Verschiedene Gedichte

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Gedichte

Im neuen Jahr wird Alles besser
Jedes Jahr dieselben Schwüre
Geritzt in Holz mit scharfem Messer
Wuchtig aufgestoßen Neujahrstüre
Schau ich im Spiegel tief in mich rein-
Muss es jedes Jahr Dasselbe sein?
 
Gedichte

Aus der CD Romantik von Element of Crime


WIR HABEN VIEL ZU LANG GESCHLAFEN
UND ICH ERWACHE ZÖGERND NUR
AUS EINEM VIEL ZU DUNKLEN TRAUM
UND ICH ERINNERE MICH KAUM
AN DIE EINST VERTRAUTEN GESTEN
UND WIE DIE WORTE NOCHMAL GEHEN
DIE UNS SAGEN ES IST GUT

NARZISSEN UND KAKTEEN

FRÜHER WAR ICH KLUG
HEUTE BIST DU SCHÖN
HINTER UNS VERBRENNEN
NARZISSEN UND KAKTEEN

WIR STEHEN STAUNEND VOR DEN TRÜMMERN
EINER GUTEN ALTEN ZEIT
UND WIR ENTSINNEN UNS BEWUNDERND
JENER UNVERWÜSTLICHKEIT
DIE UNSER LEBEN EINMAL HATTE
UND WIE EINFACH ALLES SCHIEN
ALS WIR NOCH VIEL ZU WENIG WUSSTEN

NARZISSEN UND KAKTEEN

FRÜHER WAR ICH KLUG
HEUTE BIST DU SCHÖN
HINTER UNS VERBRENNEN
NARZISSEN UND KAKTEEN

WENN DU LÄCHELST HAT DIE ZUKUNFT
IHREN SCHRECKEN EINGEBÜßT
WENN DU WEINST IST ALLES ELEND
IN DEINEN TRÄNEN AUFGELÖST
UND WER WEINT HAT NIEMALS UNRECHT
UND WER LÄCHELT SCHON WIE DU
DAS HAB ICH LANGE ÜBERSEHEN
NARZISSEN UND KAKTEEN

FRÜHER WAR ICH KLUG
HEUTE BIST DU SCHÖN
HINTER UNS VERBRENNEN
NARZISSEN UND KAKTEEN
 
Gedichte

Das zerbrochene Ringlein

In einem kühlen Grunde,
da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

Sie hat mir Treu' versprochen,
Gab mir ein'n Ring dabei,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus
Und singen meine Weisen
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich möcht als Reiter fliegen
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will -
Ich möcht am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still!

Joseph von Eichendorff
 
Gedichte

Mit der Freude zieht der Schmerz
traulich durch die Zeiten.
Schwere Stürme, milde Weste,
bange Sorgen, frohe Feste
wandeln sich zur Seiten.
Und wo eine Träne fällt,
blüht auch eine Rose.
Schon gemischt, noch eh wir's bitten,
ist für Throne und für Hütten
Schmerz und Lust im Lose.
War's nicht so im alten Jahr?
Wird's im neuen enden?
Sonnen wallen auf und nieder,
Wolken gehn und kommen wieder,
und kein Wunsch wird's wenden.
Gebe denn, der über uns
wägt mit rechter Waage,
jedem Sinn für seine Freuden,
jedem Mut für seine Leiden
in die neuen Tage.
Jedem auf des Lebens Pfad
einen Freund zur Seite,
ein zufriedenes Gemüte;
und zu stiller Herzensgüte
Hoffnung ins Geleite!

(Johann Peter Hebel)
 
Gedichte


Georg Christoph Lichtenberg

Wer einen Engel sucht
und nur auf die Flügel schaut,
könnte eine Gans
nach Hause bringen


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Gedichte

Was wär...

Was wär ein Apfel ohne -sine
was wären Häute ohne Schleim,
was wär die Vita ohne -mine,
was wär’n Gedichte ohne Reim?

Was wär das E ohne die -lipse,
was wär veränder ohne -lich,
was wär ein Kragen ohne Schlipse,
und was wär ich bloß ohne dich?

(Heinz Erhardt)
 
Gedichte

Draußen sind es 10° C ....
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Hugo von Hoffmannsthal

Vorfrühling
Es läuft der Frühlingswind
durch kahle Alleen
seltsame Dinge sind
in seinem Wehn.

