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Die weltweite Zunahme der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas ist nach wie vor eine Herausforderung. Sie geht Hand in Hand mit immer „neuen“ Diäten und der Anpreisung einer Unzahl an Abnehmpräparaten. Sie drückt sich aber ebenso in der wissenschaftlichen Debatte um die effektivste Diät aus – soll die Ernährung zur Gewichtsreduktion fettarm, proteinreich oder doch besser fettreich sein?
Mehr als 20 Jahre ging man davon aus, dass eine energie- bzw. fettreduzierte Ernährung die Diät der Wahl für eine erfolgreiche und dauerhafte Gewichtsreduktion sei. Aber bereits in den 70ern des letzten Jahrhunderts propagierte Robert Atkins seine fettreiche und kohlenhydratarme Diät.
Anfang dieses Jahrtausends erregten dann die Publikationen von Samaha et al. und Yancy et al. die Gemüter der AdipositasspezialistInnen. Die 3-6-monatige kohlenhydratarme und proteinreiche Diät war, im Vergleich mit kohlenhydratreichen, fettreduzierten Diäten, mit einer besseren Gewichtsabnahme verbunden (Yancy WS; Ann Intern Med 2004; 140:769; Samaha FF; N Engl J Med 2003; 348:2074). Andere konnten diese Ergebnisse jedoch nicht bestätigen (Noakes M; Am J Clin Nutr 2005; 81:1298; McMillan-Price J; Arch Intern Med 2006; 166:1466). Die Gewichtsabnahme war darüber hinaus nach 12 Monaten nicht mehr signifikant besser (Stern L; Ann Intern Med 2004; 140:778; Foster GD; N Engl J Med 2003; 348:2082).
Vielversprechend war auch die Studie von Shai et al. (Shai I; N Engl J med 2008; 359:229). In dieser Studie wurden 322 ProbandInnen in eine Low-Carb-Diät, eine Mediterrane und eine Low-Fat-Diät randomisiert. Die ProbandInnen der Mediterranen und der Low-Carb-Gruppe hatten innerhalb von 2 Jahren signifikant besser abgenommen als die Low-Fat- Gruppe. In einer kleinen Subgruppe von 36 DiabetikerInnen erzielten diejenigen mit der Mediterranen Diät deutlichere Verbesserungen der Nüchternglukose und der Insulinresistenz.
Eine häufige Schwierigkeit mit Diäten ist das Nicht-Erreichen des Diätziels. So auch in dieser Studie: 40-42% Kohlenhydratanteil an der Gesamtenergieaufnahme sprechen gegen Low-Carb (max. 120 g/Kohlenhydrate pro Tag). Die ProbandInnen der Low-Fat-Gruppe haben das Ziel ebenfalls nicht erreicht - die gewohnte Fettzufuhr wurde nur geringfügig verändert (31.4 auf 30.0 Energie%). Darüber hinaus war die Empfehlung, vor allem pflanzliche, fettreiche Lebensmittel zu konsumieren, nicht Atkins-konform. Aufgrund dieser Studie, eine Mediterrane Diät Diabetiker*Innen zu empfehlen, dazu war die untersuchte Gruppe zu klein. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass Patient*Innen in unserem Kulturraum die dauerhafte Umstellung auf diese Diät leichter fällt, als auf eine der beiden anderen.
Die Schwierigkeit, vereinbarte Ziele unter Studienbedingungen, mit in der Regel intensiverer und damit natürlich auch teurerer Betreuung (hier: Einzel- und Gruppenberatungen, „Motivations-Telefonate“, Gruppenschulung für die LebenspartnerInnen) zu erreichen, macht deutlich, wie schwierig es erst unter „real-life“-Bedingungen sein muss, empfohlene Diätvorgaben umzusetzen. Die intensivere Betreuung hatte allerdings auch den positiven Effekt einer geringen Drop-out-Rate nach zwei Jahren (15,5%).
Die vor kurzem im NEJM erschienene Arbeit von Sacks FM et al. untersucht über 2 Jahre den Effekt von Diäten verschiedener Nährstoff-Zusammensetzungen (Energieaufnahme% Fettrotein:Kohlenhydrate:
1. 20:15:65%,
2. 20:25:55%,
3. 40:15:45%,
4. 40:25:35%) auf die Gewichtsabnahme (N Engl J Med 2009: 360:859). Im Vergleich mit anderen Studien (Yancy WS; Ann Intern Med 2004; 140:769; Samaha FF; N Engl J Med 2003; 348:2074; Stern L; Ann Intern Med 2004; 140:778; Foster GD; N Engl J Med 2003; 348:2082) war der Beobachtungszeitraum länger, fast 40% der ProbandInnen waren Männer, die Drop-out Rate war geringer, die ProbandInnen wurden intensiv betreut und die Compliance wurde mit objektiven Biomarkern überprüft.
Nach 6 Monaten hatten die TeilnehmerInnen im Mittel 6 kg abgenommen, nach einem Jahr begannen sie wieder zuzunehmen. Nach 2 Jahren wogen sie im Mittel noch immer 4 kg weniger als zu Studienbeginn. Das Ausmaß der Gewichtsreduktion war unabhängig von der Nährstoffrelation. Allerdings gab es in jeder Gruppe Probanden, die mehr Gewicht verloren und bei denen die Gewichtsabnahme auch nachhaltig war.
