Sind "psychische Krankheiten" objektivierbar? Thomas Insel NIMH

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Hallo,

vielleicht ergänzend meinerseits: Das BPS Modell geht davon aus, dass der Betroffene eine Vermeidungsstrategie fährt. Die ÄK Nordrhein spekulierte bspw., ob es sich bei CFS "um einen durch Zeitgeist und Medienverstärkung bedingten Ausdruck menschlicher Bewältigungsprobleme in den Industrieländern handelt". Häufig liest man auch davon, dass der CFS-Kranke einen "sekundären Krankheitsgewinn" anstrebt. Infolge einer organisch unbegründeten Schonhaltung verschlimmere sich die körperliche Hinfälligkeit, wodurch sich ein Circulus vitiosus ergebe, der mit gesteigertem körperlichen Training ("Therapie") gestoppt und zurückgeführt werden soll.

Da es in der Broschüre der ÄK Nordrhein keine Hinweise auf das Copyright gibt und auch die Vervielfältigung und Weitergabe nirgends untersagt ist, hänge ich das fragwürdige Werk unten als pdf an.

Und hier (patientenlobby.net/recht/patientenlobby-fordert-die-ruecknahme-des-positionspapiers-cfs-der-aerztekammer-nordrhein/) gibt es auch gleich nochmal die begründete Kritik, Punkt für Punkt. (Scrollen bis Rücknahmeforderung als PDF) Man muss wirklich in die Quellen schauen, um den Betrug vollumfänglich zu erkennen.

Grüße
 

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Hallo,

vielleicht ergänzend meinerseits: Das BPS Modell geht davon aus, dass der Betroffene eine Vermeidungsstrategie fährt. Die ÄK Nordrhein spekulierte bspw., ob es sich bei CFS "um einen durch Zeitgeist und Medienverstärkung bedingten Ausdruck menschlicher Bewältigungsprobleme in den Industrieländern handelt".

Hallo castor!

Wenn du Lust und Zeit hast, würde mich interessieren, wie du diese Definition des BPS findest:
biopsychosoziales Krankheitsmodell - Lexikon der Psychologie

Da stehe ich hier im Thread natürlich haarscharf auf der Kante.
Aber eben nur haarscharf.....
Das:
Häufig liest man auch davon, dass der CFS-Kranke einen "sekundären Krankheitsgewinn" anstrebt. Infolge einer organisch unbegründeten Schonhaltung verschlimmere sich die körperliche Hinfälligkeit, wodurch sich ein Circulus vitiosus ergebe, der mit gesteigertem körperlichen Training ("Therapie") gestoppt und zurückgeführt werden soll.

Finde ich fürchterlich.
Wer erlebt hat, was eine Zustandsverschlechterung nach erzwungenem Übergehen müssen eigener Kraftgrenzen bedeutet, bekommt das kalte Grausen.
Ebenso beim Einsatz von Psychopharmaka.
Zur Psychotherapeutischen Unterstützung hat Tiga hier einmal etwas geschrieben.
https://www.symptome.ch/threads/psychotherapie-nicht-besser-als-die-pharmabranche.97478/#post-744493

Liebe Grüße von Felis
 
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Hi castor,

das ganz ursprünglich von Engel formulierte BPS-Modell war, meiner Meinung nach, recht "bodenständig" in dem Sinne, dass er Wechselwirkungen "Gefühle - körperliches Befinden" beobachtet hat (ein Kind hatte eine sog. Magenfistel für die Ernährung; da meinte er beobachten zu können, wie sich eine Entzündung der Magenschleimhaut gemäß der Gefühlslage verändert); ein bisschen simpel, das war bestimmt schon vorher bekannt, dafür braucht's kein Modell. ABER seine Postulat beruht auf Beobachtung (Empirie) - das hätte man in der Richtung weiterverfolgen sollen im wissenschaftlichen Sinne.

So wie ich das also verstanden haben, hat Engel aufgrund dieser Beobachtung postuliert: Soziales und Gefühle (mal gleich zur Psyche erweitert, die umfasst ja laut Definition sehr viel mehr als Gefühle) beeinflussen den Körper.

