Themenstarter
- Beitritt
- 20.05.08
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Bedingt abwehrbereit
Von Walter Willems
19. Mai 2008 Im amerikanischen Bundesstaat Virginia fing es mit der Panik an. Als im vergangenen Herbst die Ursache für den Tod des 17-jährigen Highschool-Studenten Ashton Bonds aus Bedford County bekannt wurde, kamen plötzlich von überall her Alarmrufe. 19 000 Amerikaner würden jährlich dahingerafft vom neuen Killerkeim, verkündeten die Centers for Disease Control. Daraufhin wurden Schulen geschlossen, Sportmannschaften trauten sich nicht mehr in die Kabine, der Gouverneur rief schließlich Notfallgesetze aus. Und die Nation hatte einen neuen Feind: Staphylococcus aureus. Nun ist das Problem nicht neu. Staphylokokken sind allgegenwärtig. Solange sie auf der Hautoberfläche bleiben, sind sie harmlos. Gelangen sie aber in den Körper, etwa durch einen Schlauch bei künstlicher Beatmung oder während einer Operation, können sie Wundinfektionen, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen verursachen. Auch das lässt sich normalerweise mit Antibiotika bekämpfen. Doch seit einiger Zeit beobachten Epidemiologen tatsächlich, dass Staphylococcus aureus immer mehr Resistenzen bildet. Sie staunen vor allem darüber, wie schnell sich die Mikroorganismen ihrer Umgebung anpassen. "Es gibt hier eine besondere Dynamik", sagt Wolfgang Witte, Leiter des nationalen Referenzzentrums für Staphylokokken am Robert-Koch-Institut: "Das ist miterlebte Evolution."
Steigende Resistenz
Zwar entwickelten sich schon in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erste Aureus-Bakterien, die gegen das gerade erst auf den Markt gelangte Penicillin resistent waren. Und es vergingen auch nur sechs Monate, nachdem 1960 das Antibiotikum Methicillin auf den Markt gekommen war, bis Forscher in einer südenglischen Klinik Staphylokokken entdeckten, denen auch dieser Wirkstoff nichts mehr anhaben konnte. Methicillin-resistente Stämme (MRSA) sind eigentlich kein klinisches Problem mehr, denn Methicillin ist längst nicht mehr in Gebrauch. Aber die Keime sind inzwischen auch gegen viele andere Antibiotika gewappnet. Dass das ursprüngliche Kürzel "MR" heute also meist mit "multiresistent" gleichgesetzt wird, mag nicht ganz korrekt sein, trifft jedoch den Kern des Problems der Mikrobenevolution. Allein in deutschen Kliniken infizieren sich etwa 75 000 Menschen (1*) jährlich mit Staphylococcus aureus, schätzt Petra Gastmeier von der Berliner Charité, die das nationale Referenzzentrum zur Überwachung von Krankenhausinfektionen leitet. Daran sind MRSA-Stämme mit etwa 16 000 Fällen beteiligt; rund 2000-mal führt das zu Blutvergiftungen. Durch die resistenten Keime sterben jährlich bis zu 500 Patienten, sagt die Berliner Fachärztin für Hygiene. Ihr Kollege Alexander Friedrich vom Universitätsklinikum Münster spricht sogar von bis zu 1500 Todesfällen.
(1*) Anmerkung: Das Bundesgesundheitsministerium geht (Bericht 2006) von 500.000 bis 800.000 MRSA-Neufälle aus, andere Quellen von 1 Mio.
