Depression - ein multifaktorelles Geschehen, nach wie vor nicht genügend verstanden? (Scobel-Sendung)

Kate

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Eine neue Scobel-Sendung zur "Depression", in der viele Themen angesprochen werden, die hier im Forum diskutiert werden:
  • die Rolle von Entzündungen/Entzündungsbotenstoffen
  • die Rolle von genetischen Polymorphismen bei Medikamenten-Wirksamkeit und -Nebenwirkungen
  • die Rolle des Mikrobioms bzw. von Störungen der Darmflora
  • die Wirksamkeit von Psychotherapie (inzwischen wurde die systemische Psychotherapie als viertes Behandlungsverfahren zugelassen), aber auch achtsamkeitsbasierten Methoden
Zum letzten Punkt fand ich interessant, dass neuere Untersuchungen offenbar gezeigt haben, dass die Psychoanalyse nachhaltiger wirkt, es weniger Rückfälle gibt als bei anderen Psychotherapie-Richtungen. Ist sie doch heute eher verpönt als langwierig und eher nicht nützlich (wobei ich vermute, dass manch einen potenziellen Patienten eher schreckt, dass es da etwas tiefer und anstrengender "zur Sache" geht; echte Kontraindikationen könnte es nach meiner Vermutung aber auch geben).

Es ist inzwischen relativ bekannt und wird auch hier wieder erwähnt: Antidepressiva erwiesen sich in US-Studien als nicht wirksamer als Placebo; man weiß bis heute nicht wie sie wirken, wenn sie denn wirken; trotz neuer Präparate sind die ca. 30 Wirkstoffe seit etwa 60 Jahren die gleichen; die Nebenwirkungsrate liegt bei 80 Prozent.

Dennoch stiegen die Verschreibungen von 2007 bis 2017 um rund 50 Prozent an - obwohl bekannt ist, dass einige Antidepressiva Suizide auslösen, zur Chronifizierung der Erkrankung beitragen oder abhängig machen können.

Zumindest wird wohl "Depression" heute zunehmend als multifaktorielles Geschehen erkannt.

Hier die Links zu den beiden zusammengehörigen Sendungen:
(Doku, ca. 45 Minuten) (Diskussion, ca. 1 Stunde)

Gruß
Kate
 
Vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München:

...
21. Wie sieht die Depressionstherapie im Jahr 2020 aus?
Wir haben heute Medikamente, die grundsätzlich alle ein ähnliches Wirkungsprofil und auch eine ähnliche klinische Wirkung haben. Dabei müssen wir feststellen, dass es zu lange dauert, bis sie wirken, nämlich oft erst nach vier bis sechs Wochen, manchmal sogar noch später. Bei etwa 5-10 % der Patienten wirken sie nicht oder nur sehr unbefriedigend und haben zu viele Nebenwirkungen.

Die Depression ist aber keine Erkrankung, die durch ein bestimmtes Bakterium oder durch eine durchtrennte Sehne, sondern durch eine Vielzahl sehr komplexer, ineinandergreifender Mechanismen ausgelöst wird. Diese Mechanismen beruhen teilweise auf Besonderheiten in unserem Erbgut, zum Teil aber auch auf den Veränderungen unserer Hirnfunktion, die durch biographische Ereignisse eingetreten sind. Hier sind Erfahrungen in der Kindheit bedeutungsvoll, aber auch akute Lebensereignisse.

Dieses Ineinanderwirken genetischer und äußerer Faktoren ist von Mensch zu Mensch verschieden. Daher werden wir in der Zukunft für jeden einzelnen Patienten dessen individuelles Risikoprofil erstellen und dann eine diesem Risikoprofil angemessene maßgeschneiderte Behandlung anwenden. Das Ziel sollte dabei sein, gar nicht erst zu warten, bis die Erkrankung auftritt, sondern aufgrund des Risikoprofils eine Art Frühwarnsystem zu etablieren, mit Hilfe dessen man immer schon dann intervenieren kann, wenn die Erkrankung in ihrem vollen Symptomspektrum noch gar nicht aufgetreten ist. Wenn unser Zuwachs an Wissen aus der Forschung mit gleichem Tempo weitergeht, wie in den letzten fünf bis zehn Jahren, dann ist dies keine Utopie.

22. Was bringen mir Johanniskraut, Bachblüten, Gingko und andere pflanzliche Produkte?
Wir müssen zunächst verstehen, dass diejenigen Substanzen, die aus Pflanzen gewonnen werden, ebenfalls chemische Verbindungen sind, die im Körper erwünschte und unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Tatsächlich sind chemische Verbindungen aus Naturprodukten nicht etwas grundsätzlich anderes als diejenigen chemischen Verbindungen, die wir als Tabletten zu uns nehmen und die in chemischen Laboratorien entwickelt wurden. Die Arzneimittelkunde hat sich schließlich aus den in Naturprodukten vorkommenden chemischen Stoffen entwickelt. Das Bestreben der pharmazeutischen Industrie ist es, in ihren Laboratorien chemische Moleküle so abzuändern, dass der erwünschte Effekt optimiert und die unerwünschten Nebenwirkungen minimiert werden.
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Für mich klingt das sehr gut. Nur wird leider nicht genauer beschrieben, wie, wann und so eine solche maßgeschneiderte Behandlung durchgeführt wird.

Grüsse,
Oregano
 
... Wenn unser Zuwachs an Wissen aus der Forschung mit gleichem Tempo weitergeht, wie in den letzten fünf bis zehn Jahren, dann ist dies keine Utopie. ...

Wenn die Zeitverzögerung von der (hinreichend gesicherten) Erkenntnis bis zur Anwendung beim durchschnittlichen niedergelassenen Arzt allerdings weiter so groß (ich hörte oft von 15-20 Jahren) ist, ist der Profit der Patienten leider für's erste noch "Utopie".
Für mich klingt das sehr gut. Nur wird leider nicht genauer beschrieben, wie, wann und so eine solche maßgeschneiderte Behandlung durchgeführt wird.
Ich finde auch, dass das gut klingt, die Betrachtung ist allerdings immer noch deutlich weniger multi-faktoriell als in der Scobel-Sendung.

Den Gedanken, frühzeitig einzuschreiten finde ich sehr wichtig. Wer einmal in einer tiefen Depression steckte, ist sicherlich meist auch motiviert, dies nicht noch einmal zu erleben.

Gruß
Kate
 
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