Alzheimer – eine Infektionskrankheit?
»Manchmal sitzt die ganze Seele in eines Zahnes dunkler Höhle.«
WILHELM BUSCH (1832–1908)
Folgeschäden
Grundsätzlich gilt, jede Gewebsschädigung führt zu einer spezifischen Aktivierung des Immunsystems am Ort des Geschehens, aber auch zu einer generell erhöhten Entzündungsneigung. Es ist, als wenn der gesamte Organismus sich darauf vorbereiten würde, dass noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Da entzündliche Prozesse bei Alzheimer eine begleitende und möglicherweise verstärkende Rolle spielen, können Infektionen, selbst wenn sie das Gehirn nicht direkt betreffen, indirekt den Krankheitsverlauf beschleunigen.1 Zudem führen Infekte oft, solange sie andauern, zwangsläufig zu einer Änderung der Lebensweise des Betroffenen, was die Entwicklung einer Demenz ebenfalls fördern kann. Als Sarah Jones für kurze Zeit an einer Virusinfektion erkrankt war und deshalb ihr Therapieprogramm unterbrechen musste, kehrten erste Anzeichen ihrer Alzheimer-Symptomatik zurück. Nach ihrer Genesung und Wiederaufnahme der therapeutischen Maßnahmen verschwanden sie wieder.
Aus diesem Grund kann sich auch eine Operation negativ auf den Alzheimer-Krankheitsprozess auswirken. Neben einer generellen Aktivierung des Immunsystems infolge des operativen Eingriffs und der damit verbundenen Gewebsschädigung kann es durch die verwendeten Narkosemittel auch zu einer spezifischen Aktivierung von Stoffwechselwegen kommen, die Alzheimer beschleunigen können. Deshalb sollten operative Eingriffe so kurz und schonend wie möglich durchgeführt und immer antientzündlich nachbehandelt werden.2 Ganz grundlegend würde ich, wenn möglich, konservative Alternativen operativen Maßnahmen vorziehen. Was leider immer seltener geschieht, denn Operationen sind wirtschaftlich gesehen (zumindest auf den ersten Blick) weitaus lukrativer.
Chronische Entzündungen
Im Verlauf der Alzheimer-Krankheit lässt oftmals die Körper- und insbesondere die Mundhygiene nach, weshalb sich auch chronische Entzündungen wie eine Periodontitis (umgangssprachlich eine Parodontose), sprich: eine Entzündung des Zahnhalteapparats, entwickeln können. Zahnfleischentzündungen stehen aber nicht nur im Verdacht, indirekt entzündliche Prozesse im Gehirn zu aktivieren.3 Solche Entzündungsherde entlassen auch immer wieder Bakterien in den Blutstrom. Und das ist auch in Bezug auf Alzheimer nicht ungefährlich, zumal es im Eingangsbereich des Hippocampus schon im Frühstadium von Alzheimer zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke kommt, die eigentlich das Gehirn vor Infektionskeimen abschirmen soll, nun aber durchlässig für diese Bakterien ist.4 Ursache dafür ist das Alzheimer-Toxin, das, wie Sie wissen, sehr früh in diesem eng beschriebenen Bereich entsteht.5 Durch die Ausbreitung des Alzheimer-Toxins weitet sich im weiteren Verlauf der Alzheimer-Krankheit auch die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke auf das gesamte Gehirn aus.
Die direkte Infektionsgefahr wächst mit der Schwere der Alzheimer-Erkrankung.6 Gerade in den Tiefen der Zahnfleischtaschen um die Parodontose herum fühlen sich bestimmte Keime wohl, die das Gehirn infizieren können und von denen man annimmt, dass sie von dort aus den Krankheitsprozess beschleunigen. Diese schädlichen Keime gehören zu den sogenannten Spirochäten, einer Bakterienfamilie, zu denen auch der Syphiliserreger zählt.7
Syphilitische Demenz: Weltweit erkranken jährlich über 12 Millionen Menschen an Syphilis, einer Geschlechtskrankheit, die im Endstadium zu einer Demenz führen kann, die von Alzheimer manchmal nur schwer zu unterscheiden ist. In den veränderten Teilen des Gehirns lassen sich amyloide Plaques, also »Grabsteine des Gehirns« nachweisen, wie man sie in ihrer Verteilung auch bei Alzheimer-Patienten findet. Syphilis kann mit wenigen Tausend jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland zwar nicht die Ursache von Alzheimer sein, aber die Krankheit liefert einen Hinweis darauf, dass es Bakterien gibt, die eine Alzheimer ähnliche Erkrankung hervorrufen können und dass die Möglichkeit besteht, dass der Alzheimer-Krankheitsprozess durch eine begleitende Infektionskrankheit zumindest beschleunigt wird.
Bei über 90 Prozent aller Alzheimer-Patienten, die bisher untersucht wurden, konnten diese Parodontose-Spirochäten sowie der ebenfalls zu dieser Familie gehörende Erreger der Zeckenbiss-Borreliose in den für Alzheimer typischen Plaques nachgewiesen werden. Unklar ist jedoch, ob sie diese nur als Brutstätten verwenden oder ob sie für die Plaques tatsächlich mitverantwortlich sind beziehungsweise deren Entstehung beschleunigen.