Wie gesagt, für mich klar (wenn ich die Psyche streiche) - nur der Schritt zur Krankheit, das ist ein großer!

Jetzt ist das BPS-Modell ja eigentlich ein Krankheitsmodell. Diese grundlegende Beobachtung wurde also erweitert (weiß grad nicht, ob durch Engel selbst oder die Nachfolger), um "unbekannte Krankheiten" zu erklären. Diese Erweiterung ist und bleibt Spekulation.

Liest man neuere Aussagen, denen das BPS-Krankheitsmodell zugrunde liegt, so gehen diese viel weiter. Ich hatte dabei große Probleme, die Originalidee von Engel wiederzufinden.

Dein Beispiel

castor schrieb:
Das BPS Modell geht davon aus, dass der Betroffene eine Vermeidungsstrategie fährt.

trifft das sehr gut.
Nicht nur eine Vermeidungsstrategie - die ist ja quasi Folge des eingebildeten Krankheitskonstrukts.

Man muss sehr genau schauen, was das BPS-Modell aussagt, das heute eigentlich ein Krankheitsmodell ist und Engels Grundaussage sehr weit weiter gesponnen hat, ohne dies anhand der Realität objektiv zu belegen.

Das gefährliche für mich ist: Die meisten sagen, "aber das ist doch so, Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper, und klar, das Umfeld spielt da mit rein."

Die BPS-Anhänger sagen aber sehr viel mehr. Zumindest am Anfang gab es darüber innerhalb der Psychologie einen Diskurs, irgendwie hat es das Modell nun in die Lehre geschafft.

Danke übrigens für die Dokumente! :)
 
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Hallo Felis,

Sehe grad, Engel hat tatsächlich schon den Krankheitsbegriff verwendet...

Man findet zum BPS-Modell etliche Erklärungen, die sich mitunter unterscheiden.

Jeder darf für sich an etwas glauben. Auch an das BPS-Krankheitsmodell. Wie oben gesagt, meine ich, das berührt viele Menschen, die sofort ja dazu sagen.

Objektive Beweise gibt es nicht, desgalb sage ich: glauben.

Nicht alles kann und muss man beweisen.

Sobald man aber die Allgemeinheit "mit rein zieht", muss das sauber laufen, und d.h. wissenschaftlich. Sonst landen wir direkt im Mittelalter, wo's ne Hexe war, wenn sie mit dem Holzklotz am Bein oben schwamm, und keine Hexe, wenn sie ertrank.

Für mich hört das "alles glauben dürfen auf", wenn andere dadurch Leid erfahren müssen.
(Damit meine ich ganz offensichtlich nicht dich, denn zumindest hier erfährt niemand durch dich Leid).

Und die BPS-Anhänger fügen sehr viel Leid zu.

Man erkennt die grundlegende Idee in ihren Aussagen nicht mehr. Worin z.b. steckt das BPS-Modell in dieser Überzeugung?

castor schrieb:
Das BPS Modell geht davon aus, dass der Betroffene eine Vermeidungsstrategie fährt. Die ÄK Nordrhein spekulierte bspw., ob es sich bei CFS "um einen durch Zeitgeist und Medienverstärkung bedingten Ausdruck menschlicher Bewältigungsprobleme in den Industrieländern handelt". Häufig liest man auch davon, dass der CFS-Kranke einen "sekundären Krankheitsgewinn" anstrebt. Infolge einer organisch unbegründeten Schonhaltung verschlimmere sich die körperliche Hinfälligkeit, wodurch sich ein Circulus vitiosus ergebe, der mit gesteigertem körperlichen Training ("Therapie") gestoppt und zurückgeführt werden soll.

Oder wobei steckt es in der Aussage, man solle keine finanziellen Anreize für krankheitsverstärkendes Verhalten liefern (S3-Leitlinie NFS, siehe oben)?
(Es gibt in unserem "Sozialsystem" keine finanziellen Anreize - ich verstehe immer mehr, dass das Absicht sein muss. Oder findet hier irgendwer Hartz IV oder EU-Rente, die man mit Hartz IV aufstocken muss, als einen Anreiz, z.b. für Krankheit?)