Die Autoren beschreiben einen Zusammenhang zwischen der Gewichtsabnahme und der Teilnahme an den Gruppentreffen (-0,2 kg / teilgenommenem Treffen). Die Autoren folgern, dass die Teilnahme die Adhärenz an die Diätvorgabe fördere. Allerdings wurden in dieser, wie auch in anderen, vorhergehenden Studien (Gardner CD; Ann Intern Med 2005; 142: 725), die Diät-Ziele nur teilweise erreicht. Nach sechs Monaten konsumierte die „proteinreiche“ Gruppe 4.2% und nach 2 Jahren 1.4% mehr Protein statt der geplanten plus 10%. Statt 30% mehr Kohlenhydrate konsumierte die „KH-reiche“ Gruppe nur um 6% mehr. Leider wurde die Zufuhr der Ballaststoffe in dieser Publikation nicht dokumentiert - sie hätte Aufschluss über die Art der konsumierten Kohlenhydrate geben können.
Bereits 2005 haben Dansinger ML et al. gezeigt, dass eine Gewichtsreduktion unabhängig von der Nährstoffzusammensetzung immer dann gelingt, wenn die Energieaufnahme nachhaltig reduziert wird (JAMA 2005; 293:43). Da in der Praxis der Ernährungsberatung die Übergewichtigen nicht in eine bestimmte Diätgruppe randomisiert werden und die gewünschte Ernährungsumstellung auch an die individuellen Vorlieben und Möglichkeiten angepasst wird, sollte sich die Adhärenz noch steigern lassen.
Gruppenberatungen können die Motivation der Übergewichtigen und Adipösen steigern, erleichtern den Umgang mit Widerständen und Rückschlägen und fördern die Bereitschaft, den Lebensstil anhaltend zu verändern. Auf der individuellen Ebene ist daher die Unterstützung in Form von Einzel- oder Gruppenschulungen zu begrüßen.
Allerdings muss diese, zumindest in Österreich, von den Übergewichtigen und Adipösen selbst finanziert werden. Die Erfahrung in unserer Adipositasambulanz zeigt aber auch, dass die Adhärenz an eine kostenlose Gruppenschulung gering ist, frei nach dem Motto „was nichts kostet, ist nichts wert“.
Die Veränderung des Ernährungsverhaltens und die Gewichtsreduktion ist darüber hinaus auch noch von anderen Faktoren wie Bildung und sozio-ökonomischem Status abhängig (Davis EM; Am J Public Health 2005; 95:1539). In der vorliegenden Studie hatten 70% der TeilnehmerInnen zumindest einen College-Abschluss, 76% verfügten über ein Haushaltseinkommen von zumindest 50 000$, 96% (56% lebenslang) waren Nichtraucher*Innen. Es kann bezweifelt werden, ob bei geringerem Bildungsniveau und Haushaltseinkommen ein ähnlicher Effekt erzielbar gewesen wäre.
Klinische Folgerungen
Was also tun, wenn sogar motivierte und gebildete Adipöse im Mittel „nur“ 4 kg in 2 Jahren abnehmen können? Wir meinen, dass es hoch an der Zeit ist, die Debatte über die beste Diät zur Gewichtsreduktion zu beenden. Es ist offensichtlich, Übergewichtige und Adipöse haben eine geringe Chance in einer dickmachenden („obesogenic“) Umgebung mit leichtem Zugang zu billigen energiereichen Lebensmitteln, großen Speise-Portionen beim Außer-Haus Essen und den vielen „Hilfsmitteln“, die körperliche Aktivität verhindern, ihr Normalgewicht nachhaltig zu erreichen. Kindern und Jugendlichen wird es schwer gemacht, nicht dick zu werden.
Um die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas entscheidend zu beeinflussen, braucht man daher auch nicht neue „Abnehm-Studien“ und die Aufforderung an das Individuum Verhalten (Energieverbrauch und -aufnahme) zu modifizieren (Mikroebene), sondern auch eine effektive Veränderung der Verhältnisse im Bereich der Schulen, Betriebe und Gemeinden (Mesoebene). Die regionale und nationale Politik (Bildungs-, Verkehrs-, Gesundheits- und Ernährungspolitik; Mesoebene) müssen endlich gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, damit eine Änderung der Verhältnisse dauerhaft möglich ist. Die französische Interventionsstudie auf Gemeinde-Ebene (Fleurbaix and Laventie in Nord-Frankreich) von Romon M et al. (Public Health Nutr 2008; 1) lässt hoffen, dass nachhaltige Veränderungen der Adipositasprävalenz möglich sind.
Nicht zu vergessen, dass die Makroebene mit ihren globalisierten Märkten diesen Prozess ebenfalls entscheidend beeinflusst (s. auch WHO Minis*terkonferenz 2006).
Dr. Karin Schindler
Prof. Dr. Bernhard Ludvik
Klinik f. Innere Medizin III
Klin. Abteilung f. Endokrinologie und Stoffwechsel
Medizinische Universität Wien