4. Was ist der Unterschied zum wirksamen Vitamin E, wie es beispielsweise in Nüssen oder Samen vorkommt, und dem in vielen Studien verwendeten?
In der Nahrung besteht Vitamin E aus einer Familie von Tocopherolen und Tocotrienolen. Zu beiden gibt es wiederum 4 Varianten, die mit alpha, beta, gamma und delta bezeichnet werden. Insgesamt gibt es also 8 (!) Vitamin-E-Mitglieder.
Physiologisch besonders bedeutend sind die alpha- und gamma-Varianten. Gamma-Tocopherol ist das in der Nahrung am meisten vorkommende Vitamin-E-Mitglied. Es wirkt stark entzündungshemmend und nur die gamma-Variante kann sogenannte reaktive Nitrogenspezies - das sind besondere Radikale, die etwa bei der Atheroskleroseentstehung eine entscheidende Rolle spielen - neutralisieren. Auch die Schutzwirkung gegenüber Alzheimer und Prostatakrebs ist vor allem mit der gamma-Form verbunden.
Auf weitere Spezifizierungen müssen wir an dieser Stelle gar nicht eingehen. Denn entscheidend ist, dass in der Vergangenheit alle (!) größeren Interventionsstudien ausschließlich mit alpha-Tocopherol gemacht wurden (egal, ob es sich um synthetisch hergestelltes dl-alpha-Tocopherol oder um die natürlich vorkommende Form alpha-Tocopherol handelte. Die Gründe dafür liegen in historisch entstandenen Fehleinschätzungen zur Physiologie von Vitamin E, die leicht erklärbar ist, uns aber an dieser Stelle zu weit wegführen würde). Von den 8 unterschiedlich wirksamen Familienmitgliedern wird also nur eine Form zugeführt.
Physiologisch ist das in zweifacher Hinsicht problematisch:
Erstens haben die anderen Tocopherolvertreter, allen voran die gamma-Varianten eigene wichtige Wirkungen, die von alpha-Tocopherol nicht übernommen werden kann.
Zweitens zeigt gerade neueste Grundlagenforschung, dass die isolierte Zufuhr von alpha-Tocopherol etwa das lebenswichtige gamma-Tocopherol aktiv verdrängt, so dass eine partielle akute Mangelsituation erzeugt wird.
The response of gamma vitamin E to varying dosage... [Metabolism. 2009] - PubMed - NCBI
5. Was ergibt sich aus diesen Zusammenhängen?
- Die isolierte hochdosierte Zufuhr von alpha-Tocopherol ist zwar kurzfristig oder für bestimmte Indikationen nicht kontraindiziert, jedoch als langfristige Gesundheitsprophylaxe ungeeignet. Zumindest die Gamma-Variante und wahrscheinlich auch Vertreter der Tocotrienole sollten mit substituiert werden.
- Überhaupt kein Vitamin E einzunehmen, stellt gesundheitlich keinen optimalen Weg dar. Das muss auch und sogar gerade aus heutigem Wissensstand so klargestellt werden. Aufgrund der modernen Nahrungsverarbeitung und dem Umstand, dass kaum noch Sämereien, Nüsse etc. konsumiert werden, ist eine optimale Vitamin-E-Versorgung kaum möglich.
Manche "offiziellen" Empfehlungen sind geradezu gefährlich
- Sich nur auf "natürliche" Nahrungsquellen zu verlassen (wie es etwa von staatlichen Ernährungsorganisationen empfohlen wird), kann eine trügerische Sicherheit schaffen und gefährlich werden. Die Hauptquelle für Vitamin E stellen nämlich heute für die meisten Menschen Salatöle dar (diese werden auch von der DGE und anderen Quellen als gute Vitamin-E-Quelle empfohlen). Problem: Bei der Verarbeitung der Öle wird Vitamin E zunächst entzogen, um dann hinterher wieder zugesetzt zu werden. Während aber alle 8 Vitamin-E-Mitglieder entzogen werden, wird aber später allein das alpha-Tocopherol wieder ergänzt. Im Ergebnis werden wir dadurch alle auf ein systematisches Vitamin-E-Ungleichgewicht gebracht - mit den genannten negativen Folgen.
- Wer eine optimale prophylaktische Wirkung anstrebt, sollte deshalb zum einen möglichst viele unbehandelte Vitamin-E-haltige Rohstoffe essen (Nüsse, Sämereien, Keime), zum anderen gezielt mit einem breiten Tocopherol/Tocotrienol-Spektrum ergänzen. In jedem Fall aber zumindest gamma-Tocopherol mit in die Ergänzung aufnehmen.