Ich vermute, dass die Infektion nicht Ursache, sondern Folge der Alzheimer-Krankheit ist, sie aber durchaus negativ beeinflussen könnte. Der Grund für meine Annahmen ist der, dass die Erreger trotz empfindlichster Methodik so gut wie nie im Gehirn oder in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit bei älteren Menschen entdeckt werden, wenn diese als geistig fit eingestuft wurden. Das würde aber keinen Sinn ergeben, wenn die Erreger Alzheimer verursachen würden, denn die Alzheimer-Krankheit entwickelt sich bekanntlich über einige Jahrzehnte, also müssten auch bei vermeintlich gesunden Älteren die Erreger zu einem hohen Prozentsatz nachweisbar sein. Viel wahrscheinlicher ist daher, dass erst dann, wenn im Verlauf der Alzheimer-Erkrankung die Blut-Hirn-Schranke in zunehmendem Maße durchlässig wird und ein gestörtes Immunsystem das Einnisten der Erreger erlaubt, das Infektionsrisiko steigt. Das Einnisten der Erreger wäre somit eine weitere Folge und nicht die Ursache des Erkrankungsgeschehens, aber eben dennoch nicht ungefährlich!
Aus diesem Grund hielt Bredesen beispielsweise Sarah Jones dazu an, ihre Mundhygiene mit einer elektrischen Zahnbürste und einem elektronischen Reinigungsgerät für die Zahnzwischenräume zu optimieren.
Aber nicht nur der Mund oder ein Zeckenbiss können Infektionsquellen beziehungsweise Ursachen für chronische Entzündungen sein, die das Gehirn beeinträchtigen und den Alzheimer-Krankheitsprozess negativ beeinflussen, weshalb sämtliche (!) Infektionsherde beseitigt werden müssen. Denn mittlerweile wird die Liste der Erreger immer länger, die entweder direkt (durch Eindringen ins vorgeschädigte Gehirn), indirekt (durch Aktivierung des Immunsystems) oder durch beide Mechanismen gleichzeitig den Alzheimer-Krankheitsprozess beeinflussen können.8 Beispielsweise sind Alzheimer-Patienten, die gleichzeitig an einem Magen-Darm-Geschwür leiden, das typischerweise durch das Helicobacter-pylori-Bakterium verursacht wird, tendenziell geistig mehr beeinträchtigt.9 Werden Betroffene antibiotisch behandelt, verbessert sich der Verlauf der Alzheimer-Krankheit gegenüber Unbehandelten mit Magen-Darm-Geschwüren.10
Darmsanierung
Vor die Blut-Hirn-Schranke, die unser Gehirn vor Keimen und Giftstoffen im Blut schützt, hat die Natur die Darm-Blut-Schranke gesetzt, die unseren Körper vor Keimen und Giftstoffen aus der Nahrung schützt. Und damit hat sie Enormes zu leisten: Der Darm besitzt nämlich eine beachtliche Resorptionsfläche für Nährstoffe, weshalb er auch die größte Eintrittsfläche für Keime und Giftstoffe bietet. Allein der Dünndarm hat aufgrund unendlich vieler Falten und Zotten eine Oberfläche von etwa 2000 Quadratmetern. Jede Schädigung der Darmoberfläche wird zur Eintrittspforte für Schadstoffe und hat deshalb Auswirkungen auf die Erhaltung unserer Gesundheit, auch der geistigen. Typische Beispiele wären Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie eine Milchproteinallergie, eine Laktoseintoleranz oder eine Zöliakie.
Die Zöliakie wird durch Gluten verursacht. Gluten ist der Fachbegriff für Klebereiweiß, ein Stoffgemisch aus Proteinen, das in einigen Getreidearten zu finden ist. Wenn eine Darmentzündung durch glutenhaltige Nahrung ausgelöst und aufrechterhalten wird, besteht die Therapie darin, sich lebenslang glutenfrei zu ernähren. Bei Alzheimer-Patienten mit akuter Zöliakie verbesserte sich die Alzheimer-Symptomatik nach entsprechender Therapie der Darmbeschwerden.11 Auch Bredesen riet Sarah Jones zu einer glutenfreien Ernährung. Sie musste unter anderem auf Produkte aus Weizen, Dinkel, Roggen und Hartweizen verzichten, aber auch auf solche aus Hafer und Gerste, obwohl diese beiden Getreidesorten relativ wenig Gluten enthalten. Produkte aus Hirse, Quinoa, Amarant und Buchweizen sowie Mais und Reis sind völlig frei von Gluten.
