Endlich konnten wir den Kollegen aus Frankreich erreichen. Er arbeitet in einem großen Krankenhaus im Großraum Paris und wie sich herausstellte, wird dort momentan an einer neuen Art von " Aufstellungsplan" gearbeitet, damit sich die Zustände der letzten Monate so zukünftig nicht mehr wiederholen sollen. Deshalb auch schwer erreichbar die letzten Tage.
Er war nicht sehr gesprächig, wirkte sehr müde. Der Zorn auf die franz. Regierung war ihm auch anzumerken. Er ist auch mit ein Vorantreiber der mittlerweile mehreren Anklagen an die franz. Regierung, wegen unterlassener Hilfestellung- Mangel an Schutzkleidung, Masken etc. und zu später/falscher Reaktion auf die Pandemie. Dazu gibt es übrigens mittlerweile
auch über eine halbe Million Unterschriften einer online Petition:
https://www.change.org/p/peuple-français-nous-soutenons-les-600-médecins-qui-attaquent-e-philippe-et-a-buzyn-en-justice-b56ff44b-f70a-401c-b43b-5f35bb827aa1
Im Hinblick auf die Hygienedemos in Deutschland wirkte er verwundert und auch wütend. Er kann das nicht nachvollziehen. Man müsste dankbar sein, Schlimmeres vermieden zu haben. Bei ihm war die Intensivstation so überbelegt, dass sie andere Schwerstkranke auslagern mussten, mit Schnellzügen wurden dann auch Covid-19 Patienten von ihm und anderen Kliniken in die Bretagne gebracht, über 80jährige wurden nur noch sediert, aber nicht mehr beatmet, da es einfach zu wenig Maschinen gab. Medikamente und Personal wurden knapp, da letztere auch am Rande der Erschöpfung und teilweise selber erkrankt. Sie haben auf Luftmatratzen in Lagerräumen des Krankenhauses geschlafen, sind nicht mehr nach Hause, da sie Mehrfachschichten schieben mußten, manchmal mit nur 2-3 Stunden Schlaf dazwischen.
Es war schrecklich mitzuerleben, daß Patienten, die vor 2 Tagen nur mit Husten und etwas Fieber in die Klinik kamen, dann innerhalb so kurzer Zeit auf die Intensiv kamen und um ihr Leben kämpften. "Wir wollten stark vor ihnen aussehen, gaben Umarmungen und tröstende Worte", meinte er, als Patienten sich vor Angst an das Personal klammerten, nicht alleine bleiben wollten, "aber abseits weinten wir und wir waren am Ende emotional so leer, innerlich ausgeblutet." Manche vom Personal, auch als dann noch einige von ihnen selbst erkrankten und verstarben, konnten das nicht ertragen und sind einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen. Einige haben ein Trauma abbekommen und sind heute in psychiatrischer Behandlung. So gut es ging, Ersatzfamilie für einsam Sterbende (ohne deren Angehörige) zu sein und gleichzeitig die notwendige Arbeit zu verrichten, war für viele emotional einfach nicht ertragbar. Noch nie in seiner 20jährigen Dienstzeit, auch nicht bei der schwersten Grippewelle, füllte sich die Intensiv so schnell mit so heftigen Fällen. Das war bisher einmalig.
Er schluckte dabei mehrmals und wir spürten, es berührt ihn sehr und es geht ihm nicht gut, darüber zu sprechen. Wir wollten das Gespräch mit den besten Wünschen für ihn beenden, da meinte er noch, er ist beunruhigt, wie sich die Situation weiter entwickle. Noch immer gibt es nicht genügend Material und ausgebildetes Personal für Intensiv. Wenn er Menschen ohne Maske an Orten, wo sie vorgeschrieben ist, begegnet, spürt er wie sein Magen rebelliert und sich Wut in ihm aufbaut. "Ich wünschte, sie hätten nur eine Nacht an meiner Seite dort erlebt, um wirklich verstehen zu können. Über 35% auf Intensiv, die bei uns beatmet werden mußten, waren unter 55 Jahren. Und manche auch ohne Vorerkrankungen."
Den Kollegen aus Mississippi konnten wir nicht erreichen, nur seine Frau, die meinte, er sei wochenlang schon nicht nach Hause gekommen, weil es die Situation gerade nicht zulässt. Es ist teilweise verheerender, wie in den Medien berichtet wird. Trump ließe die Statistiken der ICUs beschönigen, damit er nach außen hin besser aussehe. Ärzte wurde der Entzug ihrer Zulassung angedroht, sollten sie zuviele Totenscheine als Covid-19 Tote austellen, sie versteht die Welt nicht mehr.
Man darf nicht offen darüber sprechen, Gesundheitsämter verbieten die genaue Offenlegung der ICU- Kapazitäten einzelner Krankenhäuser in den schwerer betroffenen Gebieten. Vor allem aus der ärmeren Bevölkerung sind viele jüngere Schwersterkrankte und Verstorbene dabei.
Die Situation in Deutschland wird allgemein beneidet, als wir darauf zu sprechen kamen. Trumps schwerwiegende Fehler im Umgang mit der Pandemie hat zu viele Leben gekostet und es formieren sich immer mehr Gruppen, die Gerechtigkeit fordern.
Sie hat eine Bekannte, die als Sozialarbeiterin arme Familien betreut. Darunter sind nicht wenige, die durch Covid-19 nicht nur ein Familienmitglied, sondern mehrere verloren haben.
Auf die Proteste in Deutschland angesprochen, reagierte sie auch mit Unverständnis, aber durch die Erfahrungen mit Trumps Politik für sie auch nicht allzu ungewöhnlich.
Ich teile das mit euch, auch wenn mir bewusst ist, dass ich keine weiteren Belege dazu liefern kann. Aber ich sagte ja auch, dass ich nochmals nachfragen werde. Namen der betreffenden Personen und die Namen der Krankenhäuser müssen anonym bleiben, das habe ich auch versprochen. Es steht jedem frei seine eigene Meinung dazu zu haben. Was aber auffällig und belegbar ist, sind die Proteste gegen die Regierung. Und zwar nicht gegen die Corona-Maßnahmen, sondern weil diese versäumt worden sind. Da sollte einem auch zu Denken geben.
Es ist wie Püschel sagte, beides ist richtig. Der Tsunami in manchen Ländern und eine Situation wie in Deutschland. Daraus sollte man vernünftige und keine einseitigen Schlußfolgerungen ziehen - keine von beiden Seiten verdrängen oder ignorieren.