Stickoxid-Peroxinitrit-Zyklus - ein biochemischer Teufelskreis (Ansatz von Dr. P
Ich knüpfe hier an meine Beiträge weiter oben zum Buchinhalt an. Wir befinden uns immer noch im Kapitel 1, dessen Überschrift übersetzt in etwa lautet:
Der NO/ONOO- Zyklus und die Ursache von chronischem Müdigkeitssyndrom, multipler Chemikaliensensitivität, Fibromyalgie und posttraumatischem Belastungssyndrom
Ich gebe das Gelesene hier in meinen eigenen Worten und nach eigenem Ermessen zusammengefasst wieder.
SICH ÜBERSCHNEIDENDE MULTISYSTEMERKRANKUNGEN
Zwischen CFS, FM und MCS gibt es viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten sowie hohe Komorbiditäten (d.h. wenn jemand eins der Syndrome hat, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, auch andere dieser Syndrome zu entwickeln). Sie haben ein gemeinsames Muster der Krankheits-Auslösung: Kurzzeitige Stressoren, die gefolgt werden von einem chronischen Krankheitszustand, der typischerweise Jahre andauert, oft sogar das ganze Leben lang. Als erster brachte Miller
[1] die Idee ein, dass diese und andere Erkrankungen eine gemeinsame, wenn auch noch nicht geklärte, Herkunft haben.
[1] Miller, C.S. Are we on the threshold of a new theory of disease? Toxicant-induced loss of tolerance and its relationship to addicion and abdiction. Toxicol Ind Health 1999;15;284-294
Der Titel in meiner Übersetzung: Sind wir an der Schwelle einer neuen Theorie von Krankheit?
Andere Autoren kamen aufgrund von Studienergebnissen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Pall vermutet, dass die Erkrankung PTSD ebenfalls diesen gemeinsamen Mechanismus teilt. Das Golfkriegssyndrom und andere "Postkonflikt-Syndrome" haben Anteile aller vier genannten Erkrankungen. Als Oberbegriff wird von Pall im Weiteren "Multisystemerkrankung" verwendet.
DIE VORAUSGEHENENDEN STRESSOREN
Die vorausgehenden Stressoren variieren bei den verschiedenen Multisystemerkrankungen:
- Bei CFS handelt es sich im Allgemeinen eine virale oder bakterielle Infektion.
- Bei FM wurden darüber hinaus physische Traumen als Auslöser beschrieben, offenbar meist Kopf- und Genicktraumen.
- Bei MCS sind es chemische Expositionen - entweder als einmalige Belastung auf hohem oder mehrfache Belastung auf niedrigem Level. Die meisten beteiligten Chemikalien lassen sich vier Klassen zuordnen, drei Klassen von Pestiziden und flüchtige organische Lösungsmittel.
- PTSD wird meist durch schweren psychischen Stress ausgelöst. Das DSM-IV verlangt ein solches Trauma als Definitionskriterium.
Eine wichtige Frage ist,
wie diese verschiedenen Stressoren diese Erkrankungen auslösen. Sie haben kein
offensichtliches gemeinsames Merkmal, das die ähnliche biologische Antwort beim Menschen erklären könnte. Es existieren allerdings wesentliche Belege dafür, dass jeder dieser Stressoren die NO-Spiegel im Körper erhöhen kann, das heißt, hier besteht zumindest eine auffällige Koinzidenz. Diese Belege hat Pall überprüft und ist auf diverse Mechanismen gestoßen, die zu diesen erhöhten NO-Spiegeln führen können.
Die Mechanismen in Kurzdarstellung:
Abkürzungen/chemische Formeln:
NO: Stickoxid
ONOO-: Peroxinitrit
OO-: Hyperoxid (veraltet: Superoxid)
Infektion
--> Synthese und Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (bestimmte Substanzen, die während der Immunantwort freigesetzt werden)
--> Induktion der iNOS (Induktion: Fähigkeit von Organismen u. Organen, unter dem Einfluss eines Substrates sogenannte induzierte Enzyme zu bilden oder die Enzymaktivität zu vermehren, siehe
Roche Lexikon Medizin (5. Aufl.))
--> NO-Produktion
--> ONOO
--Produktion (Oxidationsprodukt von NO; entsteht mithilfe von OO
-)
Diese Mechanismen sind gut belegt.