Also, die Erweiterung der grundlegenden Beobachtung "Gefühle <-> Körper" zu "psychosoziale Einflüsse machen krank" ist schon ein riesiger Sprung, der nicht bewiesen wurde oder wird.
Im ursprünglichen Modell spielte auch die Wechsekwirkung zwischen Körper und Gefühle eine Rolle. Das wird heute praktisch verdrängt (siehe z.b. Leitlinie S3).

Man kann jede Theorie missbrauchen. Meiner Meinung nach tun das die BPS-Leute. Im Endeffekt unterstellen sie ME'lern, MCS'lern, Reizdarmlern, Fibromyalgikern und all den anderen mit noch unbekannten, undiagnostizierten Krankheiten eine Form von Hypochondrie (s. Henningsen). Auch deshalb ist Objektivierbarkeit so wichtig.
 
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Hallo Felis,

ich sehe das BPS als Fortschreibung und Ausnutzung des Versagens der organbezogenen Medizin.

Chronische Krankheiten sind die Folge von Fehleinschätzungen und Fehlbehandlungen, sonst wären sie nicht vom akuten in den chronischen Status übergegangen. Zwar nicht immer sofort ersichtlich, sind sie häufig sogar iatrogen. Insbesondere denke ich in diesem Zusammenhang an den Terminus des Überschreitens der MT-Schwelle (mitochondriale Schwelle) von Kuklinski. Oftmals bringt erst die unreflektierte ärztliche Intervention mit pharmazeutischen Produkten das Fass zum Überlaufen.

Natürlich tut sich ein System, das die initial akute Problematik nicht analysieren und behandeln konnte, umso schwerer bei der Behandlung chronischer Krankheiten. Irgendwann kommt der Punkt, wo der Patient nur noch lästig ist. Ist der Arzt zu blöd, wird der Patient irgendwann "schwierig". (Wer mal in geschlossenen Arztforen stöbern konnte, bekommt wegen der dort nicht selten fallenden Menschenverachtung das kalte K****.)

Wohin mit dem Patienten? Jetzt werde ich böse: Die Aasfresser sind am Zug. Es wird ein Konstrukt erstellt, dass eine Krankheit, die mit den medizinischen Leitlinien nicht zu beseitigen war, andere, noch nicht berücksichtigte Faktoren haben muss. Statt den Fehler systemkritisch in den eigenen Reihen zu suchen, wird der Patient gerne an die Psys abgegeben. Beide Lager sind sich eigentlich spinnefeind, aber einmal mehr siegt der Opportunismus.
“Far from being unimportant, somatoform disorders are an essential keystone to maintaining the integrity of both medicine and psychiatry. Hence, it can be argued that the existing disease focussed approach to illness practiced by modern Western medicine can only survive as long as the large numbers of patients whose somatic symptoms are not ‘‘explained’’ by disease are conveniently removed.”

(Somatoform disorders - new approaches to classification, conceptualization, and treatment, in Journal of Psychosomatic Research, 2004)
Ich halte vom BPS nichts. Und deshalb enthalte ich mich auch der Bewertung einer Definition.

Hier noch ein vielsagendes Zitat:
„Das Ziel muss die Umwandlung aller Gesunden in Kranke sein, also in Menschen, die sich möglichst lebenslang sowohl chemisch-physikalisch als auch psychisch für von Experten therapeutisch, rehabilitativ und präventiv manipulierungsbedürftig halten, um „gesund leben“ zu können. Das gelingt im Bereich der körperlichen Erkrankungen schon recht gut, im Bereich der psychischen Störungen aber noch besser, zumal es keinen Mangel an Theorien gibt, nach denen fast alle Menschen nicht gesund sind.“
(Gesundheitssystem: In der Fortschrittsfalle, Deutsches Ärzteblatt 2002; 99: A 2462–2466 [Heft 38])
Grüße
castor
 
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Hallo castor,

vielen Dank für deinen Beitrag! Es haben soch nochmal ein paar Puzzlestücke gefügt. Und du hast viel besser zum Ausdruck gebracht, was das BPS-Modell HEUTE ist.

castor schrieb:
ich sehe das BPS als Fortschreibung und Ausnutzung des Versagens der organbezogenen Medizin.

