Passend dazu ein wertvoller (ja, eh nur Text-) Beitrag von
Dr Gunter Frank @achgut.com:
Bericht zur Corona-Lage vom 27.04.2020 (achgut.com/artikel/bericht_zur_corona_lage_vom_27.04.2020), worin er unter anderem auch das damalige "Spiel" aufgreift...
Den Artikel finde ich gut, weil er sachlich argumentiert und sich auf fachwissenschaftliche Beträge stützt. Die Kernthesen müßte man mal von allen Seiten beleuchten:
- die "Arbeit des israelischen Mathematikers und Analysten Ben-Israel, der in allen Ländern völlig unabhängig zu den Maßnahmen einen Epidemieverlauf
mit Anstieg von sechs Wochen ermittelte, der danach zügig abfällt. Man kann nur spekulieren warum, ob schnelle Immunität, jahreszeitliches Klima, oder was es immer ist. Selbst wenn es punktuell zu Überbelastungen kam, sie verbreiteten sich eben nicht über das ganze Land. All dies geschah weit vor jedem Lockdown."
Er (Frank) bezieht sich vor allem auf eine Arbeit des Regensburger Experimentellen Psychologen Kuhbandner, die ich mir mal in Ruhe anschauen muß:
â kritisch, â meinungsstark, â informativ! Telepolis hinterfragt die digitale Gesellschaft und ihre Entwicklung in Politik, Wirtschaft & Medien.
www.heise.de
P.S. Nach der Lektüre bin ich enttäuscht. Kuhbandner zeigt einerseits etwas Richtiges, was auch schon lange bekannt ist: Wenn die Testzahlen hochgefahren werden, steigt auch die Zahl der positiven Ergebnisse. Er rechnet nun alles fiktiv auf eine gleichbleibende Zahl an Tests pro Woche um und findet für einige Länder heraus, daß der Gipfel der Neuerkrankungen schon ca. eine Woche früher eingetreten ist als die reinen Neuinfektionszahlen zeigen, also in Italien schon in KW 12 und nicht erst in KW 13; es gibt aber auch Länder, in denen der Gipfel auch bei dieser Rechnung gleichbleibt (Ö hat seinen Gipfel weiterhin in KW 13, Belgien weiterhin in KW 14). Soweit kann man ihm wohl zustimmen, das ist aber auch kein sensationelles Ergebnis.
Was dem Autor aber vorzuwerfen ist, ist seine irreführende Visualisierung. Er malt seine fiktiv auf die (noch sehr niedrige) Testungszahl von KW 10 skalierte Umrechnung in Grafiken ein, die eine Skala mit "Zahl von Neuinfektionen" tragen. Ein Beispiel für Ö:

Wenn man den Text nicht genau liest, suggeriert das, daß es in KW 13 nicht über 5000 Neuinfektionen gab (der rote Balken), sondern nur < 1000. Man kann wegen der ungenauen Skalierung nicht ablesen, wie hoch die (grüne) Zahl sein soll, aber sagen wir mal, es soll 600 sein.
Genau das will er aber nicht sagen, weil er schreibt: "In Wirklichkeit ist die Zahl der Neuinfektionen höher als die berichtete Zahl an Neuinfektionen [also höher als 5000!], weil es nicht erfaßte Fälle gibt."
Er bezweifelt also nicht, daß es in der KW in Ö über 5000 Neuinfizierte gab, nennt aber trotzdem laut Legende der Grafik den grünen Balken "wahre Zahl an Neuinfektionen".
Was er eigentlich zeigen will: der "eigentliche" Anstieg ist zwischen Woche 10 und 11 passiert. Dann müßte er die Zahlen aus den Wochen mit geringerer Testung aber nach oben korrigieren! Er müßte mit seiner Methode eigentlich herausbekommen, daß es in KW 11, als noch ganz wenig getestet (und auch ganz wenig gefunden) wurde, auch schon "in Wirklichkeit" ca. 4000 Neuinfizierte gab!
Das heißt, seine Bildchen sagen etwas ganz anderes aus, als was er denkt, was sie aussagen würden.
Und nun der noch viel grundlegendere Denkfehler: Er geht (wie sein Ostereierbeispiel zeigt) von einer rein zufälligen Verteilung der Testungen auf die Gesamtbevölkerung aus, also von einem
stochastischen Modell, wie es der Ziehung der Lottokugeln zugrundeliegt oder einem Stichproben-Test, wieviele Schrauben einer Produktionslinie fehlerhaft sind. So werden die Tests aber nicht gemacht, getestet werden Leute mit Symptomen und Angehörige des Gesundheitswesens! Folglich sind auch die Ergebnisse dieser Überlegungen weitgehend für den Mülleimer, einfach weil sie das falsche Rechenmodell verwenden.
Genauso schlimm ist, was er mit dem Verhältnis Tote/Infizierte macht. Das ist mathematisch einfach unterirdisch.
Ich bin sehr gespannt, ob der Artikel zur Veröffentlichung angenommen wird.
