Hallo, Musik- und Seelenfreunde,
weil’s mir heut ungewöhnlich gut geht (Glück? aber das gehört ja in einen anderen Thread, und wir wissen ja eh nicht, was das ist), will ich Euch jedenfalls noch dem „größten Dirigenten aller Zeiten“ bei der Arbeit zusehen lassen. Es geht also im 2. Akt (1. Teil) um die zeremonielle Überreichung der Silbernen Rose durch Octavian als Brautwerber („mein Bub“ nennt ihn seine reife Geliebte) an Sophie, die Braut, ein liebliches, etwas naives, doch recht direktes Mädchen. Es handelt sich – wie ja im katholischen Barock häufig – um eine irdische Theophanie; das Sakrale der Hochzeit ist nicht getrennt von dem der Erscheinung Gottes. (Mag lästerlich klingen – aber in der katholischen Tradition, besonders im Barock, ist die Verbindung von Frau und Mann ein Symbol der von Kirche und Gott. Ein Symbol, das bewirkt, was es abbildet.. Wie ja auch in der Antike, im Frühmittelalter.)
Wie erscheint nun Gott oder der Brautwerber in Wien, 1740 oder 1745? In der Zeit der Kaiserin Maria Theresia. (Hofmannsthal war sehr präzis.) ER kann natürlich nicht einfach mal vorbeischauen. Sondern: er nähert sich. In angemessener Sprache: Er naht. Dafür ist jede irdische Bühne zu klein. Aber schon die griechischen Dramatiker hatten das Problem gelöst, durch die sog. Teichoskopie („Mauerschau“), heißt z.B., dass jemand im Raum aus dem Fenster schaut und das „Nahen“ schildert. Dies tut Marianne, das mütterliche Dienstmädchen – während die Braut, zunehmend vergeblich, ihre freudige Erregung zu zähmen versucht. Marianne: „Die halbe Stadt ist auf die Füß. (2:50) / Aus dem Seminari schaun die Hochwürdigen von die Balkoner. / Ein alter Mann sitzt oben auf der Latern. / … / In zwei Karossen. Die erste, die ist vierspännig, die ist leer. / In der zweiten, sechsspännigen (3:65), sitzt er selber, / der Rosenkavalier. / . . . / Sie reißen den Schlag auf. Er steigt aus! / Ganz in Silberstück’ ist er angelegt, von Kopf zun Fuß. / Wie ein heil’ger Engel schaut er aus . . .“ Heftige Erregung, atemlos, 4/4 Takt alla breve, die Tempi beschleunigend und immer wieder zurück zum Molto allegro des Beginns. – Sophie („ziemlich fassungslos“ die Regieanweisung): „In dieser feierlichen Stunde der Prüfung, / da du mich, o mein Schöpfer, über mein Verdienst erhöhen / und in den heiligen Eh'stand führen willst, /. . . / Für mich selber steh’ ich ein. / Aber die Ehe ist ein heiliger Stand. / Herr Gott im Himmel! (6:00) / Ich weiß, der Stolz ist eine schwere Sünd. / Aber jetzt kann ich mich nicht demütigen. / Jetzt geht’s halt nicht. / Denn das ist ja zu schön . . . “ 3/2 Takt, in genauem Wechselspiel mit Mariannes 4/4.
Vielleicht eine der weiträumigsten Steigerungen - über fast 5 Minuten. Und weil das auch nicht geht, nicht mal mit einem spätromanischen Riesenorchester, gibt es ein wiederholtes Zurücknehmen der Dynamik, der Tempi – im Grund wiederbelebtes Barock (mit ein wenig Ironie und sehr viel Raffinesse) – bis der Brautwerber vor der Braut steht (Fis-Dur, was nach dem Empfinden mancher sowieso silbergrün klingt) – und das dreifache Forte (5:35) zwei Takte danach aufgehellt, ja, eigentlich gesteigert zum Pianissimo (5:45), eine zarte Melodie der Oboe, dazu Celesta (ein seltenes Instrument, eigentlich ein Schlagzeug, von einer Tastatur aus gespielt, klangverwandt dem Glockenspiel, doch voller, rätselhafter; bekannt geworden durch Tschaikowskis Nussknacker-Suite – „Tanz der Zuckerfee“), die ein merkwürdiges, irisierende Licht über die Szene breitet, mit völlig heimatloser Chromatik.