Man hat hier vielleicht mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen kann die Politik nun behaupten, die gesundheitliche Versorgung in Deutschland sei hervorragend. Zum anderen ist es aus rein wirtschaftlicher Sicht (besseres Gewinn zu Aufwand-Verhältnis, also größere Gewinnspanne) einfach vorteilhafter, dauerhaft Kranke mit Psychotherapie zu behandeln. In dem Sinne ist es auch wünschenswert, immer mehr "Kranke" zu produzieren.

Hier eine Kritik des DSM-V von Wikipedia:
Die Anzahl der im DSM aufgeführten Krankheiten und Störungen ist stetig von 106 (DSM-I) auf 374 (DSM-5) angestiegen.[7]

Dies könnte u.a. daran liegen, dass viele der ins DSM-5 neu aufgenommen Diagnosen möglicherweise wissenschaftlich nicht genug überprüft und die Schwellwerte für ältere Diagnosen gesenkt wurden.[8] Eine Studie der University of Massachusetts Boston fand heraus, dass 69 % der DSM-5-Mitarbeiter Verbindungen zur Pharmaindustrie hatten; bei der Arbeitsgruppe zu affektiven Störungen waren es 83 % und bei den für Schlafstörungen zuständigen Autoren waren es 100 %.[9]

Durch die Möglichkeit, jede Verhaltensauffälligkeit als „milde“ Störung zu diagnostizieren, befürchten Kritiker eine Inflation von Diagnosen, die den Betroffenen dann lebenslang anhängen können.[10][11] Prominentester Kritiker ist der US-amerikanische Psychiater Allen Frances, der ehemalige Vorsitzende der DSM-IV-Kommission.[12] Auch das National Institute of Mental Health (NIMH) mit ihrem Leiter Thomas Insel kritisiert das DSM-5 für einen Mangel an Validität, obwohl er dessen hohe Reliabilität als Stärke anerkennt.[13]


castor schrieb:
Chronische Krankheiten sind die Folge von Fehleinschätzungen und Fehlbehandlungen,

Ein Beispiel: ich. Mit dem Darm fing's an (AB wegen Blasen- und unerkannter Nierenentzündung; kam erst später raus). Da hab ich dann gemerkt, irgendwas ist faul mit den Ärzten. Schlechteste Diagnostik und sofort Psycho-Diagnose Reizdarm. Diese Lebensphase war die schönste, die ich hatte, und mir wurde gesagt, dass meine abartigen Bauchschmerzen von der Psyche kämen.

Damals glaubte ich noch, Ärzte wüssten Bescheid und wollten mir helfen.

Rückblickend bin ich mir sicher, jeder hätte massiv Geld gespart, wenn man EINMAL einen Vollumschlag gemacht und sich dann die Zusammenhänge angeschaut hätte. Erstens kann das aber kaum einer, zweitens bin ich mir nicht sicher, ob das erwünscht wäre.

castor schrieb:
Oftmals bringt erst die unreflektierte ärztliche Intervention mit pharmazeutischen Produkten das Fass zum Überlaufen.

Ich persönlich meide Medikamente, wo es geht, eben aus diesem Grund.

Aber das Recht zur Ablehnung von Behandlung endet, wenn man staatliche Leistungen bezieht. Dann geht nämlich das "Gemeinwohl" vor; was unterstellt, dass andere besser wissen, was gut für mich ist, und wenn man freie Hand lässt, schadet man der Staatskasse. Da hat man dann eine "falsche Krankheitsüberzeugung", und man kann nur noch mit Zwang "helfen".
Das Grundrecht endet, wenn es ums "Gemeinwohl" geht - was immer das aus politisch-rechtlicher Sicht ist.

castor schrieb:
Ist der Arzt zu blöd, wird der Patient irgendwann "schwierig".

