Kurioserweise hat man das Schuppentier als einen Träger dieser Viren gefunden.
Die Sequenzen, die ich da gesehen habe, die aus dem Schuppentier publiziert wurden,
überzeugen mich allerdings überhaupt nicht, dass das wirklich der Ursprung des Virus ist.
Das hat aber auch nicht unbedingt zu bedeuten, dass deswe-gen kein tierischer Ursprung besteht. Es ist einfach so, wir haben eine sogenannte unterbeprobte Situation. Also wir nehmen hier und da mal einen kleinen Stich-punkt und können daraus einfach wenig ableiten an der Verwandtschaft dieses Virus. Das ist so, als wenn man wissen will – wie soll man das mal sagen, was soll ich hier für ein Beispiel geben ... ob der Delfin mit der Kuh verwandt ist. Das ist er übrigens. Aber wir haben nie eine Kuh untersucht, sondern wir haben immer nur Pferde und Kamele und auch mal eine Maus und Menschen untersucht. Da kann man schon sagen, das Pferd ist dem Delfin an vielen Stellen des Genoms genetisch ähnlicher als der Mensch oder die Maus. Aber jetzt hat der Delfin auch eindeutig nicht vier Beine. Also Sie wissen, was ich meine: Wir fischen ganz schön im Trüben, in einer unterbeprobten Situati-on, weil wir die wirkliche Verwandtschaft der Cetaceen, der Meeressäugetiere, bis jetzt nur an einem Punkt kennengelernt haben, nämlich beim Delfin. Und wir ha-ben die vielen anderen Meeressäugetiere und die noch etwas näher verwandten Kühe nicht mit beprobt. Wenn wir das getan hätten, hätten wir einen viel besseren Evolutionsnachweis oder Beweis. Und in der Evolutionsbiologie kann man fast nie etwas beweisen. Es ist fast immer so, dass man Inferenzen macht. Also dass man anhand von besonders gut ausgearbeiteten Beispielen arbeitet, die man sich so erschließt. Und was man sich hier erschlossen hat, ist einfach noch Stand 12.05.2020NDR.DE/CORONAUPDATE8/11nicht so ganz vollständig.
Diese Befunde in Schuppen-tieren, die kann ich so noch nicht mit Überzeugung glauben. Das liegt daran, dass man von der Grundarbeit her weiß, dass diese gesamte Verwandtschaft dieser SARS-ähnlichen Viren in Fledermäusen existiert, und zwar in bestimmten Gattungen oder Unterfamilien von Fledermäusen, in den Rhinolophidaen.
NEUE ERKENNTNISSE AUS CHINA Und jetzt ist übrigens ein interessanter neuer Befund rausgekommen, der für uns im Institut gar nicht so neu ist. Aber die Kollegen aus China sind uns zuvorgekom-men, das zu publizieren, nämlich wir haben hier eine ganz besondere Eigenschaft, und zwar eine bestimmte Protease-Spaltstelle und die kommt als Zusatzeigen-schaft zu der ganzen Spekulation um den Ursprung. Da kommen wir in diesen Verschwörungsbereich rein, in den Laborursprung. Da gibt es auch Theorien dazu. Das ist eine Zusatzeigenschaft dieses Virus, die immer ins Feld geführt wird, wo man sagt: Na ja, das ist aber eine Eigenschaft, die hat dieses Virus, aber die findet man in keinem der verwandten Tiervieren. Das findet man nicht in Fledermäusen, nicht in diesen Schuppentieren, nämlich eine ganz besondere Schnittstelle in dem Hauptoberflächenprotein des Virus, in dem Spike-Gly-koprotein.Korinna HennigDas, was für den Eintritt in der Zelle verantwortlich ist?Christian DrostenRichtig, diese Schnittstelle hilft dem Virus höchst-wahrscheinlich beim Eintritt in die Zelle.