Es hat sich gewiegt,
wo Weinen war,
und hat sich geschmiegt
in zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten.
und kühlte die Glieder,
die atmend glühten

Lippen im Lachen
hat er berürt,
die weichen und wachen
Fluren durchspürt

Er glitt durch die Flöte,
als schluchzender Schrei,
an dämmernder Röte flog er vorbei

Erflog mit Schweigen
durch flüsternde Zimmer
und löschte im Neigen
der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind
durch kahle Alleen,
seltsame Dinge sind
in seijnem Wehn.

Durch die glatten
kahlen Alleen
treibt sein Wehn
blasse Schatten

Und den Duft,
den er gebracht,
von wo er gekommen
seit gestern Nacht.
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Gedichte

Er ist's
Eduard Mörike

Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte.
Süsse, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon
Wollen balde kommen.
Horch (von Fern), ein (leiser)
Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen.
 
Gedichte

Paul Celan: Gedichte, die sich verschieden interpretieren lassen, aber extrem schön sind..

Fadensonnen
über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.
 
Gedichte

Am Bodensee

Die Dörfer sind wie im Garten.
In Türmen von seltsamen Arten
Klingen die Glocken wie weh.
Uferschlösser warten
Und schauen durch schwarze Scharten
Müd auf den Mittagssee.

Und schwellende Wellen spielen,
Und goldene Dampfer kielen
Leise den lichten Lauf;
Und hinter den Uferzielen
Tauchen die vielen, vielen
Silberberge auf.

Rainer Maria Rilke
 
Gedichte

Der Blütenzweig

Immer hin und wider
Strebt der Blütenzweig im Winde,
Immer auf und nieder
Strebt mein Herz gleich einem Kinde
Zwischen hellen, dunklen Tagen,
Zwischen Wollen und Entsagen.

Bis die Blüten sind verweht
Und der Zweig in Früchten steht,
Bis das Herz der Kindheit satt,
Seine Ruhe hat
Und bekennt: voll Lust und nicht vergebens
War das unruhvolle Spiel des Lebens.

Hermann Hesse

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Gedichte

Etwas off-topic, aber der Frühling läßt ja auch auf sich warten:


Marys Kochschule

Dass in deinem Engelsköpfchen
So viel Teufelei rumort,
Hätt ich nimmer ahnen können;
Aber deine Küsse brennen,
Wie kein Höllenfeuer schmort.

Deiner Seele heiße Sauce
Gießt sich prasselnd auf mich aus;
Mit den neusten Apparaten
Werd ich Ärmster ausgebraten,
Ein bejammernswerter Schmaus.

Schließlich öffnest du die Brust mir
Und transchierst mein dampfend Herz,
Weidest dich an seinem Pochen,
Wie's zerrissen und zerstochen
Und in Stücke sprang vor Schmerz.

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Gedichte

Gerade gefunden:

Reisen (1950) - Gottfried Benn

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan-
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an.

Ach, vergeblich ist das Fahren.
Spät erfahren Sie sich:
bleiben und Stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

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Gedichte

Die Einladung zu Deinem lachenden Gesicht

Es interessiert mich nicht, womit Du Deinen Lebensunterhalt verdienst.
Ich möchte wissen, wonach Du innerlich schreist und ob Du es wagst,
der Sehnsucht Deines Herzens zu begegnen.
Es interessiert mich nicht, wie alt Du bist.
Ich möchte wissen, ob Du es riskierst, wie ein Narr auszusehen für die Liebe, für Deine Träume, für das Abenteuer des Lebendigseins.
Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu Deinem Mond stehen.
Ich möchte wissen, ob Du das Zentrum Deines eigenen Leides berührt hast, ob Du geöffnet worden bist durch des Lebens Verrat, oder ob Du zusammengezogen und verschlossen wurdest durch Furcht vor weiterm Schmerz.
Ich möchte wissen, ob Du mit dem Schmerz - meinem oder Deinem - dasitzen kannst, ohne zu versuchen, ihn zu verbergen oder zu mindern oder ihn zu beseitigen.
Ich möchte wissen, ob Du mit Freude - meiner oder Deiner eigenen - dasein kannst: ob Du mit Wildheit tanzen und Dich von der Ekstase erfüllen lassen kannst, von den Fingerspitzen bis hin zu den Zehenspitzen, ohne uns zur Vorsicht zu ermahnen, vernünftig zu sein oder an die Grenzen des Menschseins zu erinnern.
Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die Du erzählst, wahr ist.
Ich möchte wissen, ob Du jemanden enttäuschen kannst, um Dir selber treu zu sein, ob Du den Vorwurf des Verrates ertragen kannst und nicht Deine eigene Seele verrätst.
Ich möchte wissen, ob Du vertrauensvoll sein kannst und daher vertrauenswürdig.
Ich möchte wissen, ob Du Schönheit sehen kannst, auch wenn es nicht jeden Tag hübsch ist und ob Du Dein Leben aus Gottes Gegenwart speisen kannst.
Ich möchte wissen, ob Du mit Scheitern - Deinem und meinem - leben kannst und trotz allem am Rande des Sees stehen bleibst und zu dem Silber des Mondes rufst: "JA".
Es interessiert mich nicht zu erfahren, wo Du lebst und wieviel Geld Du hast.
Ich möchte wissen, ob Du aufstehen kannst nach einer Nacht der Trauer und Verzweiflung, erschöpft und bis auf die Knochen zerschlagen und tust, was für die Kinder getan werden muss.
Es interessiert mich nicht, wer Du bist und wie Du hergekommen bist.
Ich möchte wissen, ob Du mit mir in der Mitte des feuers stehen wirst und nicht zurückschreckst.
Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem Du gelernt hast.
Ich möchte wissen, was Dich von innen hält, wenn alles andere wegfällt.
Ich möchte wissen, ob Du alleine mit Dir sein kannst und in den leeren Momenten wirklich gern mit Dir zusammen bist.
Ich möchte wissen, ob Du dennoch Dein inneres Lachen spüren
kannst - denn dann bist Du ganz nah dem Leben, der Liebe, dem
All-Eins-Sein - verschmolzen mit der Quelle der Schöpfung.