Total wichtig!
Das liest man auch im "Pocket Guide für Psychologie", dass die "somatoform Gestörten" besonders anstrengend sind.

castor schrieb:
Wer mal in geschlossenen Arztforen stöbern konnte, bekommt wegen der dort nicht selten fallenden Menschenverachtung das kalte K****

Dafür muss man nur mit denen reden und beobachten. Ihre Menschenverachtung schlägt einem in den meisten Fällen ins Gesicht, es sei denn, man kommt mit Erkältung.

Wohin mit dem Patienten? Jetzt werde ich böse: Die Aasfresser sind am Zug. Es wird ein Konstrukt erstellt, dass eine Krankheit, die mit den medizinischen Leitlinien nicht zu beseitigen war, andere, noch nicht berücksichtigte Faktoren haben muss. Statt den Fehler systemkritisch in den eigenen Reihen zu suchen, wird der Patient gerne an die Psys abgegeben.

Ich meine, das trifft es sehr gut.
Das Gesundheitssystem wird wirtschaftlich zur Dienstleistungsbranche gezählt.

Für mich mündet letzten Endes alles in der neoliberalen Ideologie. Und das führt wiederum zum Geld: Die Reichen wollen reicher werden, und sie wollen Schutz vorm "armen Pöbel".

Erfreulich finde ich, dass es zumindest ein paar Psychotherapeuten gibt, die dem Menschen wirklich begegnen und sogar die "neoliberalen Werte" kritisieren (z.b. https://m.youtube.com/watch?v=4rBtE0ytAUE).


Danke für die Literatur übrigens!
 
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Hallo Felis,

hab in den Thread hier geschaut:

Felis schrieb:

Tiga spricht von einer "Utopie" im nachfolgenden Post, der Utopie "für alle eine anständige, adäquate Behandlung".

:eek:fftopic:

Warum ist das eigentlich eine "Utopie"?
Wagen wir einfach nicht weiterzudenken, z.b. um das zu erreichen, was gut wäre, und nicht das, was Geld macht?
Finanzielle Mittel sind genügend da. Warum also "Utopie"?

Dass Psychotherapie aus dem "Neurologen-Budget" bezahlt wird, wusste ich gar nicht. Und wieder grrr... :mad:
 
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Hallo Bumblebee

Für mich mündet letzten Endes alles in der neoliberalen Ideologie.
Einspruch! Es wäre ganz im Gegenteil wünschenswert, dass das Gesundheitssystem nach liberalen Regeln aufgebaut wäre. (überhaupt - "neoliberal"?) Dann würde echter Wettbewerb die Spreu vom Weizen trennen. Immerhin legt ein Arzt zwei Staatsexamen ab. Und anschließend wird er entmündigt, darf nicht nach eigenem, wissenschaftlichen Ermessen mit dem Patienten die beste Lösung wählen? Wäre die Gängelei der Selbstverwaltung (also die Selbstverwaltung selbst) abgeschafft, hätten Innovationen eine echte Chance. Was wir derzeit haben ist erzkonservativ mit Resten von Braun und sozialistischer Gleichmacherei. Gelder werden nämlich an die Ärzte mit dem Gieskannenprinzip verteilt. Dr. Klaus Oehler schrieb in einem Artikel der Zeitschrift Medizinisches Recht (1999, S.367 f.): „Gute Qualität wird durch Pauschalprüfung bestraft, schlechte Qualität belohnt.“ Das ist tatsächlich der genaue Gegenentwurf zur Liberalität.

Im Deutschen Ärzteblatt vom 26. März 2009 appellierte der Vorsitzende der größten Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands in Bayerns, Dr. Axel Munte, das System so umzubauen, „dass die besten Ärzte das meiste Geld bekommen.“ Er rief alle Mediziner auf, Ihrer sozialen Verantwortung nach zu kommen. Es seien schon zu viele Patienten gestorben. Beispielhaft hat seinerzeit die KV Bayern die Qualitätsoffensive „Ausgezeichnete Patientenversorgung“ gestartet und nur noch den bestqualifizierten Ärzten gestattet, Darm- und Brustkrebsvorsorge durchzuführen. „Wenn uns diese Reform der KV nicht gelingt“, so Munte, „sollten wir sie abschaffen und in eine privatwirtschaftliche Organisation überführen, ohne Zwangsmitgliedschaft und Körperschaftsstatus.“

