Multivitamine - Sicherheit nicht geklärt
Dem unerschütterlichen Glauben vieler Verbraucher an die gesundheitsfördernden Wirkungen von Vitaminen und Spurenelementen steht ein erstaunlicher Mangel an wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate gegenüber. Eine Expertenkommission der US-National Institutes of Health (NIH) rät der Regierung nach einer dreitägigen Konsensus-Konferenz zu einer stärkeren Regulierung der Präparate. Nahrungsergänzungsmittel sollten von der Arzneibehörde FDA beaufsichtigt werden.
An wissenschaftlichen Publikationen zu Vitaminen besteht kein Mangel. Die Gruppe um Michael McGinnis vom Institute of Medicine (IOM) in Washington fand bei ihrer Recherche in den Datenbanken von Medline, Embase und der Cochrane-Collaboration 11.324 Einträge zu den einzelnen Vitaminen und Mineralstoffen. Darunter befanden sich aber nur 63 Artikel, in denen die Wirkungen zur Vermeidung von chronischen Erkrankungen und Gesundheitsstörungen und die Sicherheit der Präparate wissenschaftlich angemessen untersucht wurden. Und in keiner einzigen Studie wurden jene zum Teil hochdosierten Multivitamin-Präparate einer echten Prüfung unterzogen, die laut IOM von jedem zweiten erwachsenen Amerikaner eingenommen werden.
Die Durchführung von rigorosen randomisierten kontrollierten Studien lautet deshalb die zentrale Forderung der Autoren. Am leichtesten ließe sich dies durchsetzen, wenn Vitamine und Mineralpräparate von der FDA reguliert würden. Dann müssten die Hersteller vor Markteinführung die Sicherheit und Wirksamkeit der Präparate in größeren Studien prüfen. Dass eine derartige Gesetzesnovelle, wie von den IOM-Mitarbeitern gefordert, den Kongress passieren wird, muss allerdings bezweifelt werden.
Es dürfte deshalb dabei bleiben, dass es für die evidenzbasierte Therapie mit Vitaminen und Mineralstoffen nur wenige bewiesene Indikationen gibt. Diese erfordern dann auch den gezielten Einsatz einzelner Vitamine und Mineralstoffe und keineswegs die unkritische Einnahme von Mischpräparaten, in denen alle vom Markt angebotenen Substanzen kombiniert sind.
Eine nachgewiesene Wirkung gibt es laut der Expertengruppe nur in wenigen Bereichen. Das Panel empfiehlt postmenopausalen Frauen die kombinierte Einnahme von Kalzium und Vitamin D zur Prävention der Osteoporose. Die jüngste Evidenz hierzu kommt von der Women’s Health Initiative (WHI), in der eine signifikante Zunahme der Knochendichte und eine nichtsignifikante Reduktion des Hüftfrakturrisikos gezeigt wurde. Antioxidanzien und Zink sollten nach Einschätzung der US-Experten von nichtrauchenden Erwachsenen eingenommen werden, bei denen Vorstufen der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) aufgetreten sind.
Diese Empfehlung ist eine Konsequenz der Age-Related Eye Disease Study, in der gewisse positive Wirkungen (aber sicherlich keine sichere Vermeidung der AMD) erreicht wurde. Das Panel unterstützt außerdem eine Empfehlungen der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC), nach der Frauen im gebärfähigen Alter täglich Folsäure einnehmen sollten, um im Fall einer Schwangerschaft Neuralrohrdefekten bei den Feten vorzubeugen. Dagegen gebe es keine Beweise, dass Beta-Caroten vor Krankheiten schützt. Bei Rauchern gebe es sogar Hinweise auf eine schädliche Wirkung, etwa eine steigende Zahl von Lungenkrebs.
Das Panel befürchtet, dass viele Amerikaner durch die unkritische Einnahme von Vitaminen und Mineralstoffen die oberen Grenzen der empfohlenen Einnahme überschreiten und ihrer Gesundheit dadurch schaden.
DÄ, 19. Mai 2006