Meldepflicht gefordert
Beides sind Schätzungen, denn eine Meldepflicht für MRSA gibt es in Deutschland bislang nicht. Lediglich ein gehäuftes Auftreten von Infektionen, die möglicherweise auf einen gemeinsamen Infektionsherd deuten, müssen die Kliniken angeben. Diese Regelung ist vielen Experten zu lasch: "Wir brauchen eine Meldepflicht", sagt Axel Kramer vom Universitätsklinikum Greifswald. "Man muss doch wissen, was los ist." Dann könne man nämlich endlich jene Krankenhäuser identifizieren, die es nicht so genau nehmen mit Hygiene und Patientenschutz. Handlungsbedarf sieht auch das Bundesgesundheitsministerium. "Eine Meldepflicht auch für Einzelfälle" fordert der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz. Der Entwurf für eine entsprechende Verordnung soll noch in diesem Jahr vorliegen. Zwar sind multiresistente Staphylokokken nicht grundsätzlich aggressiver als ihre antibiotikaempfindlicheren Artgenossen. Aber sie sind wesentlich schwieriger zu behandeln. Ist ein Patient mit Kokken infiziert, vergehen häufig Tage, bis ein Labor ermittelt, ob es sich um resistente Keime handelt und von welchen Antibiotika überhaupt noch eine Wirkung zu erwarten ist. So verstreicht im Falle einer Blutvergiftung oder Wundinfektion wertvolle Zeit, die den Patienten ein Bein, eine Hand oder gar das Leben kosten kann.
Ärzte und Pfleger als Hauptüberträger
Auch außerhalb von Krankenhäusern ist Staphylococcus aureus weit verbreitet. Die Bakterien besiedeln die Nase oder die Haut beinahe jedes dritten Bundesbürgers. MRSA-Typen sind normalerweise selten darunter, allerdings kann ein Klinikaufenthalt das Risiko drastisch erhöhen: Waren im Jahr 1990 nur zwei Prozent der Aureus-Krankenhauskeime resistent, so stieg ihr Anteil bis 2001 auf 20 Prozent. Gegenwärtig verharre der Wert auf diesem Plateau, sagt Wolfgang Witte. Dabei schwankt der Wert zwischen verschiedenen Kliniken und sogar von Station zu Station beträchtlich: Auf manchen Intensivstationen liegt er beinahe doppelt so hoch. Dass gerade Krankenhäuser das Hauptreservoir bilden, ist kein Wunder: "Wenn wir dort weniger Antibiotika verschreiben würden, hätten wir auch weniger MRSA", sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Axel Kramer. Werden die Mittel im Übermaß verordnet, kommt es zwangsläufig zur Selektion: Sie töten empfindliche Stämme ab, während resistente Keime durch den Wegfall der Konkurrenz sogar besonders gut gedeihen. Schon ein einziger besiedelter Patient hinterlässt dann infektiöse Spuren im Bad, an Lichtschalter und Türklinke oder auf dem Fußboden. Hauptüberträger sind allerdings Ärzte und Pfleger, die viele Patienten versorgen müssen und im hektischen Alltag zu selten die Zeit haben, vor jedem Kontakt dreißig Sekunden lang die Hände oder das Stethoskop zu desinfizieren. "Die Ausbreitung von MRSA in Krankenhäusern ist auch ein Zeichen dafür, dass wir die Hygiene verbessern müssen", sagt Witte.
Antiobotika vorsichtiger einsetzen
Großen Einfluss auf die Verbreitung besitzen außerdem landesspezifische Regelungen, die sich in den Zahlen widerspiegeln: In den Kliniken der Vereinigten Staaten liegt der MRSA-Anteil inzwischen bei über fünfzig Prozent. In dänischen Klinken ist dieser Wert dagegen von einst zwanzig unter zwei Prozent gefallen. Die Niederländer halten ihn sogar unter einem Prozent. "Dort stirbt kein Patient an einer MRSA-Blutvergiftung", sagt Alexander Friedrich aus Münster. Denn unsere Nachbarn verwenden Antibiotika nur noch äußerst sparsam, sie untersuchen neue Patienten an Kliniken aber sofort auf Resistenzen. Mit dieser Strategie wollen nun auch deutsche Krankenhäuser den Staphylokokken zu Leibe rücken. "Wir können viel von den Holländern lernen", sagt Friedrich, der im Raum Münster seit fast drei Jahren ein entsprechendes Modellprojekt koordiniert. Alle vierzig beteiligten Kliniken halten sich beim Verschreiben von Antibiotika bewusst zurück. Gezielt untersucht werden bei der Aufnahme Menschen, die aus anderen Kliniken oder Pflegeheimen kommen, chronische Wunden haben oder an bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes leiden. Binnen Stunden lässt sich so herausfinden, ob etwa in der Nase oder im Wundsekret die Keime lauern. Falls das der Fall ist, muss der Patient von anderen isoliert und seine Haut von MRSA befreit werden. Zwei Wochen lang werden dann mehrmals täglich Salben aufgetragen und antiseptische Waschungen durchgeführt. Die rechtzeitige Isolierung des infizierten Patienten ist dabei entscheidend. Bleibt er auf der Station, ist er ein ständiges Risiko für seine Mitpatienten. Durchschnittlich jede vierte Übertragung von MRSA führe zu einer Infektion, rechnet Friedrich vor, jede zehnte sogar zu einer schweren Infektion wie einer Lungenentzündung oder Blutvergiftung. "Je mehr Träger wir bereits vorher entdecken, desto mehr Infektionen verhindern wir später. Viele Keime finden, heißt Leben retten."