-Oriah Mountain Dreamer-
 
Gedichte

Von wem ist das, Leòn?
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Kein Gedicht:

Andersen, Hans Christian (1805-1875)
"Die Folianten vergilben, der Städte gelehrter Glanz erbleicht,
aber das Buch der Natur erhält jedes Jahre eine neue Auflage"
Das stumme Buch

An der Landstraße im Walde lag ein einsamer Bauernhof. Man mußte mitten durch den Hofraum hindurch. Da schien die Sonne, alle Fenster standen offen. Leben und Emsigkeit herrschte innen. Aber im Hofe, in einer Laube aus blühendem Flieder, stand ein offener Sarg. Der Tote war hier hinausgesetzt worden, denn am Vormittag sollte er begraben werden. Niemand stand und blickte voll Trauer auf den Toten, niemand weinte um ihn. Sein Gesicht war von einem weißen Tuche bedeckt und unter seinem Kopfe lag ein großes dickes Buch, dessen Blätter jedes ein ganzer Bogen aus grauem Papier waren. Und zwischen jedem lagen, verborgen und vergessen, verwelkte Blumen, ein ganzes Herbarium, das an verschiedenen Orten zusammengesucht war. Das sollte mit ins Grab, das hatte er selbst verlangt. An jede Blume knüpfte sich ein Kapitel seines Lebens.
"Wer ist der Tote?" fragten wir, und die Antwort war: "der alte Student von Upsala! Er soll einst ein tüchtiger Mann gewesen sein, gelehrte Sprachen verstanden, Lieder singen und schreiben gekonnt haben, sagt man. Aber dann ist ihm etwas in die Quere gekommen, und er ersäufte alle seine Gedanken und sich selbst mit im Branntwein. Und als seine Gesundheit zerstört war, kam er hier auf das Land hinaus, wo für ihn ein Kostgeld entrichtet wurde. Er war fromm wie ein Kind, wenn nicht der schwarze Sinn über ihn kam, denn dann gewann er seine Kräfte wieder und lief im Walde umher wie ein gejagtes Tier. Aber wenn wir ihn wieder zu fassen bekamen und ihn dazu brachten, in dies Buch mit den trocknen Pflanzen hineinzuschauen, konnte er den ganzen Tag sitzen und eine Pflanze nach der anderen anschauen. Und oftmals liefen ihm die Tränen über die Wangen dabei nieder. Gott mag wissen, an was er dabei dachte! Aber das Buch bat er mit in seinen Sarg zu legen, und nun liegt es dort, und um eine kurze Stunde soll der Deckel zugeschlagen werden und er wird sanft im Grabe ruhen."

Das Leichentuch wurde gelüftet; es lag Frieden über dem Antlitz des Toten. Ein Sonnenstrahl fiel darauf, eine Schwalbe schoß in ihrem pfeilschnellen Fluge in die Laube und wendete sich im Fluge zwitschernd über des Toten Haupt.