Physische Traumen des Kopfes oder Hirns
--> NO-Produktion
--> Stimulation des NMDA-Systems (Neurotransmittersystem; NMDA = N-Methyl-d-Aspartat; Untertyp der auf erregende Aminosäuren wie Glutaminsäure bzw. Glutamat, gemeinsam mit Glycin, ansprechenden Glutamat-Rezeptoren; steuern im Gehirn z.B. Gedächtnisleistungen, siehe
Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage)
--> NO- und ONOO
--Produktion
Auch in der Wirbelsäule und im Genick existieren NMDA-Rezeptoren, so ist die Annahme berechtigt, dass es durch Genick-Traumen zu einer ähnlichen Reaktion kommen kann. NO-Erhöhungen durch physische Traumen anderer Körperteile wurden auch berichtet, der Mechanismus ist jedoch unbekannt.
Organophospor und Carbamat-Pestizide (scheinen besonders oft MCS auszulösen)
--> Erhöhung der Acetylcholin-Spiegel
--> Stimulation der Muscarin-Rezeptoren (zu Muscarin und Muscarinrezeptoren siehe z.B.
Roche Lexikon Medizin (5. Aufl.))
--> Erhöhung der NO-Spiegel durch Stimulation von 3 von 5 dieser Rezeptoren und
--> Stimulation des NMDA-Systems --> Erhöhung der NO-Spiegel
VOCs (flüchtige organische Verbindungen, siehe Wikipedia
Flüchtige organische Verbindungen)
--> Stimulation des Vaniloid-Rezeptors (siehe Wikipedia
TRP)
--> Erhöhung der NO-Spiegel und
--> Stimulation des NMDA-Systems --> Erhöhung der NO-Spiegel
Schwerer Psychostress (scheint eine wesentliche Rolle bei der Auslösung von PTSD zu spielen)
--> Exzessive Stimulation des NMDA-Systems
--> Erhöhung der NO-Spiegel
Im Tierversuch wurden NMDA-Antagonisten erfolgreich zum Blocken PTSD-artiger Symptome eingesetzt. In einer Studie stoppte die Hemmung der NO-Synthese die dort betrachtete physiologische Antwort in Form von Magenschleimhautschäden.
Es gibt einen beträchtlichen "cross-talk" (wörtlich: schneller Wortwechsel) zwischen den Stressoren. So stellt schwerer Psychostress ebenso einen Risikofaktor für FM, CFS oder MCS dar. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Stressoren mittels einer ähnlichen physiologischen Antwort wirken. Dass die einzige bekannte gemeinsame Antwort die Erhöhung des NO-Spiegels ist, bestätigt die kritische Rolle von NO in den Krankheitsmechanismen.
Studien von Abou-Donia & Mitarbeitern untersuchten im Tierversuch die
synergistische Rolle von psychischem Stress und chemischer Exposition bei der Auslösung einer MCS-artigen Antwort. Solche
Synergismen zwischen verschiedenen Stressoren waren zu erwarten aufgrund verschiedener Beobachtungen am Menschen.
Neben den sechs Stressoren, die als Auslöser von Multisystemerkrankungen gut dokumentiert sind, gibt es sechs weitere weniger gut dokumentierte "Kandidaten". Zu diesen gehören u.a. CO-Exposition, Toxoplasmose und Thiomersal (organische Quecksilberverbindung mit 50% Quecksilber – eingesetzt in Impfstoffen, desinfizierenden Spülungen etc.)!
Ein wichtiger Bestandteil dieses Buchkapitels ist eine Darstellung der verschiedenen Mechanismen des "Teufelskreises" im Diagramm. Dieses findet sich auch auf Palls Website: molecular.biosciences.wsu.edu/Faculty/pall/pall_main.htm.
Besonders aufgefallen ist mir, dass Thiomersal mit seinem hohen Quecksilbergehalt als vermutliche auslösende Chemikalie erwähnt wird. Von Amalgam las ich bisher nichts (finde das Wort auch nicht im Stichwortverzeichnis), obwohl dies vermutlich die größte Quecksilber-Quelle des Menschen darstellt.
Es grüßt
Kate
P.S. Ich erwähne hier wieder Studien, die mit Hilfe von Tierversuchen erstellt wurden. Das bedeutet nicht, dass ich diese gutheiße (siehe die Diskussion weiter oben). Ich wollte Euch lediglich deren Ergebnisse nicht vorenthalten.