Kosten von Infektionsfällen
Für die vom Sparzwang gebeutelten Krankenhäuser bedeutet das allerdings eine Mehrausgabe. Ein MRSA-Screening allein kostet zwar je nach Verfahren nur zwischen fünf und dreißig Euro. Die Sanierung und die isolierte Pflege eines besiedelten Patienten aber schlagen schon mit bis zu 1500 Euro zu Buche. Dennoch lohnt sich das Vorgehen finanziell: Die Behandlung einer ausgebrochenen MRSA-Infektion kostet eine Klinik schließlich bis zu 20 000 Euro mehr als eine Infektion mit einem antibiotikaempfindlichen Staphylococcus aureus. Von einem gezielten Vorgehen, wie es jetzt in Münster und Greifswald praktiziert wird, profitieren zugleich jene Kliniken, in welche die Patienten später verlegt werden. "Ein Krankenhaus gibt Geld aus, damit auch andere keine Probleme bekommen. Das funktioniert nur bei Gegenseitigkeit", sagt Alexander Friedrich. Wenn sich ein sanierter Patient anderswo erneut anstecken kann, wird es schwer, die MRSA-Verbreitung in Deutschland auf Dauer zurückzudrängen. "Das klappt nur, wenn alle Kliniken an einem Strang ziehen." Das haben die Gesundheitsminister der Bundesländer ebenfalls erkannt. Im Sommer 2006 sprachen sie sich einstimmig dafür aus, regionale Netzwerke zu etablieren. Dabei ist die Situation im Bundesgebiet noch sehr unterschiedlich: Während manche Kliniken bereits einen MRSA-Anteil von nur fünf Prozent melden, müssen andere noch einen Wert über dreißig Prozent einräumen. Immerhin deutet Wolfgang Witte vom Robert-Koch-Institut dies als hoffnungsvolles Zeichen, weil es zeigt, dass es im Prinzip möglich ist, den Keim zu bekämpfen, wenn man die bestehenden Empfehlungen nur konsequent genug umsetzt.
Das Beispiel der Vereinigten Staaten
Dass gehandelt werden muss, zeigt das Beispiel der Vereinigten Staaten. Dort sind MRSA-Keime nicht nur in den Kliniken stärker als in Deutschland verbreitet, sie wüten vor allem auch in der schwulen "Community", was bereits die Abkürzung cMRSA prägte. Kopfzerbrechen bereitet dabei der besonders aggressive Stamm "USA300", der sich rasch ausbreitet und gegen etliche Antibiotika immun ist. USA300 wurde auch in Deutschland schon nachgewiesen, allerdings nur sporadisch, sagt Witte. Sollte der Stamm sich jedoch in der hiesigen Bevölkerung etablieren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auch in Kliniken Einzug hält. "Das wäre bedenklich. Um solche Entwicklungen rechtzeitig zu bemerken, muss man die Bakterien kontinuierlich überwachen." Das gilt gleichfalls für Staphylokokken des Typs ST398, der vom Schwein stammt und über die Mastbetriebe den Weg zum Menschen gefunden hat. Die Bakterien, im Jahr 2006 erstmals bei Schweinezüchtern nachgewiesen, können ebenfalls Antibiotika widerstehen, sind aber im Vergleich mit dem amerikanischen Gegenstück USA300 harmlos. Noch.
Text: F.A.S.
