Und hier differenziertere Betrachtungen zum Fundamentalismus der drei großen Buchreligionen.
Christlicher Fundamentalismus
Der christliche Fundamentalismus ist zu sehen als ein Teil der evangelischen Erweckungsbewegung in den USA, die besonders im 19. Jahrhundert stark war. Gegen die moderne Bibelkritik auf den Kanzeln der protestantischen Hauptkonfessionen in den USA wuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschiedener Widerstand, der zunächst unorganisiert war.
Eine lose Schriftenreihe "The Fundamentals - A Testimony to the Truth" erschien von 1910-1915 in einer Auflage von je 175'000-300'000, welcher verschiedene wertkonservative christliche Gedanken umfasste und eher ökumenisch und nicht separatistisch gedacht war. Finanziert wurden die Traktate von den kalifornischen Ölmagnaten Lyman und Milton Stewart.
Als Erfinder des Begriffes "Fundamentalismus" gilt Curtis Lee Laws (1858-1946) in der Zeitschrift "Watchman Examiner" in der Ausgabe vom 1. Juli 1920. Mit Fundamentalisten bezeichnete Laws eine Gruppe innerhalb der Northern Baptists, die an der Irrtumslosigkeit der Bibel festhielt.
1919 wurde eine unbedeutend gebliebene World's Christian Fundamentals Association WCFA gegründet.
Als Klassik des christlichen Fundamentalismus in den USA kann man die ökumenisch-pazifistische Grundausrichtung von 1910-1918 ansehen.
Durch die russische Revolution und die Angst vor dem Kommunismus wurde die amerikanische und die westliche Gesellschaft stark verändert. Diese Angstkultur war der Nährboden für die spätere fundamentalistische kirchliche Splitterbewegung in den USA, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg lauter wurde und einen rigorosen konfessionellen Separatismus umzusetzen begann, als innerkirchliches Pendant zum Kalten Krieg.
Viele fundamentalistische Gruppen sehen den Evangelikalismus als zu verweltlicht und zu ökumenisch an. Die neuzeitlichen amerikanischen Fundamentalisten zeichnen sich durch eine Argumentationsführung aus, die von Kritikern als „lieblos“ bezeichnet wird, oder als „nicht christlich“. In Fragen von Ökonomie und Politik besteht eine starke Affinität zu ultraliberalen oder rechtsradikalen Auffassungen. So wird die Todesstrafe befürwortet im Unterschied zu den Evangelikalen, die hier gespalten sind und ein sehr breites politisches Spektrum aufweisen.
In der evangelischen Welt ausserhalb der USA gibt es nur wenige Entsprechungen der fundamentalistischen Bewegung. Es ist ein typisch US-amerikanisches Phänomen, welches durch die typische kommunikatorische Radikalität entstanden ist, welche durch die Grösse der US-Gesellschaft (heute 300 Mio. Einwohner/innen) vorgegeben ist und in allen Lebensbereichen wahrzunehmen ist.
Filialen der US-amerikanischen Missionsgesellschaften fundamentalistischer Prägung wurden in Europa durch den pietistisch geprägten Evangelikalismus gezähmt und kulturspezifisch umgeformt. In Südamerika ist die fundamentalistische Mission erfolglos geblieben, wo die charismatisch-pfingstlerische Bewegung sehr erfolgreich ist.
Bei der Berichterstattung über die evangelische Erweckungsbewegung wird in der allgemeinen Presse der Begriff Fundamentalismus auch als Oberbegriff für die ganze Bewegung verwendet, was religionshistorisch und -soziologisch jedoch nicht haltbar ist.
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Islamischer Fundamentalismus
Der islamische Fundamentalismus, oft auch als Islamismus bezeichnet, versteht sich als ein kritischer Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der islamischen Welt und der Diaspora.
Sowohl im Glaubenssystem als auch in den Handlungsanweisungen stellt er Abweichung von den wörtlich verstandenen Texten aus Koran und Hadith fest, und macht sie als ideen- und sozialkritische Bewegung für Unmoral, Korruption und andere politische Übel der islamischen Länder ihre "Verwestlichung" verantwortlich. Sayed Qutb (1906 - 1966), Mitglied und Vordenker der Muslimbruderschaft, später von den Gedanken der Muslimbruderschaft abgewichen, propagierte einen islamischen Staat als Garant sozialer Gerechtigkeit. Hierbei unterscheiden sich Fundamentalisten von "Konservativen" in der Verwerfung der historischen, bis an die Gegenwart gewachsenen islamischen Traditionen als "degeneriert".
Der islamische Fundamentalismus ist eine Reaktion auf den Identitätsverlust, den viele arabische Länder durch die Kolonisierung erlebten, und auf eine durch den Westen dominierte Globalisierung, die westliche Werte wie Individualismus oder Säkularismus absolut setze und traditionelle orientalische Werte, wie Gemeinschaftssinn und Familie, verdrängen wolle.
Im Islam bildeten sich fundamentalistische Bewegungen im engeren Sinne in den 1930er Jahren, gleichwohl hatte es in der Geschichte des Islam immer wieder radikale religiöse Bewegungen gegeben, so beispielsweise die Wahhabiten im 18. Jahrhundert, die später den heutigen Staat Saudi-Arabien prägten. Ein wichtiger "geistiger Ahne" ist der Damaszener Rechtsgelehrte Ibn Taimiya (1263-1328). Bis heute maßgeblich ist zum einen die 1928 vom Lehrer Hasan al-Banna (1906-1949) in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (Al-Ikhwan al-muslimun). Der zweite wichtige Vordenker ist der in Indien und (ab 1947) in Pakistan wirkende Sayyid Abu l-A'la Maududi (1903-1979) mit seiner 1941 gegründeten Kaderpartei Jama'at-e islami. In Iran entstand eine von der schiitischen Imamatslehre geprägte Sonderform des islamischen Fundamentalismus. Unter der Führung des Ayatollah Ruhollah Musawi Khomeini (1906-1989) errang sie in der islamischen Revolution 1979 nach dem Sturz des Schahs die Macht.
