Guten Morgen Ihr Lieben,
ist schon verblüffend, wieviel Polemik man hervorrufen kann mit völlig sachlichen Fragen wie denen nach Sensitivität und Spezifität. Ich hatte wirklich gefragt, in der Hoffnung auf substantielle Antwort. Wär ja denkbar, daß es irgendwo ein paar kleine Studien gäbe, die sich diesen Fragen gewidmet hätten. Diese Bioresonanz-Verfahren sind ja originell - viele (auch ich) würden sich wünschen, daß sie verläßlich funktionieren.
Es ist aber DIE entscheidende Frage in zwischenmenschlicher Kommunikation: "Ist wahr, was wir sagen?" (Ausnahmen davon sind religiöse, poetische und persönlich-intime Kommunikation.) Und dazu braucht man halt Informationen darüber, wie man die Wahrheit feststellt, d.h. in diesem Fall über die Testmethoden. (Das Wort "Test" bedeutet schlicht Prüfung, "Methode" bedeutet Weg.) Nun ist, wie wir wissen, nichts vollkommen im Bereich der menschlichen Dinge - auch Testmethoden nicht. Manche sind sehr aussagekräftig, manche sind immer noch besser als gar nichts und andere funktionieren nicht besser als Würfeln. Das ist Gemeingut. Berühmtes Beispiel: Tumormarker. Nur zwei davon (PSA und CEA) sind für sich allein relevant, viele nur im klinischen Kontext, manche wohl gar nicht.
Und die "Wahrheitsmatrix" ist kein Gespenst sondern etwas sehr Einfaches und Sinnvolles (womit wir auch im Alltagsdenken arbeiten): Stell Dir eine Vierfeldertafel vor, mit zwei Spalten und zwei Zeilen. In den Spalten steht links die Zahl der Fälle, die eine bestimmte Infektion haben, rechts die, bei denen das nicht der Fall ist. Und in der oberen Zeile steht die Zahl der Fälle, in denen der Test positiv ausfällt, in der unteren die Zahl der negativen Testergebnisse. Nun: ein Test ist umso valider (gültiger), je größer der Anteil der Fälle links oben und rechts unten ist. Eigentlich pure Logik.
Gültigkeit gibt es immer nur für bestimmte Kollektive - nie für den Einzelfall. Also: wenn bei mir ein Testergebnis nicht zutrifft, widerlegt dies nicht die Gültigkeit eines Tests. Und wenn's bei mir zutrifft, bestätigt dies die Gültigkeit nicht. Es gibt einfach, unvermeidlich, Zufall (d.h. dasjenige, dessen Ursachrn wir nicht kennen).
Übrigens, auch Cheyenne verwendet den Begriff "Verläßlichkeit". Das ist sehr sinnvoll. Nur ist dann die (noch unbeantwortete) Frage erlaubt, wie denn Verläßlichkeit ermittelt wird. Ob das ein Eindruck auf Grund einer persönlichen Erfahrung ist oder auf umfangreicheren, systematischen Beobachtungen beruht. Unsere persönlichen Erfahrungen sind u.U. kostbar, aber nicht wirklich zu verallgemeinern.
(Wohin kann es führen, wenn man sich um Verläßlichkeit nicht kümmert oder wenn man mit diesem Begriff nicht vertraut ist? Ich fragte mal eine Bekannte, ob sie am Ort einen guten Rutengänger wisse. "Ja", sagte sie freudig, "sogar zwei gibt es. Die kommen zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen aber sie sind beide sehr gut." Ja dann.)
Die Aussage: "Es ist mir schnurzpiepegal, wie groß die Wahrheitsmatrix ist, es hat geholfen" kann man zwar sehr energisch in den Raum stellen - aber dadurch wird sie nicht wahrer. Was "geholfen" hat, ist generell sehr schwer festzustellen - und im Einzelfall überhaupt nicht. Der Satz kann leider auch so verstanden werden, daß es mir egal sei, ob meine Aussage für andere zutrifft, ob denen auch "geholfen" werden kann auf dieselbe Weise wie mir. Da fände ich etwas mehr Mitgefühl gut.
