Rosenkavalier („Komödie für Musik“) hatten wir schon zweimal, in etwas inkorrekter Reihenfolge: den Verzicht der ehedem geliebten, ihrem Geliebten „zu Liebe“; dann das Eintreffen des Bräutigams, als sakraler Handlung. Es fehlte der Beginn: die Vereinigung der Liebenden. Also.
Wenn der Vorhang zum 1. Akt sich öffnet, wird – in lächelnder Morgenstimmung („die Vöglein zwitschern“) erkennbar der Alkoven der Fürstin (Marie Theres): „ein sehr schöner, weißer Arm“, sagt die Regieanweisung. Davor kniet Octavian, der junge Geliebte: „Wie du warst, / wie du bist . . .“, die ersten Worte. Aufsteigend vom Grundton (E) zur Terz, dann zur Quint: das Motiv des Erkennens, Teil des (immer wiederkehrenden) ersten Leitmotivs, mit dem das Vorspiel beginnt.
Nun, die Vereinigung der Liebenden ist oft „komponiert“ worden – unglaublich aufschlussreich. Am bekanntesten wohl Ravels Bolero. Wagner habe fast dauernd Orgasmen komponiert, schrieb ein Spötter. Im Tristan jedenfalls – brünstig, gemäß der Schopenhauerschen Weltverneinung. Hier nun: Ein schlankes Hornmotiv, sich aufschwingend, empordringend mit sieben Tonen, über eine Oktav + Sext. (Übrigens eine fast genaue Umkehrung des Leitmotivs von „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ (einer 15 Jahre vorher komponierten „Symphonischen Dichtung“ von Richard Strauss: die Schelme sind miteinander verwandt). Die letzten drei Töne, das Motiv des Erkennens. Noch dreimal wiederholt in den Hörnern, jedes Mal in einer anderen Tonart („große Terzverwandtschaft“, die Überraschung, Faszination ausdrückt). Jedesmal kommt diesem Motiv entgegen, weicher aber mit gleicher Leidenschaft, eine sich herabsenkende, aufnehmende, zugleich jubelnde Melodie.
Dann (ab 00:30) eine atemlose Steigerung, crescendo, accelerando (das erste Motiv extrem komprimiert) – tja, der junge Geliebte ist (wie der Text sagt) „siebzehn Jahr und zwei Monat“. (In der Partitur steht: „Von hier an die ganze Steigerung durchaus parodistisch.“) Rasch erreicht sie den Höhepunkt: Trompeten-/Posaunen-Fanfaren, fortissimo (00:50) – wie könnte es anders sein. Aber dann fängt die „Vereinigung“ erst an – ein auch bei x-maligen Hören nicht völlig durchschaubares Meisterwerk von Variation und Kontrapunkt. Die Motive verwandeln sich, verwandelt sich einander, kombinieren sich miteinander: man weiß nicht mehr, wer wer ist. (Hier wird verständlich, dass Strauss seinem Textdichter schrieb, er könne nicht komponieren, was der gerade fertig habe, sondern er müsse „der symphonischen Struktur wegen“ der Reihe nach vertonen.)
Es mündet (02:07) in ein unendlich zärtlich sich (über zwei Oktaven) herabsenkendes Thema der Geigen / Bratschen (das die Geliebte immer wieder begleiten wird, wieder im Ansatz eine Umkehrung des Oktavian-Motivs): reiner Dur-Dreiklang auf E. Mit einem Vorhalt am Ende: wieder das Motiv des Erkennens. Oder des Erkanntseins, Erkannthabens? Ruhend nun. Zugleich: Helligkeit, Morgenstimmung. Gut drei Minuten, alles in allem.
Eros. Ein griechischer Halbgott, der Vereinigung will. Vereinigung aller, alles Getrennten, auf allen Ebenen. Hier kann man ihm zuhören,
Dies hier dürfte die Aufführung von 1974 sein (miserabel synchronisiert - tut mir leid); die von 94, – die natürlich verwandt, aber eben „reifer“ ist - konnte ich nicht mehr finden. (Eine gleich herausragende, auch von 94, ist die von Leonard Bernstein, gleichfalls mit den Wienern. Bei ihm werden – rätselhaft, wie er das gemacht hat – die tragischen Aspekte viel stärker hörbar. Diese Aufnahme ist nicht zugänglich, aber es gibt, auf CD, eine angeblich fast gleich gute Studio-Einspielung derselben Künstler, kurz danach.)
Also, spitzt die Ohren. Wenn Ihr Lust habt.
youtube.com/watch?v=3FmWEDNqvAE - Carlos Kleiber Der Rosenkavalier prélude