Wir können vermuten, dass sogar diese Replikationseigenschaft im Rachen vielleicht durch das Vorhandensein dieser speziellen Schnittstelle erleichtert wird, die in dem ursprünglichen SARS-Coronavirus nicht drin war, die in anderen chinesischen Fledermaus-SARS-Coronavi-ren nicht drin ist, die auch in dem Schuppentiervirus nicht drin ist.
Jetzt haben chinesische Wissenschaftler aber etwas gefunden, das wir in europäischen Rhino-lophus-Fledermausviren auch schon gesehen haben, nämlich solch eine Spaltstelle. Die ist zwar geringfügig anders als die aus dem SARS-2-Virus des Menschen, aber die ist schon sehr ähnlich. Also die Auffassung: „So eine Spaltstelle, die gehört doch in ein SARS-Virus gar nicht rein.
Die muss doch jemand künstlich im Labor reingebaut haben. Daran kann man doch sehen, dass das ein Laborvirus ist“ – die ist damit vom Tisch. Wir sehen, genau das kommt in der Natur vor. Wir wiederholen hier eine Diskussion, die wir um die In-fluenza auch schon geführt haben. Wo aber seit vielen Jahren schon lange klar ist, dass in der Natur so etwas entsteht – unter Selektionsdruck, weil es dem Virus ein-fach was nützt. Das entsteht durch Zufall und da wer-den mehrere evolutionäre Zufälle aneinandergereiht. Und irgendwann kommt ein Virus dabei raus, das nicht nur graduell ein kleines bisschen besser repliziert, sondern einen enormen Replikationsvorteil hat. Da ist dann ein enormer Selektionsvorteil in der Evolution gegeben und so ein Virus setzt sich dann durch.Korinna HennigIm Zusammenhang mit dieser Frage nach dem Ursprung des Virus gab es auch Äußerungen von Luc Montagnier, der HIV miterforscht hat und 2008 den Nobelpreis bekommen hat. Der sagte vor einiger Zeit in einer Fernsehdiskussion, es gibt im Erbgut des Coronavirus auch Sequenzen von HIV. Das kann man sehen und das kann nur künstlich hergestellt worden sein. Sieht man das? Und wenn ja, ist diese Ähnlichkeit vielleicht sogar auch normal?Christian DrostenEs ist schwierig für einen aktiven Wissenschaftler in der Virologie zu sagen, dass ein Nobelpreisträger im Fach Virologie Unsinn verbreitet. Aber das ist komplet-ter Unsinn.Korinna HennigWeil man solche Ähnlichkeiten ohnehin hat oder weil man es nicht sieht?Christian DrostenJa, diese Ähnlichkeiten sind nicht überzufällig. Es ist in der wissenschaftlichen Diskussion schon eigentlich klar, dass das nicht stimmt. Es hat sich ein Konsensus, eine Gesamtmeinung, anhand einer Vorpublikation zu diesem Thema gebildet, die dann zurückgezogen worden ist. Dieses Thema ist einfach erledigt. Das ist auch erledigt, wenn ein im Ruhestand befindlicher Nobelpreisträger in einer Talkshow darüber spricht. Es ist trotzdem immer noch erledigt.MUTATION DES VIRUSKorinna HennigWir reden jetzt schon eine ganze Weile, aber das Thema Mutationen würde ich gerne noch zu Ende bringen, weil es auch eine neue Studie von Forschern aus den USA und aus Großbritannien gibt, die vielleicht für uns Normalmenschen interessant ist – im Hinblick auf die Frage: Verändert das Virus tatsächlich irgendwann doch seine Eigenschaften? Wird es bedeutsam für Übertragungswege, für krankmachendes Potenzial und für die Immunabwehr? Vielleicht können Sie uns diese Studie vorstellen und einordnen.Christian Drosten Ja, es gibt eine Studie, die von einem sehr respektablen Sequenzanalyselabor aus Los Alamos, USA publiziert worden ist. Das ist der weitere Laborkontext, in dem auch die Genbank betrieben wird. Da gibt es eine unglaubliche Expertise an Wissenschaftlern, die sich mit der Auswertung von Sequenzen jederlei Herkunft