Quelle/Link: FAZ.net
Von Walter Willems
19. Mai 2008 Im amerikanischen Bundesstaat Virginia fing es mit der Panik an. Als im vergangenen Herbst die Ursache für den Tod des 17-jährigen Highschool-Studenten Ashton Bonds aus Bedford County bekannt wurde, kamen plötzlich von überall her Alarmrufe. 19 000 Amerikaner würden jährlich dahingerafft vom neuen Killerkeim, verkündeten die Centers for Disease Control. Daraufhin wurden Schulen geschlossen, Sportmannschaften trauten sich nicht mehr in die Kabine, der Gouverneur rief schließlich Notfallgesetze aus. Und die Nation hatte einen neuen Feind: Staphylococcus aureus. Nun ist das Problem nicht neu. Staphylokokken sind allgegenwärtig. Solange sie auf der Hautoberfläche bleiben, sind sie harmlos. Gelangen sie aber in den Körper, etwa durch einen Schlauch bei künstlicher Beatmung oder während einer Operation, können sie Wundinfektionen, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen verursachen. Auch das lässt sich normalerweise mit Antibiotika bekämpfen. Doch seit einiger Zeit beobachten Epidemiologen tatsächlich, dass Staphylococcus aureus immer mehr Resistenzen bildet. Sie staunen vor allem darüber, wie schnell sich die Mikroorganismen ihrer Umgebung anpassen. "Es gibt hier eine besondere Dynamik", sagt Wolfgang Witte, Leiter des nationalen Referenzzentrums für Staphylokokken am Robert-Koch-Institut: "Das ist miterlebte Evolution."
Steigende Resistenz
Zwar entwickelten sich schon in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erste Aureus-Bakterien, die gegen das gerade erst auf den Markt gelangte Penicillin resistent waren. Und es vergingen auch nur sechs Monate, nachdem 1960 das Antibiotikum Methicillin auf den Markt gekommen war, bis Forscher in einer südenglischen Klinik Staphylokokken entdeckten, denen auch dieser Wirkstoff nichts mehr anhaben konnte. Methicillin-resistente Stämme (MRSA) sind eigentlich kein klinisches Problem mehr, denn Methicillin ist längst nicht mehr in Gebrauch. Aber die Keime sind inzwischen auch gegen viele andere Antibiotika gewappnet. Dass das ursprüngliche Kürzel "MR" heute also meist mit "multiresistent" gleichgesetzt wird, mag nicht ganz korrekt sein, trifft jedoch den Kern des Problems der Mikrobenevolution. Allein in deutschen Kliniken infizieren sich etwa 75 000 Menschen (1*) jährlich mit Staphylococcus aureus, schätzt Petra Gastmeier von der Berliner Charité, die das nationale Referenzzentrum zur Überwachung von Krankenhausinfektionen leitet. Daran sind MRSA-Stämme mit etwa 16 000 Fällen beteiligt; rund 2000-mal führt das zu Blutvergiftungen. Durch die resistenten Keime sterben jährlich bis zu 500 Patienten, sagt die Berliner Fachärztin für Hygiene. Ihr Kollege Alexander Friedrich vom Universitätsklinikum Münster spricht sogar von bis zu 1500 Todesfällen.
(1*) Anmerkung: Das Bundesgesundheitsministerium geht (Bericht 2006) von 500.000 bis 800.000 MRSA-Neufälle aus, andere Quellen von 1 Mio.
