Es trifft nicht nur Alte und Schwerkranke: Die meisten Patienten mit Long-COVID sind relativ jung und haben die Corona-Infektion zu Hause durchgemacht. Experten haben nun eine Vermutung, welche Ursache hinter dem Syndrom stecken könnte.
Long-COVID hat viele Gesichter: Ein 30-jähriger Mann ohne psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte wird eine Woche nach einer überstandenen COVID-19 plötzlich extrem schläfrig, entwickelt Wahnvorstellungen und eine ausgeprägte Paranoia.
Ein 40-jähriger Arzt muss sich sämtliche Aufgaben und Gesprächsinhalte aufschreiben, weil er sonst alles vergisst. Dabei braucht er zwei- bis dreimal so lange wie üblich, um sich Notizen zu machen.
Das sind Beispiele von Menschen mit Langzeitfolgen nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion, die Prof. Serena Spudich, New Heaven, bei der virtuellen Tagung der amerikanischen Neurologengesellschaft AAN vorgestellt hat. Solche Patienten werden nun in einer Long-COVID-Studie der Universität genauer untersucht.
Nach einer Auswertung der Post-COVID-Ambulanz an der neurologischen Klinik der Yale-Universität nannten 60% von 63 Patienten als Hauptbeschwerden kognitive Beeinträchtigungen, rund die Hälfte klagte über neuromuskuläre Beschwerden, ein Drittel litt unter starken Kopfschmerzen, etwa 15% unter Ängsten und Depressionen, 10% hatten eine anhaltende Anosmie, ebenso viele Schlafprobleme.
Spudich verwies auch auf eine internationale Online-Umfrage zu COVID-19-Spätfolgen bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer von mindestens vier Wochen. Häufigstes neuropsychiatrisches Symptom war "Nebel im Hirn" (Brain Fog). Dies nannten rund 60% der knapp 3.800 Teilnehmer, 50% klagten über Gedächtnisprobleme, 30% hatten Sprachschwierigkeiten.
Sensomotorische Probleme, darunter Neuralgien, Tremor, Benommenheit und Balancestörungen, nannte rund die Hälfte. Kopfschmerzen gab ebenfalls die Hälfte an, Insomnie etwa 40%. Das Symptommaximum wurde meist in den ersten vier bis acht Wochen nach der Infektion beobachtet, die Beschwerden gingen dann über sechs Monate hinweg nur langsam bis gar nicht zurück, lediglich die Anosmieprävalenz sank deutlich.
Über die Ursachen der neuropsychiatrischen Beschwerden können Ärzte häufig nur spekulieren. Spudich geht nicht von einer direkten viralen Schädigung der Nervenzellen aus, vielmehr könnten inflammatorische Prozesse der gemeinsame Nenner sein. Das Virus schädigt das Gefäßendothel und die Blut-Hirn-Schranke.
Die Expertin verwies auf Autopsieberichte von 18 Patienten, in denen ein deutlicher Fibrinogen-Austritt aus kleinen Hirngefäßen beobachtet wurde. Forscher fanden zudem perivaskuläre Makrophagen um solche Gefäße, aber kein Virus im Gehirn. All dies deute auf mikrovaskuläre Schäden in der Akutphase hin, und diese könnten chronische Entzündungsprozesse triggern.
Andere Wissenschaftler sahen in einer Untersuchung bei Krebspatienten mit überstandenem COVID-19 erhöhte Werte von Entzündungsmarkern im Liquor, nicht aber bei solchen ohne COVID-19. Schließlich gelang es einer Arbeitsgruppe, bei 41 Patienten mit persistierenden Symptomen drei Monate nach der Infektion im FDG-PET in bestimmten Hirnarealen einen Hypometabolismus nachzuweisen.
Dieser korrelierte deutlich mit der Art und Ausprägung der Symptome, die Forscher fanden die Veränderungen also in Arealen, die an der Entstehung der Symptome beteiligt sein könnten.
Die entscheidende Frage ist nun natürlich, was den Hypometabolismus verursacht. Inzwischen, so Spudich, gibt es international eine ganze Reihe von Studien, die über neuropsychiatrische Assessments, Bildgebung sowie regelmäßige Blut- und Liquormarkertests solche Geheimnisse lüften wollen.
Bei dem zu Beginn beschriebenen Fallbericht des 30-jährigen Mannes mit Psychose konnten die Ärzte die Ursache bereits klären: Sie fanden einen neuartigen Autoantikörper und gehen von einer Autoimmunpsychose aus.