Dogmatismus und Autoritarismus schüchtern mich zwar durchaus noch manchmal ein. Aber den größten Respekt habe ich vor Ärzten, die offen ihr Nichtwissen zugeben. ("Ich bin nicht Jesus", sagte ein berühmter Neurochirurg auf eine Frage. Viele Beispiele gäbe es.) Nur Konfrontation mit dem eigenen Nichtwissen läßt Raum für Weiterentwicklung, sowohl im persönlichen als auch im sozialen (z.B. wissenschaftlichen) Bereich.
Ja, wissenschaftliche Ergebnisse werden häufig unter dem Druck außerwissenschaftlicher Interessen gefälscht (z.T. auch raffiniert manipuliert). Deswegen zu behaupten, Wissenschaft sei am Ende - mir scheint, daß da ein bißchen Differenzierung möglich ist. Zum Beispiel wird man Untersuchungen weniger Vertrauen schenken, wenn an ihnen Forscher beteiligt waren, die in irgendwelchen Verbindungen zu den Auftraggebern stehen. Das ist schwierig herauszufinden aber möglich.
Interessenleitung gibt es auch weit außerhalb der universitären Medizin. Ich unterhielt mich mal mit einem jungen Allgemeinmediziner, der gerade eine Praxis auf dem Land eröffnet hatte und u.a. auch EAV anwandte. Ich fragte ihn, ob er denn daran glaube. Er, ganz direkt: "Nein. Aber die Leute wollen sowas."
Fragt sich, was für andere Wahrheitskriterien es gibt. Jahrhundertelang gab's den Papst und Aristoteles (der für alle naturwissenschaftlichen Fragen als zuständig galt). Dann gab es Diktatoren, die alles wußten. Die Chefärzte haben einen Teil dieses Erbes angetreten mit ihrem öfters durchaus diktatorischen Gehaben. Und auch in diesem Forum gibt es gar nicht so selten verwandte Gesten des dogmatischen Verkündigens. Die riesige Eso-Welle (durchaus einträglich, nebenbei) gehört hierher. Da wird ja schlicht Glaube gefordert - mit rationalen Nachfragen macht man sich unbeliebt oder fliegt raus.
Nein, leider bin ich nicht "vom Fach" und speziell von all diesen Bakterien, Viren, Parasiten versteh ich nichts. Aber ich habe ein paarmal mitbekommen (sozusagen als Unbeteiligter), daß eine der Kapazitäten auf diesem Gebiet ihr Unwissen explizit zugab und - immer anhand des klinischen Bilds - experimentierte. Manchmal überraschend für mich: "Nein, noch keine Antibiose; da muß erst mehr Quecksilber raus." Oder "Erst mal eine Woche Antibiotikum, dann erst werden die Viecher im Test erkennbar - wenn sie da sind." Das Gegenteil von Routine.
Aber nochmal zurück zur Bioresonanz. Solang ich keines Besseren belehrt bin (worauf ich immer noch hoffe), gehe ich mal davon aus, daß diese Methoden nicht besser (allerdings teurer) sind als Astrologie, Kartenlegen, I Ging, Würfeln, Pendeln usw. Damit sind sie aber nicht sinnlos. Es kann durchaus sein, daß mein Glaube (wenn er denn stark genug ist) mir hilft. Der Glaube kann ja u.U. extrem wirkungsvoll sein. "Wer hilft, hat recht", liegt dann nahe. Es bleibt ein Unbehagen - wohl weil die Wahrheitsfrage ausgeklammert ist. Jesus war wahrhaftig: er sagte dem Geheilten, daß es nicht irgendein äußerer Faktor war sondern "Dein Glaube hat dir geholfen."
Liebe Grüße
Windpferd