auge sprüht, die Wange glüht!
Ihr solltet ihn zur Hochzeit bitten,
Denn gerne weilt er, wo die Liebe blüht.
 
Gedichte

Heinrich Heine II
(An meine Liebste, Bodo)

An Sie.

Die roten Blumen hier und auch die bleichen,
Die einst geblüht aus blut'tgen Herzenswunden,
Die hab' ich nun zum schmucken Strauß verbunden,
Und will ihn dir, du schöne Herrin, reichen.

Nimm huldreich hin die treuen Sangeskunden;
Ich kann ja nicht aus diesem Leben weichen,
Ohn' rückzulassen dir ein Liebeszeichen -
Gedenke mein, wenn ich den Tod gefunden!

Doch nie, o Herrin, sollst du mich beklagen;
Beneidenswert war selbst mein Schmerzenleben -
Denn liebend durft' ich dich im Herzen tragen.

Und größeres Heil noch soll mir bald geschehen:
Mit Geisterschutz darf ich dein Haupt umschweben
Und Friedensgrüße in Dein Herze wehen.
 
Gedichte

Heinrich Heine III
(An meine Liebste, Bodo)

Aus Die Heimkehr

In mein gar zu dunkles Leben
Strahlte einst ein süßes Bild;
Nun das süße Bild erblichen,
Bin ich gänzlich nachtumhüllt.

Wenn die Kinder sind im Dunklen,
Wird beklommen ihr Gemüt,
Und um ihre Angst zu bannen,
Singen sie ein lautes Lied.

Ich, ein tolles Kind, ich singe
Jetzo in der Dunkelheit;
Klingt das Lied auch nicht ergötzlich,
Hat's mich doch von Angst befreit.

Du bist wie eine Blume
So hold und schön und rein;
Ich schau' dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände
auf's Haupt dir legen sollt',
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.

Wenn ich auf dem Lager liege,
In Nacht und Kissen gehüllt,
So schwebt mir vor ein süßes,
Anmutig liebes Bild.

Wenn mir der stille Schlummer
Geschlossen die Augen kaum,
So schleicht das Bild sich leise
Hinein in meinen Traum.

Doch mit dem Traum des Morgens
Zerrinnt es nimmermehr;
Dann trag' ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher.


Mädchen mit dem roten Mündchen,
Mit den Äuglein süß und klar,
Du, mein liebes, kleines Mädchen,
Deiner denk' ich immerdar.

Lang ist heut der Winterabend,
Und ich möchte bei dir sein,
Bei dir sitzen, mit dir schwatzen,
Im vertrauten Kämmerlein.


An die Lippen wollt' ich pressen
Deine kleine weiße Hand,
Und mit Tränen sie benetzen,
Deine kleine weiße Hand.

Mag da draußen Schnee sich türmen
Mag es hageln, mag es stürmen,
klirrend mir ans Fenster schlagen:
Nimmer will ich mich beklagen,
Denn ich trage in der Brust
Liebchens Bild und Frühlingslust.

Habe mich mit Liebesreden
Festgelogen an dein Herz,
Und, verstrickt in eignen Fäden,
Wird zum Ernste mir mein Scherz.

Wenn du dich mit vollem Rechte
Scherzend nun von mir entfernst,
Nahn sich mir die Höllenmächte,

Und ich schieß' micht tot im Ernst.

Wer zum ersten Male liebt,
sei's auch glücklos, ist ein Gott;
aber wer zum zweiten Male
glücklos liebt, der ist ein Narr.

Ich, ein solcher Narr, ich liebe
wieder ohne Gegenliebe;
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit - und sterbe.
 
Gedichte

Vergeblich

Schon recht. Du willst als Philosoph
die Wahrheit dir gewinnen;
du machst mit Worten ihr den Hof,
um so sie einzuspinnen.

Nur sage nicht, dass zwischen dir
und ihr schon alles richtig.
Sie ist und bleibt, das wissen wir,
jungfräulich, keusch und züchtig.

Wilhelm Busch
 
Gedichte

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

(Erich Kästner)
 
Gedichte

Von guten Mächten

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das Du uns bereitet hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Laß warm und still die Kerzen heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.


(Dietrich Bonhoeffer)
 
Gedichte

Neujahrsnacht

Diese Nacht ist ein Fluß.
Mein Bett ist ein Kahn.
Vom alten Jahr stoße ich ab.
Am neuen lege ich an.
Morgen spring ich an Land.
Dies Land, was ist's für ein Ort?
Es ist keiner, der' s weiß.
Keiner war vor mir dort.

Josef Guggenmos
 
Gedichte

Was würden Sie tun,
wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?

Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich
die ersten Nächte schlaflos verbringen
Und darauf tagelang ängstlich und kleinlich
Ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen.

Dann - hoffentlich - aber laut lachen
Und endlich den lieben Gott abends leise
Bitten, doch wieder nach seiner Weise
Das neue Jahr göttlich selber zu machen.

Joachim Ringelnatz
 
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