Wie wunderlich ist es doch - wir kennen gewiß alle das Gefühl - alte Briefe aus unserer Jugendzeit hervorzunehmen und sie wieder zu lesen. Da taucht gleichsam ein ganzes Leben vor uns auf, mit all seinen Hoffnungen, all seinen Sorgen. Wie viele von den Menschen, mit denen wir in jener Zeit so herzlich vertraut zusammen lebten, sind für uns gestorben, obwohl sie noch leben. Aber wir haben lange Zeit nicht mehr an sie gedacht, von denen wir einstmals glaubten, daß wir stets mit ihnen verbunden bleiben und Freude und Leid mit ihnen teilen würden.

Das welke Eichenblatt im Buche hier erinnert an den Freund, an den Freund aus der Schulzeit, den Freund für das ganze Leben. Er heftete dieses Blatt an die Studentenmütze im grünen Walde, als der Freundschaftspakt fürs ganze Leben geschlossen wurde. - Wo lebt er nun? - Das Blatt wurde bewahrt, die Freundschaft vergessen! - Hier ist eine fremdartige Treibhauspflanze, zu fein für die Gärten des Nordens - es ist, als sei noch ein Duft über diesen Blättern. Sie gab sie ihm, das Fräulein aus dem adligen Garten. Hier ist die Wasserrose, die er selbst gepflückt und mit salzigen Tränen begossen hat, die Wasserrose aus den süßen Gewässern. Und hier ist eine Nessel. Was sagen ihre Blätter? Woran dachte er, als er sie pflückte, als er sie aufbewahrte? Hier ist das Maiglöckchen aus der Waldeinsamkeit; hier ist Jelänger-Jelieber aus dem Blumentopf in der Wirtsstube, und hier sind nackte scharfe Grashalme. Der blühende Flieder breitet seine frischen, duftenden Dolden über des Toten Haupt, die Schwalbe fliegt wieder vorüber: "Quivit! Quivit!" - Nun kommen die Männer mit Nägeln und mit dem Hammer, der Deckel wird über den Toten gelegt, der sein Haupt auf dem stummen Buche ausruht. Verwahrt - vergessen.

Buchtipp: Andersen, Hans Christian Märchen, Geschichten, Briefe


https://www.garten-literatur.de/Leselaube/andersen_buch.htm
 
Gedichte

Am Bodensee

Über Gelände, matt gedehnt,
Hat Nebelrauch sich wimmelnd gelegt,
Müde, müde die Luft am Strande stöhnt,
Wie ein Roß, das den schlafenden Reiter trägt;
Im Fischerhause kein Lämpchen brennt,
Im öden Turme kein Heimchen schrillt
Nur langsam rollend der Pulsschlag schwillt
In dem zitternden Element.

Ich hör' es wühlen am feuchten Strand,
Mir unterm Fuße es wühlen fort,
Die Kiesel knistern, es rauscht der Sand,
Und Stein an Stein entbröckelt dem Bord.
An meiner Sohle zerfährt der Schaum,
Eine Stimme klaget im hohlen Grund,
Gedämpft, mit halbgeschlossenem Mund,
Wie des grollenden Wetters Traum.

Ich beuge mich lauschend am Turme her,
Sprühregenflitter fährt in die Höh',
Ha, meine Locke ist feucht und schwer!
Was treibst du denn, unruhiger See?
Kann dir der heilige Schlaf nicht nahn?
Doch nein, du schläfst, ich seh' es genau,
Dein Auge decket die Wimper grau,
Am Ufer schlummert der Kahn.

Hast du so Vieles, so Vieles erlebt,
Daß dir im Traum es kehren muß,
Daß dein gleißender Nerv erbebt,
Naht ihr am Strand eines Menschen Fuß?
Dahin, dahin! die einst so gesund,
So reich und mächtig, so arm und klein,
Und nur ihr flüchtiger Spiegelschein
Liegt zerflossen auf deinem Grund.

Der Ritter, so aus der Burg hervor
Vom Hange trabte in aller Früh;
— Jetzt nickt die Esche vom grauen Tor,
Am Zwinger zeichnet die Mylady —
Das arme Mütterlein, das gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand entlang;
Der Kranke, der seinen letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;

Das spielende Kind, das neckend hier
Sein Schneckenhäuschen geschleudert hat;
Die glühende Braut, die lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem Aug'
Das Metrum geplätschert in deiner Flut;
Die Pilger, so am Gesteine geruht:
Sie alle dahin wie Rauch!

Bist du so fromm, alte Wasserfey,
Hältst nur umschlungen, läßt nimmer los?
Hat sich aus dem Gebirge die Treu'
Geflüchtet in deinen heiligen Schoß?
O, schau mich an! ich zergeh' wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Distel quillt,
Dann zuckt mein längst zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen Traum!