Meldepflicht gefordert
Beides sind Schätzungen, denn eine Meldepflicht für MRSA gibt es in Deutschland bislang nicht. Lediglich ein gehäuftes Auftreten von Infektionen, die möglicherweise auf einen gemeinsamen Infektionsherd deuten, müssen die Kliniken angeben. Diese Regelung ist vielen Experten zu lasch: "Wir brauchen eine Meldepflicht", sagt Axel Kramer vom Universitätsklinikum Greifswald. "Man muss doch wissen, was los ist." Dann könne man nämlich endlich jene Krankenhäuser identifizieren, die es nicht so genau nehmen mit Hygiene und Patientenschutz. Handlungsbedarf sieht auch das Bundesgesundheitsministerium. "Eine Meldepflicht auch für Einzelfälle" fordert der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz. Der Entwurf für eine entsprechende Verordnung soll noch in diesem Jahr vorliegen. Zwar sind multiresistente Staphylokokken nicht grundsätzlich aggressiver als ihre antibiotikaempfindlicheren Artgenossen. Aber sie sind wesentlich schwieriger zu behandeln. Ist ein Patient mit Kokken infiziert, vergehen häufig Tage, bis ein Labor ermittelt, ob es sich um resistente Keime handelt und von welchen Antibiotika überhaupt noch eine Wirkung zu erwarten ist. So verstreicht im Falle einer Blutvergiftung oder Wundinfektion wertvolle Zeit, die den Patienten ein Bein, eine Hand oder gar das Leben kosten kann.
Ärzte und Pfleger als Hauptüberträger
Auch außerhalb von Krankenhäusern ist Staphylococcus aureus weit verbreitet. Die Bakterien besiedeln die Nase oder die Haut beinahe jedes dritten Bundesbürgers. MRSA-Typen sind normalerweise selten darunter, allerdings kann ein Klinikaufenthalt das Risiko drastisch erhöhen: Waren im Jahr 1990 nur zwei Prozent der Aureus-Krankenhauskeime resistent, so stieg ihr Anteil bis 2001 auf 20 Prozent. Gegenwärtig verharre der Wert auf diesem Plateau, sagt Wolfgang Witte. Dabei schwankt der Wert zwischen verschiedenen Kliniken und sogar von Station zu Station beträchtlich: Auf manchen Intensivstationen liegt er beinahe doppelt so hoch. Dass gerade Krankenhäuser das Hauptreservoir bilden, ist kein Wunder: "Wenn wir dort weniger Antibiotika verschreiben würden, hätten wir auch weniger MRSA", sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Axel Kramer. Werden die Mittel im Übermaß verordnet, kommt es zwangsläufig zur Selektion: Sie töten empfindliche Stämme ab, während resistente Keime durch den Wegfall der Konkurrenz sogar besonders gut gedeihen. Schon ein einziger besiedelter Patient hinterlässt dann infektiöse Spuren im Bad, an Lichtschalter und Türklinke oder auf dem Fußboden. Hauptüberträger sind allerdings Ärzte und Pfleger, die viele Patienten versorgen müssen und im hektischen Alltag zu selten die Zeit haben, vor jedem Kontakt dreißig Sekunden lang die Hände oder das Stethoskop zu desinfizieren. "Die Ausbreitung von MRSA in Krankenhäusern ist auch ein Zeichen dafür, dass wir die Hygiene verbessern müssen", sagt Witte.
Antiobotika vorsichtiger einsetzen
Großen Einfluss auf die Verbreitung besitzen außerdem landesspezifische Regelungen, die sich in den Zahlen widerspiegeln: In den Kliniken der Vereinigten Staaten liegt der MRSA-Anteil inzwischen bei über fünfzig Prozent. In dänischen Klinken ist dieser Wert dagegen von einst zwanzig unter zwei Prozent gefallen. Die Niederländer halten ihn sogar unter einem Prozent. "Dort stirbt kein Patient an einer MRSA-Blutvergiftung", sagt Alexander Friedrich aus Münster. Denn unsere Nachbarn verwenden Antibiotika nur noch äußerst sparsam, sie untersuchen neue Patienten an Kliniken aber sofort auf Resistenzen. Mit dieser Strategie wollen nun auch deutsche Krankenhäuser den Staphylokokken zu Leibe rücken. "Wir können viel von den Holländern lernen", sagt Friedrich, der im Raum Münster seit fast drei Jahren ein entsprechendes Modellprojekt koordiniert. Alle vierzig beteiligten Kliniken halten sich beim Verschreiben von Antibiotika bewusst zurück. Gezielt untersucht werden bei der Aufnahme Menschen, die aus anderen Kliniken oder Pflegeheimen kommen, chronische Wunden haben oder an bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes leiden. Binnen Stunden lässt sich so herausfinden, ob etwa in der Nase oder im Wundsekret die Keime lauern. Falls das der Fall ist, muss der Patient von anderen isoliert und seine Haut von MRSA befreit werden. Zwei Wochen lang werden dann mehrmals täglich Salben aufgetragen und antiseptische Waschungen durchgeführt. Die rechtzeitige Isolierung des infizierten Patienten ist dabei entscheidend. Bleibt er auf der Station, ist er ein ständiges Risiko für seine Mitpatienten. Durchschnittlich jede vierte Übertragung von MRSA führe zu einer Infektion, rechnet Friedrich vor, jede zehnte sogar zu einer schweren Infektion wie einer Lungenentzündung oder Blutvergiftung. "Je mehr Träger wir bereits vorher entdecken, desto mehr Infektionen verhindern wir später. Viele Keime finden, heißt Leben retten."