Die Qualitätsoffensive von Munte förderte übrigens haarsträubende Zustände zutage. Im Jahr 2000 haben 1.000 bayerische Ärzte Darmspiegelungen vorgenommen. Heute dürfen das nur noch 450, weil die restlichen 55% die Standards nicht erfüllen. (Dr. Axel Munte auf Arte, 17.11.2011) Koloskopien sind u.U. sehr gefährliche Eingriffe. Bisweilen kommt es zu Darmperforationen und lt. Munte waren bei einer Untersuchung 70% der Geräte nach der Desinfektion noch verkeimt. Diese Zahlen rechnet man besser nicht auf das Bundesgebiet und andere Facharztgebiete hoch.

Danke für die Literatur übrigens!
Bitteschön!
 
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Hi castor,

neoliberal heißt nicht "neu-liberal" oder "modern liberal".

Ich muss dir ehrlich sagen, ich habe mir noch keine detaillierten Gedanken gemacht, welches Gesundheitssystem es bräuchte, um gut genannt zu werden. (Damit meine ich z.b. auch, es konkret durchzurechnen.) Ich bin mir sicher, weder ein vollkommen "freier Markt" wird es richten (Gegenbeispiele gibt es genügend) noch ein durchreguliertes System.

„dass die besten Ärzte das meiste Geld bekommen.“

...sollten wir sie abschaffen und in eine privatwirtschaftliche Organisation überführen...

Die kassenärztliche Vereinigung hat auch gewisse Interessen... :)

Sozial-Darwinismus (nur der beste) und Privatisierung (nur der reichste). Was ist mit den andern, die nicht die besten und reichsten sind?
Und wer bestimmt, wer der beste ist? (Thema Korruption)
Wobei es ja schon erstrebenswert wäre, das lehne ich nicht ab.

Ich sehe ein, dass es in Bezug auf medizinische Versorgung kaum Spielraum für "Minderleistung" gibt. Dann doch die "Berufung" und Leidenschaft des Arztes...Aber: Wie findet man die leidenschaftlichen Ärzte?

Ich glaube, man muss nicht der beste Arzt sein, um jemandem zu helfen. Es ernst zu meinen und sich Mühe zu geben, das wär doch schon mal was.

Wettbewerb - es gibt einen Gewinner, und etliche Verlierer. Was soll mit den "Verlierern" passieren? Dürfen die nicht mehr leben?
"Survival of the fittest" - im Sinne der Evolutionsbiologie sinnvoll, aber meiner Meinung nach nicht menschlich. Es gibt halt noch die ganzen "Durchschnittlichen" und "Minderleister", Kranken und Alten.
Das hast du vielleicht nicht gemeint?

Meiner Meinung nach sollten ökonomische Motivationen und Prinzipien in der Fürsporge (Pflege, Gesundheit, andere Sozialleistungen, Bildung...) keinen allzu großen Raum einnehmen. Da gehts ja immer um Gewinnmaximierung. Gerade im Gesundheitsbereich lassen sich Effizienz (Kostensenkung) mit gleichzeitig höherer Qualität nicht erreichen (hatte, glaube ich, einen Artikel einer Ökonomin verlinkt, die dazu was gesagt hat).

Weil das jetzt sehr off-topic ist, soll es das dazu gewesen sein meinerseits. :) sorry.
 
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Im übrigen lehne ich persönlich das bio-psycho-soziale Modell und die Behauptung, soziale Umstände führten zu Krankheiten (wie ME oder Fibro oder MCS) ab, insbesondere auch, weil objektiv-wissenschaftliche Beweise fehlen. ...

so etwas ist auch schwierig zu beweisen und wer hätte Interesse daran, das zu finanzieren?
Natürlich kann man etwas für sich ablehnen, trotzdem kann es wahr sein, ob bewiesen oder nicht.
 
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Hier ein Zitat aus dem Artikel, den castor genannt hat - fand ich sehr interessant.