Nun also – für den Fall, dass jemand von uns mal in eine derartige Lage kommt. Wie überreicht Mann, wie empfängt Frau eine Silberne Rose? Es geht so: „Octavian, die Rose in der Rechten, geht mit adeligem Anstand auf Sophie zu, aber sein Knabengesicht ist von einer Schüchternheit gespannt und gerötet. Sophie ist vor Aufregung über seine Erscheinung leichenblaß. Sie stehen einander gegenüber und machen sich wechselweise durch ihre Verlegenheit und Schönheit noch verwirrter.“ Stockend; sie singen Synkopen. Octavian: „Mir ist die Ehre widerfahren, / dass ich der hoch- und wohlgeborenen Jungfer Braut / in meines Herrn Vetters Namen . . . / die Rose seiner Liebe überreichen darf.“ Sophie: Ich bin Euer Liebden sehr verbunden – / in aller Ewigkeit verbunden.“ (Eine Finesse des Dichters: „Ewigkeit“, das ist erst mal ganz konventionell. Aber die Wahrheit – die Sophie noch nicht wissen kann – liegt im Wortsinn direkt. Und gilt. Die Szenenanweisung erinnert sehr an Hofmannsthals frühes Gedicht „Die Beiden“. Ein schmales Insel-Bändchen „Gedichte“; Erwerb empfohlen. - Strauss nannte übrigens seine Weise des Komponierens einmal „Nervenkontrapunktik“ – jede Nuance, alle Verbindungen hörbar zu machen. Wohl nicht nur die „Nerven“.)
Danach eine Folge magischer Augenblicke, langsam von der Verlegenheit befreit. Nun führt gewissermaßen Sophie. Als sei sie dem Geheimnis etwas näher. Der Duft der Silbernen Rose. Die duftet pianissimo, immer noch in Fis-Dur. ( Ab 8:00; „Wie himmlische, nicht irdische, / wie Rosen von hochheiligen Paradies . . .“) Dann, zur gleichen Zeit, zwei Takte und eine Terz versetzt: „Wo war ich schon einmal / und war so selig?“ Sophie setzt ein. Und, entschlossen, färt sie, mezzoforte, weiter: „Dahin muß ich zurück, dahin, / und müsst ich völlig sterben auf dem Weg.“ (10:30) Während Octavian sich, etwas realitätsnäher, fragt (10:40): „Ich war ein Bub./ Da hab ich die noch nicht gekannt. / Wer bin denn ich? Wie komm denn ich zu ihr? / Wie kommt denn sie zu mir? Das Ende der Szene (wieder führt Sophie): „Allein ich sterb ja nicht. / Das ist ja weit. Ist Zeit und Ewigkeit / in einem sel’gen Augenblick, / den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.“ (Das sind, nebenbei, für Hofmannsthal zentrale Auffassungen. Auch die Präexistenz der Liebenden.
Carlos Kleiber. Vereinzelt, wenn er sich besonders freut, tanzt er (z.B. 4:10, wenn von der Straße die Zurufe hörbar werden. Er war ja mit einer Tänzerin verheiratet, jahrzehntelang.) Einmal punktiert er jede Note (5:10), zärtlich und haargenau. Manchmal lauscht er nur (6:30) – oder atmet den Duft der silbernen Rose ein. Ähnlich 8:05. Eine rätselhafte Öffnung der Handfläche zu Sophie (7:05; „in alle Ewigkeit verbunden“, noch einmal 9:55: „Wo bar ich schon einmal. . .“). Als hätten sie einen Geheimcode. Entzückt lächelt er ihr zu: Bei ihren Einsatz 7:30 (Hat einen starken Geruch), fast unerklärlich. Als verdanke er ihr eine Offenbarung; so ist’s ja wohl. Ihr zweigestrichenes Ais in „Paradies (8:30) ist zwar für einen hohen Sopran gut erreichbar, aber mit solcher Reinheit und am Ende eines so langen Melodiebogens – man kann sich vorstellen, wie er mit ihr geprobt hat. Sein Lächeln scheint mitunter deines des Einverständnisses zu sein: „Ja, so ist es; genau so.“ Den Hörnern gibt er einmal den Einsatz mit den Wimpern (8:50). Mitunter (10:10, 11:10) scheint er mitzusingen, freilich, anders als Casals, nicht hörbar. (Er hatte ja auch Gesang studiert.) Sein Taktstock zittert manchmal deutlich. Seine geballte Faust – wie ein Gelöbnis? – „. . . bis an meinen Tod“, 11:10).
Übrigens haben die Berliner Philharmoniker Kleiber die Nachfolge Karajans angetragen (wohl der bestmögliche Job für einen Dirigenten). Aber er wollte nicht mehr. Nicht mehr so viele Verpflichtungen. Diese – durchaus legendäre – Einspielung ist von 1994; da war er erst 64. Aber er hatte nicht mehr viel Zeit, 10 Jahre später starb er; zeitweilig war er krank
Ein amüsantes Detail. Strauss war sehr begeistert über Hofmannsthals Text. „Meine Arbeit fließt wie die Loisach“, schrieb er „meinem da Ponte“. Was, nebenbei bedeutete, dass er Mozart war – an Selbstbewußtsein hat es ihm nie gefehlt. (Er wohnte in Garmisch, eben an der Loisach.) Und in seiner Begeisterung komponierte er versehentlich eine Regieanweisung mit. Anscheinend hat das niemand korrigiert; in meinem Klavierauszug steht’s immer noch so.
Enjoy!
Windpferd