Kosten von Infektionsfällen
Für die vom Sparzwang gebeutelten Krankenhäuser bedeutet das allerdings eine Mehrausgabe. Ein MRSA-Screening allein kostet zwar je nach Verfahren nur zwischen fünf und dreißig Euro. Die Sanierung und die isolierte Pflege eines besiedelten Patienten aber schlagen schon mit bis zu 1500 Euro zu Buche. Dennoch lohnt sich das Vorgehen finanziell: Die Behandlung einer ausgebrochenen MRSA-Infektion kostet eine Klinik schließlich bis zu 20 000 Euro mehr als eine Infektion mit einem antibiotikaempfindlichen Staphylococcus aureus. Von einem gezielten Vorgehen, wie es jetzt in Münster und Greifswald praktiziert wird, profitieren zugleich jene Kliniken, in welche die Patienten später verlegt werden. "Ein Krankenhaus gibt Geld aus, damit auch andere keine Probleme bekommen. Das funktioniert nur bei Gegenseitigkeit", sagt Alexander Friedrich. Wenn sich ein sanierter Patient anderswo erneut anstecken kann, wird es schwer, die MRSA-Verbreitung in Deutschland auf Dauer zurückzudrängen. "Das klappt nur, wenn alle Kliniken an einem Strang ziehen." Das haben die Gesundheitsminister der Bundesländer ebenfalls erkannt. Im Sommer 2006 sprachen sie sich einstimmig dafür aus, regionale Netzwerke zu etablieren. Dabei ist die Situation im Bundesgebiet noch sehr unterschiedlich: Während manche Kliniken bereits einen MRSA-Anteil von nur fünf Prozent melden, müssen andere noch einen Wert über dreißig Prozent einräumen. Immerhin deutet Wolfgang Witte vom Robert-Koch-Institut dies als hoffnungsvolles Zeichen, weil es zeigt, dass es im Prinzip möglich ist, den Keim zu bekämpfen, wenn man die bestehenden Empfehlungen nur konsequent genug umsetzt.
Das Beispiel der Vereinigten Staaten
Dass gehandelt werden muss, zeigt das Beispiel der Vereinigten Staaten. Dort sind MRSA-Keime nicht nur in den Kliniken stärker als in Deutschland verbreitet, sie wüten vor allem auch in der schwulen "Community", was bereits die Abkürzung cMRSA prägte. Kopfzerbrechen bereitet dabei der besonders aggressive Stamm "USA300", der sich rasch ausbreitet und gegen etliche Antibiotika immun ist. USA300 wurde auch in Deutschland schon nachgewiesen, allerdings nur sporadisch, sagt Witte. Sollte der Stamm sich jedoch in der hiesigen Bevölkerung etablieren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auch in Kliniken Einzug hält. "Das wäre bedenklich. Um solche Entwicklungen rechtzeitig zu bemerken, muss man die Bakterien kontinuierlich überwachen." Das gilt gleichfalls für Staphylokokken des Typs ST398, der vom Schwein stammt und über die Mastbetriebe den Weg zum Menschen gefunden hat. Die Bakterien, im Jahr 2006 erstmals bei Schweinezüchtern nachgewiesen, können ebenfalls Antibiotika widerstehen, sind aber im Vergleich mit dem amerikanischen Gegenstück USA300 harmlos. Noch.
Text: F.A.S.
Quelle/Link: FAZ.net