...
- Wenn Gesundheit zur Dienstleistung und damit zur Ware wird,
- wenn jede medizinische Einrichtung zu Gewinnmaximierung durch Leistungsexpansion verurteilt ist,
- wenn Wettbewerb zwar kurzfristig Kosten senken kann, was jedoch durch Mengenausweitung mehr als kompensiert wird
– dann muss man sich nicht wundern,
- dass schließlich künstlich Bedürfnisse erfunden werden, die man als Wunscherfüllung für den Kunden zu befriedigen verspricht,
...
- dass die Tendenz vorhanden ist, gute Kunden lebenslang zu halten und zu „melken“, schlechte Kunden aber an die Konkurrenz weiterzureichen.

entscheidender ist jedoch die Doppelzange aus Markt und Bürokratie, die die Lust und die Verantwortlichkeit der ärztlichen Tätigkeit abwürgt.

Die kostentreibende Übermacht des Marktes selbst über den Gesetzgeber macht das alle einschlägigen Gesetze dominierende Prinzip „ambulant vor stationär“ zur Lachnummer...
Beispiele:
...

Rehabilitation: Deutschland hat etwa so viele Betten in psychosomatischen Rehabilitations- und Kurkliniken wie der Rest der Welt, der unser Jammern über Geldknappheit nicht versteht, solange wir uns diesen...Zauberberg-Sumpfblüten-Zopf noch leisten. Dieser garantiert mehr Schaden als Nutzen, ... Aber wo die unsichtbare Hand des Marktes regiert, darf niemand so recht steuern, ..., egal wie katastrophal das Ergebnis für die Gesundheit ist.

Seit Rechtsanwälte, Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter von der gesetzlichen Betreuung (vormals Vormundschaft) leben können, hat sich in wenigen Jahren die Zahl der Betreuten auf etwa eine Million mehr als verdoppelt. Der neue und dynamische Berufsverband will natürlich weiter expandieren, hält daher sechs Millionen Bundesbürger für betreuungsbedürftig. Deshalb kann es nicht verwundern, dass man von der vornehmsten gesetzlichen Aufgabe der Betreuer, nämlich Betreuungen überflüssig zu machen, fast nichts spürt.

Der Wettbewerb zwingt zur Erschließung neuer Märkte...Das gelingt im Bereich der körperlichen Erkrankungen schon recht gut, im Bereich der psychischen Störungen aber noch besser, zumal es keinen Mangel an Theorien gibt, nach denen fast alle Menschen nicht gesund sind. Fragwürdig ist die analoge Übertragung des Krankheitsbegriffs vom Körperlichen auf das Psychische...
Beispiele:
...
Seit den 90er-Jahren ist die Depression weltweit als unzureichend vermarktet erkannt...dass sich von 1987 bis 1997 die Zahl der wegen Depression Behandelten von 1,7 auf 6,3 Millionen fast vervierfacht hat; entscheidend dafür war die suggestive Aufklärungskampagne und aggressive Werbung für Antidepressiva.

Inzwischen hat die Psychotrauma-Therapie den...Anspruch, möglichst alle Krisen durch Traumatisierung (früheres Gewalterlebnis, Missbrauch, Misshandlung) zu erklären und zu therapieren....Nach dem Erfurter Amoklauf blieb einer Schülerin die Äußerung vorbehalten, das Schrecklichste seien eigentlich die Psychologen gewesen, die das Alleinsein ... zu verhindern versucht hätten.

https://m.aerzteblatt.de/print/32976.htm

Hoffe, es ist ok, dass ich hier mehr vom Artikel zitiert hab. Er ist insgesamt wirklich recht interessant.
 
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Mal abgesehen davon, ob der Begriff "Depression" eindeutig und klar definiert ist, scheint es bald möglich, einen Test zu machen, der zeigt, ob tatsächlich eine "Depression" da ist oder nicht:

...

28.04.2014
Depression ist im Blut nachweisbar

ForscherInnen der MedUni Wien haben die Möglichkeit eines Bluttests zum Nachweis einer Depressionserkrankung nachgewiesen. Während Bluttests für psychische Erkrankungen bis vor kurzem noch für unmöglich gehalten wurden, zeigt eine aktuelle Studie deutlich, dass eine Depressionsdiagnostik auf diese Art prinzipiell möglich und in greifbare Nähe gerückt ist.