Des Weiteren ist der Darm, und hier insbesondere der Dickdarm, ein gigantischer Bioreaktor. In ihm leben in enger Symbiose mit uns etwa hundertmal mehr Bakterienzellen, als wir Körperzellen besitzen. Da wir ohne dieses Mikrobiom, wie es Wissenschaftler nennen, nicht existieren könnten, ist es genau genommen ein Teil von uns. So gesehen bestehen wir, was die Anzahl der Zellen betrifft, zu etwa 99 Prozent aus Bakterien! Das Mikrobiom produziert Vitamine (verschiedene der Klasse B sowie K) und ist entscheidend für die Entwicklung und Funktion unseres Immunsystems. Forscher fanden kürzlich heraus, dass das Mikrobiom insbesondere das Immunsystem des Gehirns entscheidend beeinflusst.12 Beispielsweise bauen bestimmte Lakto- und Bifidobakterien potenziell neurotoxisches Glutamat aus der Nahrung (vor allem Proteine bestehen zu einem hohen Prozentsatz aus Glutaminsäure) im Darm zum hirnberuhigenden Botenstoff GABA um. Wenn hingegen die Zusammensetzung aus etwa über Tausend verschiedenen Bakterienstämmen und so manchen Viren gestört ist, flutet uns das Mikrobiom stattdessen mit Schadstoffen.13 Dazu gehören unspezifische Aktivatoren des Immunsystems, die auch Entzündungsreaktionen im Gehirn auslösen, und Proteinkomplexe, die strukturell dem Alzheimer-Toxin sehr ähnlich sind.14
Das komplexe symbiotische Zusammenspiel zwischen uns und den etwa 100 000 000 000 000 (hundert Billionen!) Bakterienzellen unseres Mikrobioms wird hauptsächlich durch unsere Ernährung bestimmt, denn schließlich leben nicht nur wir von dem, was wir zu uns nehmen, sondern auch unsere Bakterien. Davon ausgehend, dass sich die Symbiose über einen entwicklungsgeschichtlich sehr langen Zeitraum entwickelte, ist auch hier wieder eine Ernährung, die eher der eines Steinzeitmenschen ähnelt, näher am Optimum als unsere heutige. Die enthält in der Regel zu viele einfache Zucker und ungesunde Fette und zu wenig Ballaststoffe. Das limitiert nicht nur unsere Versorgung mit Nährstoffen, es ist auch ein großes Problem für unser Mikrobiom. Beginnen wir jedoch, uns so zu ernähren, dass die Neurogenese gefördert und damit Alzheimer verhindert wird, verbessert sich unsere Verdauung, unsere Versorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen, die Funktion unseres Immunsystems und nicht zuletzt unsere geistige Fitness.15 Somit schaffen wir mit der in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich besprochenen Ernährungsumstellung auch die Voraussetzung dafür, dass sich unser Darm auf Dauer selbst saniert und gesund bleibt und auch das Gehirn gesunden kann.
Beschleunigen kann man den Prozess der Mikrobiomoptimierung durch die Einnahme von feinst gemahlenen Schalen des Flohsamens. Flohsamen sind die Früchte der alten Heilpflanze Plantago ovata, einer Pflanzengattung in der Familie der Wegerichgewächse. Das Pulver der Fruchtschalen dient zur Lockerung von Ablagerungen in der Darmwand. Kurzfristig nimmt die Einnahme von Flohsamenschalen über die Verbesserung des Darmhaushaltes positiven Einfluss auf die Sensibilität des Insulinrezeptors und damit auf den Zuckerstoffwechsel, aber auch auf den Blutdruck und den Fettstoffwechsel, zusammen mit einer vollwertigen Ernährung auch langfristig.16 Das Pulver ist zwar frei erhältlich, dennoch rate ich davon ab, eine Darmsanierung mit solchen Prä- und idealerweise auch Probiotika ohne Aufsicht eines erfahrenen, ganzheitlich praktizierenden Therapeuten durchzuführen.
Was zu tun ist
- Entzündungsparameter beim Arzt überprüfen lassen und bei erhöhten Werten die mögliche
Infektionsquelle
beheben.
- Mundhygiene optimieren, zahnärztliche Untersuchung und professionelle Zahnreinigung durchführen lassen. Amalgamfüllungen sollten entfernt werden, um eine gefährliche Quecksilberquelle auszuschalten (siehe nächstes Kapitel).
- Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür ausschließen, eventuell gegen Helicobacter pylori behandeln.
- Bei Zöliakie sofort auf eine glutenfreie Ernährung umstellen. Viele Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie beispielsweise eine Glutenempfindlichkeit verschwinden häufig im Rahmen einer Darmsanierung.
- Damit das Mikrobiom die Alzheimer-Prävention beziehungsweise die Therapie unterstützt und nicht behindert, ist eine Umstellung auf eine vollwertige und ballaststoffreiche Ernährung nötig. Es ist empfehlenswert, diesen Prozess in den ersten vier Wochen der Therapie durch ein Darmsanierungsprogramm zu beschleunigen. Hierzu eignet sich beispielsweise die Einnahme von Flohsamenpulver (am besten als Kapseln) zusammen mit zwei Gläsern Wasser. Dies sollte mit Probiotika (109 Keime) kombiniert werden, um die Neubesiedelung des Darms mit nützlichen Bakterien voranzutreiben.
- Auch Bewegung ist wichtig, denn nicht nur die Beine, auch der Darm kommt dabei in Schwung. Dazu viel trinken!
- Sie sollten auf jeden Fall mit einem erfahrenen Therapeuten besprechen, wie am besten vorzugehen ist.