(Annette von Droste-Hülshoff)
 
Gedichte

Gerade habe ich eine ganze Seite mit Rilke-Gedichten entdeckt. Darunter eines, das ich so gar nicht typisch für ihn finde:

Der König von Münster


Der König war geschoren;
nun ging ihm die Krone zu weit
und bog ein wenig die Ohren,
in die von Zeit zu Zeit

gehässiges Gelärme
aus Hungermäulern fand.
Er saß, von wegen der Wärme,
auf seiner rechten Hand,

mürrisch und schwergesäßig.
Er fühlte sich nicht mehr echt:
der Herr in ihm war mäßig,
und der Beischlaf war schlecht.


Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil
rilke.de - Rainer Maria Rilke-Gedichte und mehr

Der König von Münster
Von Rainer Maria Rilke
Dieses für Rilke (1875-1926) so gar nicht charakteristische Gedicht entstand im Frühsommer 1908 in Paris, als der Dichter mit seinen Meisterwerken "Archaïscher Torso Apollos" und "Der Panther" beschäftigt war. Durch den Bildhauer Auguste Rodin, bei dem er als Privatsekretär arbeitete, hatte sich Rilke zur Poetik der so genannten "Ding-Gedichte" anregen lassen. Sein "König von Münster" wendet allen Überlegungen zur Artistik des "Kunst-Dings" den Rücken zu und entwirft eine komische Szene.

Die Erhabenheit der Majestät schlägt hier um in Lächerlichkeit: Der König erscheint als "schwergesäßiges" Wesen, den auch noch das Signum seiner herausragenden Position, die Krone, über die Ohren rutscht. Selten hat Rilke so komisch geschrieben, und selten hat er sich von der Eigendynamik des Reims und der Volksliedstrophe zu so vergnüglichen Werken anfeuern lassen. Im Band "Neue Gedichte. Anderer Teil" von 1908 wird das Gedicht umrahmt von Texten, die von ähnlich schwarzem Humor und Sarkasmus beseelt sind.
Deutschlandfunk - Lyrik-Kalender - Der König von Münster
 
Gedichte

D Saanegeiss im Berliner zoologische Garte

Von Fritz Ebersold

I armi wiissi Saanemutte,
Was bin iech für ne Unglückshutte!
Was bin iech für ne arma Tropf!
Es wollt mer naua nit i Chopf,
Dass anstatt ussna chöne z grase,
Iech hie z`Berlin söll Trüebsal blase;
Der ganz Tag muess i ids Leera ggaffe
Bin Elephanten u Giraffe.
Wie schön ischt z Saane obna gsii;
Bald si wer obsig, bald embrii
De guete, linde Chrütere naa,
Muh et nus fascht nit möge bhaa!
U we wer oppa gnueg gha hei,
Su si wer ufen e warma Stei
U hei dur ds Tälti usi gugget;
Derwile het am Tili gsugget
Der Geisshirt, bis er iignuckt isch
U gschnarchlet het was hesch was gisch.
U mengisch speet am Aabe no
Isch ds Chrischti Romangs Böcki cho
Das han i gäre gha zum Frässe
Mit sine zarte Wink u Gspässe.
U hetti mu miech obna gla
Su hette wer lengschte Hochzyt gha.
Jetz ischs mit allmu usu n ame,
Es Läbe han i zum erbarme.
Ds Höuw isch grobs u ruchs wie Scheiti
U wen i alz grad usa seiti
Un ali Umständ wurdi rüge,
Su meinti mu, i teeti lüge.
U d Lüt, di mache mi am meiste toubi,
Da blib e Saanegeiss no loubi,
We ds Volch mit eim dr Narr macht schier
Als weri mu es Wundertier:

„ Siehste Juste, siehste Leene,
eene Jemse weiss wie Schnee,
Aber Hörner hat se keene
Eene Missgeburt persee!
Keene Hörner auf dem Koppe!
Oder ist`s ne Antilope?
Oder ist`s vielleicht ne Zieje?
Juste, sag, was meenst denn du?“
„ Schwatz doch nicht ne solche Brühe!
S`ist ne Samojedenkuh!“

E so geits witer vo früe bis speet,
Bis jede Laff a Maa bracht het
Si Meinig über ds Saanegeissi
U wie n es oppa z grächtem heissi.
De würds mer mengischt doch de z tumm,
I chere mi glähig es bitzi um
U laa däm Herregschmeus zum gfalle
Es Dotze Böhneleni falle.


Das Gedicht kann man hier nochmals nachlesen mit dazugehöriger Übersetzungshilfe:
www.earlybeck.ch/Offer0008SaaneGibeniGedicht.htm
meck.JPG
 
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