Der Serotonintransporter (SERT) ist ein Protein der Zellmembran, das den Transport des Nervenbotenstoffs Serotonin (im Volksmund das „Glückshormon“) in die Zelle ermöglicht. Im Gehirn reguliert der Serotonintransporter neuronale Depressionsnetzwerke. Depressive Verstimmungen lassen sich neurochemisch häufig auf einen Mangel an Serotonin zurückführen. Deshalb dient der Serotonintransporter auch als Angriffspunkt für die wichtigsten Antidepressiva.

Der Serotonintransporter kommt aber auch in großer Menge in zahlreichen anderen Organen wie dem Darm bzw. Blut vor. Studien der vergangenen Jahre wiesen nach, dass der Serotonintransporter im Blut genauso funktioniert wie im Hirn. Dort sorgt er an Blutplättchen für die notwendige Serotoninkonzentration im Blutplasma.
...
„Dies ist die erste Studie, die die Aktivität eines bedeutenden Depressionsnetzwerkes im Gehirn mittels eines Bluttests vorhersagen konnte. Während Bluttests für psychische Erkrankungen bis vor kurzem noch für unmöglich gehalten wurden, zeigt diese Studie deutlich, dass ein Bluttest zur Depressionsdiagnostik prinzipiell möglich und in greifbarer Nähe ist“
...
https://www.meduniwien.ac.at/web/ue...detail&cHash=fbc942ed728941142a58711ea763f623

Grüsse,
Oregano
 
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warum soll es das nicht auch geben? Ich schließe nichts aus, nur weil es nicht bewiesen ist.

Das darfst du auch. Ich sehe es anders: Ein Trauma wird durch eine direkte Erfahrung ausgelöst, nicht über Vererbung. Wenn der Vater aus dem Krieg zurückkehrt, Alkoholiker wird und den Sohn regelmäßig schlägt, hat der sein Trauma wegen der schlechten Behandlung weg. Fällt der Vater dagegen im Krieg, löst das vom Hörensagen kein Trauma aus. Sieht der Sohn den Vater aber sterben, dann schon.
 
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warum soll es das nicht auch geben? Ich schließe nichts aus, nur weil es nicht bewiesen ist.
Hi ullika,

ausschließen kann man's tatsächlich nicht. Da es nicht objektivierbar ist, ist es aber Glaubenssache.

Prinzipiell kann man auch die Existenz von Einhörnern und Feen nicht ausschließen. Sind bisher aber auch nicht beweisbar.

Ich will damit diese Theorie mit den generationenübergreifenden Traumata nicht klein machen. Die Hypothesen sind zumindest wissenschaftlich weder verifizierbar noch falsifizierbar. Man bewegt sich also in anderen Bereichen. Das ist ok, nur kann man nicht sagen "Es ist so".
 
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@castor: Weißt du zufällig, ob Nix immer noch Vorsitzender des Arbeitskreises CFS beim Bundesministerium für Gesundheit ist?

Da wundert mich gar nix mehr. Es ist nur noch zum Heulen und Brüllen.
 
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@Oregano:

Danke für diesen Artikel!

Was ich weiterhin nicht verstehe - wenn man nachweisen kann, dass im Körper was los ist, warum spricht man von "psychischer Erkrankung"? Also Sinn macht's mir nicht.

Was mich auch misstrauisch macht, ist das Schütteln der Werbetrommel für Antidepressiva. Mal schauen, wie die Studien finanziert wurden.

Die Studien möchte ich mir noch anschauen. Ich traue den "Psychologen-Papern" nicht über den Weg. :)

Oder weißt du mehr?
 
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Es ist bekannt, dass SSRI bei den meisten Depressionen nicht wirksam sind. Darüber hinaus scheint es keinen Beleg zu geben, dass bei einer Depression ein Serotoninmangel ursächlich wäre. Die Psychiatrie scheint mir eine gefährliche Pseudowissenschaft zu sein. Ausgiebig behandelt wird das Thema bei P. Goetzsche.
 
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@castor:

Hab im Internet geschaut und nix gefunden, also wohl nicht. Oder? Warum ist das lustig? :)
 
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