Kritik
Deutschland
Kritik staatlicher Institutionen
Die Bundesbank warnte in einer offiziellen Stellungnahme vom 19. September 2011: „[…] Mit den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets und der EU-Organe vom 21. Juli 2011 wurden an entscheidenden Stellen erneut Änderungen an den Reformvorhaben vorgenommen. Es wurde beschlossen, den Instrumentenkasten der EFSF (und des zukünftigen ESM) deutlich auszuweiten. […] Mit diesen Beschlüssen erfolgt ein weiterer großer Schritt in Richtung gemeinschaftlicher Haftung und geringerer Disziplinierung durch die Kapitalmärkte, ohne dass im Gegenzug die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die nationalen Finanzpolitiken spürbar verstärkt werden.“
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Am 13. und 14. September 2011 fand in Wiesbaden die Konferenz der Rechnungshofpräsidenten des Bundes und der Länder statt. Die Teilnehmer sprachen sich dafür aus, eine wirksame, mit Prüfungsrechten ausgestattete öffentliche Finanzkontrolle des ESM einzurichten.
[67]
Nach Ansicht des
Sachverständigenrates wurde mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus noch nicht das Problem behoben, dass die Auslösung der Restrukturierung eine politische Entscheidung bleibt. Die Möglichkeit einer Insolvenzverschleppung besteht weiterhin, weshalb die Folgen von staatlichen Schuldenkrisen für die Gläubiger weiterhin nur schwer vorhersehbar sind.
[68] Er fordert zudem als notwendiges ergänzendes Element eine dauerhafte Entkopplung von Banken- und Schuldenkrise.
[69]
Weitere Kritik
Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer kritisiert das Folgende: „Im Gegensatz zu anderen EU-Institutionen, wie der EU-Kommission, ist keine parlamentarische Kontrolle vorgesehen. Es gibt auch keinen parlamentarischen Einfluss auf sein Wirken. Der ESM wird mit wenigen Ausnahmen (z. B. EuGH-Zuständigkeit bei Schlichtungsverfahren) in kein vorhandenes System der Gewaltenteilung eingebunden. Seine Tätigkeit ist nicht öffentlich und nicht transparent.“ Das Direktorium würde somit das eingezahlte Grundkapital nach eigenem Ermessen veranlagen. Der ESM hätte zudem die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. Obwexer kritisiert, dass trotz dieser erlaubten Finanzgeschäfte keine Prüfung durch den EU-Rechnungshof vorgesehen ist. Die Rechnungsprüfung erfolge laut Vertrag durch externe Prüfer, die vom Gouverneursrat beauftragt würden.[70]
Die Einführung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus wurde unter anderem vom
ifo Institut für Wirtschaftsforschung kritisiert, dessen Präsident
Hans-Werner Sinn davor warnte, dass der Rettungsschirm für Deutschland „ein unkalkulierbares Abenteuer“ und „eine sichere Wachstumsbremse“ darstelle. Er begründete dies unter anderem damit, dass Deutschland de facto die Gewährleistung für die Schulden der anderen Eurostaaten übernehme und dadurch die
Refinanzierungskosten für den deutschen Staat steigen würden.
[71] Er plädiert für die kontrollierte Beendigung des Milliardentransfers in hilfsbedürftige Länder und kritisiert die Bundesregierung und den Bundestag dafür, durch Versäumnisse zur Forderung nach eindeutigen Kreditbedingungen den Euro zu schwächen und das europäische Einigungswerk zu gefährden.
[72]
Der Vorsitzende der
Stiftung Ordnungspolitik und des
Centrums für Europäische Politik,
Lüder Gerken, kritisiert, dass der Stabilitätsmechanismus den Kern des Problems der südeuropäischen Länder nicht erfasse: Dieses liege nicht in der Staatsverschuldung allein, sondern in der Verschuldung der Gesamt
volkswirtschaft aufgrund des anhaltenden
Leistungsbilanzdefizits. Diesem könne nur durch realwirtschaftliche Reformen begegnet werden. Solche Reformen seien zwar in den vereinbarten Mechanismen vorgesehen, indem die Gewährung der Finanzhilfen an „strenge Auflagen“ geknüpft werden soll; Gerken gibt aber zu bedenken, dass diese Auflagen in der Praxis nicht mit der notwendigen Strenge durchgesetzt werden können, da die übrigen Euro-Staaten einem insolvenzgefährdeten Mitgliedstaat Finanzhilfen kaum versagen könnten und daher ihre Verhandlungsposition geschwächt sei. Gerken sieht in dieser Verschleppung notwendiger staatsinterner Reformen die Gefahr einer dauerhaften Inanspruchnahme des Stabilitätspakts durch einige Länder und betrachtet die Maßnahmen als – nicht beabsichtigten, aber hingenommenen – Weg in die „Schuldenunion“.
[73]
Insbesondere der FDP-Bundestagsabgeordnete und -Finanzpolitiker
Frank Schäffler kritisierte den Rettungsschirm vehement. Unter anderem warf er dem
Europäischen Rat vor, „kollektive Rechtsbrüche“ der Nichtbeistandsklausel zu begehen sowie eine „wirtschaftspolitische Zentralisierung und den grenzenlosen Primat der Politik über die Wirtschaft in der Europäischen Union“ und eine „monetäre Planwirtschaft“ anzustreben.
[74] Ein FDP-Mitgliederentscheid wird von ihm und anderen FDP-Politikern wie
Burkhard Hirsch vorbereitet.
[75]
Ebenso kommt Kritik von einigen CSU-Politikern, die das Vorhaben der Regierung Merkel nicht mittragen wollen.
Der Ökonom
Max Otte kritisierte die geplante europäische Regelung für einen Stabilisierungsmechanismus zur Euro-Absicherung und die Position von Bundeskanzlerin
Angela Merkel: „Milliardäre und Oligarchen – das sind die Akteure, die wir ,retten'.“
[76]
Auf dem Treffen der EU-Finanzminister und Notenbankchefs in
Breslau am 17. September 2011 lehnte Bundesbankpräsident
Jens Weidmann die Anleihenkäufe durch den europäischen Rettungsfonds EFSF ab. Die Variante, den Rettungsfonds mit einer Banklizenz auszustatten, um bei der EZB frisches Geld für Anleihenkäufe zu besorgen, negierte Weidmann mit der Begründung, die politische Unabhängigkeit der EZB dürfe nicht zur Finanzierung von Staatsschulden herangezogen werden, „egal ob über einen Umweg oder direkt“.
[77] Jedoch braucht der ESM keine Banklizenz, da er sie durch den Vertrag zugebilligt bekommt.
[78]
Nach Bekanntwerden des Vorziehens des ESM in das Jahr 2012 forderte der
Bund der Steuerzahler am 5. Dezember 2011 den Deutschen Bundestag auf, der Schaffung eines ESM in jedem Fall die Zustimmung zu verweigern. Folgende Mechanismen des ESM wurden gerügt:
- der ESM-Gouverneursrat kann letztlich unbegrenzt hohe Kreditsummen bewilligen;
- die Steuerzahlerbürgschaften sind damit unbegrenzt;
- kein Austrittsrecht für ESM-Mitgliedstaaten;
- unzureichende Beteiligung privater Gläubiger.
Der Bund der Steuerzahler fürchtete um die finanzpolitische Souveränität Deutschlands. Außerdem setze die vorzeitige Einführung die nationalen Parlamente zusätzlich unter Druck.
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Im überparteilichen Bündnis Bürgerwille haben sich Tausende Bürger, u. a. namhafte Personen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, zusammengeschlossen, um gegen die Euro-Rettungspolitik vorzugehen.
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