Die islamischen Fundamentalisten opponieren dem säkularen Staatsmodell und fordern die Einführung des islamischen Rechts, da in ihrem Verständnis die Einheit von Religion, Gesellschaft, Familie, und Staat integral zum Islam gehört. Die Parallelen ihres Staatsmodells zu totalitären Systemen säkularer Prägung sind offensichtlich. Verschwörungstheorien sind ein zentrales Element der islamisch-fundamentalistischen Ideologie.
Besonderen Zustrom findet der islamische Fundamentalismus durch die soziale Situation: wegen der Landflucht gibt es in den Slums der Riesenstädte von Kairo und Ghaza-Stadt, Jakarta und Islamabad entwurzelte Massen, die beim Islamismus nicht nur einen geistigen Halt sondern auch soziale Hilfe finden. Islamistische Organisationen predigen nicht nur in den Moscheen, sie führen auch Spitäler und Schulen, die den Ärmsten offen stehen - ein wichtiger Faktor in Ländern mit hoher Analphabetenrate. Die Stärke des islamischen Fundamentalismus in Saudi-Arabien und den wohlhabenden Golfstaaten zeigt jedoch, dass die Entstehung des islamischen Fundamentalismus nicht einseitig durch sozio-ökonomische Faktoren erklärt werden kann.
Fundamentalistische Gruppen des Islams werden nicht durch eine hierarchische Organisation zusammengehalten, sondern sie treten quer durch die islamische Welt in einzelnen, hierarchisch strukturierten Gruppen auf. Viele davon erhalten finanzielle Unterstützung vom Staat Saudi-Arabien beziehungsweise Iran.
In Deutschland wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht berichtet, dass es derzeit 24 aktive islamistische Organisationen im Bundesgebiet gibt. Sie hatten im Jahr 2003 nach Schätzungen der Behörden insgesamt 30 950 Mitglieder. Davon sind 27 300 türkischer und 3300 arabischer Herkunft. Insgesamt entspricht dies nur einem Prozent der über drei Millionen hier lebenden Muslime. Deutschland gilt vor allem als "Ruheraum" für potenzielle islamische Terroristen.
Die wichtigsten islamistischen Gruppierungen in Deutschland im Überblick:
Die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist mit rund 26 500 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland. Der 1985 in Köln gegründete Verein steht islamistischen Parteien in der Türkei nahe, z.B. der "Partei der Glückseligkeit" (SP). Bundesweit unterhält die Vereinigung mehr als 300 Einrichtungen. Sie fördert laut Verfassungsschutz "die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland".
Extrem gewaltbereit sind die 200 Mitglieder der Islamisten-Partei "Hisb el Tahrir el Islami" (Partei der islamischen Befreiung). Die straff organisierte Gruppe strebt eine Vereinigung aller Moslems in einem Gottesstaat an. Hauptfeind ist Israel. 2003 wurde die Organisation in Deutschland verboten.
Die 800 Mitglieder starke libanesische "Hisbollah" und die 300 Anhänger der palästinensischen "Islamische Widerstandsbewegung" (Hamas) sind gewaltbereit und unterstützen von Deutschland aus den Terror im Libanon und in Palästina.
Die rund 800 Anhänger des Ende 2001 verbotenen "Kalifatstaats" von Metin Kaplan bekämpfen die freiheitlich demokratische Grundordnung und streben die weltweite Herrschaft des Islam an.
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Jüdischer Fundamentalismus
Auch im Judentum ist zwischen liberalen, konservativen, orthodoxen und fundamentalistischen Richtungen zu unterscheiden (letztere werden oft auch als ultra-orthodox bezeichnet), die das gesamte Spektrum von engerer oder weiterer Auslegung des Religionsgesetzes, des so genannten "Zauns um die Tora" abdecken.
In der Beziehung zum Staat Israel gibt es unter den ultra-orthodoxen Juden zwei diametral Media:entgegengesetzte Sichtweisen:
Gewisse chassidische Strömungen lehnen den Zionismus als Ketzerei ab und nehmen eine militant feindselige Haltung zum Staat Israel und zu allen sich mit Israel identifizierenden Juden ein, da die Existenz Israels die Ankunft des Messias verhindere. Auch die Neuhebräische Sprache lehnen sie strikt ab und sprechen stattdessen weiter Jiddisch.
Der religiöse Zionismus hingegen, mit dem geistigen Vater Abraham Isaak Kook (1865-1935), sieht im Staat Israel den Anbruch der messianischen Zeit und interpretiert Ereignisse wie den Sechs-Tage-Krieg als Zeichen der Bestätigung. Politisch bedeutsam ist der von jüdischen Fundamentalisten, beispielsweise der Bewegung Gush Emunim (Block der Gläubigen), vertretene göttliche Anspruch der Juden auf Eretz Israel, das heilige Land. Territoriale Zugeständnisse werten sie als Sakrileg, was 1995 zur Ermordung Jitzhak Rabins führte.