Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7: P-Q, hrsg. von Joachim Ritter und
Karlfried Gründer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989, Sp. 573-575
(Fußnotenzeichen wurden weggelassen)
1. Antike. - A. Der Ursprung des Begriffs. - Den Anfang der abendländischen Ph. pflegt man
seit ARISTOTELES bei den ionischen Naturphilosophen des 6. Jh. v.Chr. anzusetzen; das Wort
und der Begriff ,Ph.‘ ([philosophia]) sind jedoch erst später, zur Zeit Platons faßbar. Die ionischen
Philosophen selbst bezeichneten ihre eigenen Untersuchungen nicht als Ph., sondern als
„historie“ ([historiê]). Als erster, der sich „Philosoph“ genannt und damit das Wort geprägt haben
soll, wird schon nach antiker Überlieferung (durch Herakleides Pontikos, einen Platonschüler)
PYTHAGORAS namhaft gemacht, was jedoch als eine Rückprojizierung aus späterer Zeit
angesehen werden muß. Erst im ausgehenden 5. Jh. finden sich zunächst die Verbal- und Adjektivformen
,philosophieren‘ bzw. ,philosophisch‘, später dann, in den achtziger Jahren des 4.
Jh. bei den Sokratesschülern, das Substantiv ,Ph.‘.
Das Kompositum [philosophia] aus [philein] (gern haben) und [sophia] (Wissen) steht in der
langen Reihe der seit Homer gebräuchlichen Wortbildungen von [phil(o)] mit einem beliebigen
Substantiv oder Adjektiv, die das Gefallen und Interesse, die Liebe oder Leidenschaft für bestimmte
Dinge oder Bereiche kennzeichnen, wie z.B. das Gefallen am Trinken ([philoposia]),
Essen ([philotrophia]), Lernen ([philomathia]), an Reichtum ([philoplousia]), Sieg ([philonikia])
und Ehre ([philotimia]). „Die Freude, die im Vorderglied ausgedrückt ist, empfindet man, indem
man mit der Sache, die im Hinterglied ausgedrückt ist, umgeht“ [...]. Entsprechend bedeuteten
auch das zunächst gebräuchliche Verb [philosophein] und das Adjektiv [philosophos], daß einem
an Wissen (Sophia) gelegen ist. ,Sophia‘ war im 5. Jh. ein weit verbreitetes Wort für Wissen,
Kenntnis, Fertigkeiten im Handwerk oder für die Vertrautheit mit einer Sache, im eminenten
Sinne dann freilich auch für Klugheit, Urteilsfähigkeit und praktische Umsicht in den wesentlichen
Lebensangelegenheiten, vor allem im politischen Bereich. Das Interesse an der Sophia wird
naheliegenderweise auch zunächst einem der bekannten „Weisen“ ([sophoi]) bescheinigt.
HERODOT läßt den König Kroisos zu Solon sagen: „Verschiedene Kunde ist zu uns gelangt
über deine Weisheit ([sophiê]) und deine Reise. Man hat uns erzählt, du habest, weil dir an Wissen
liegt ([hôs philosopheôn]), viele Länder der Erde besucht, um des Schauens willen“ ([theôriês
heineken]. Solche Reisen aus reinem Interesse grenzt Herodot ab von den Reisen um des
Krieges oder des Handels willen.
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