Sinn des Lebens im Alter
Hallo Wildaster
ich spreche natürlich nicht nur dich an, aber heute ganz besonders dich wegen deines Postings zum Wichtignehmen.
Ich glaube, du hast mich nicht ganz richtig verstanden. Gerold hat auch schon auf diesen Themenkomplex geantwortet und ich stimme ihm zu.
Aber nun will ich auf deine Fragen zurück kommen in Bezug auf das, was ich mit "zu wichtig nehmen" meine.
Gut, ein wenig wichtig nehmen wir uns alle wahrscheinlich. Aber viele Menschen nehmen sich so extrem wichtig, dass sie meinen, wenn sie nicht mehr da sind, dann bricht die Welt (oder doch ein Teil davon) zusammen.
Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und sage, dass wir - von einigen wenigen Ausnahmen mal ausgenommen - total unwichtig sind. Für mich ist eine solche Ausnahme meine Frau. Für sie bin ich wirklich wichtig. Wenn ich nicht mehr da bin, dann weiss ich, dass sie sehr trauern wird. Aber nicht nur das, ich weiss auch, dass ihr Leben dann sehr einsam sein wird. Sie wird ihre Blindheit leider nicht ausheilen können und ist deshalb auf meine Hilfe angewiesen. Natürlich wird es auch andere Menschen geben, die sie pflegen oder führen könnten. Aber selbständig leben wird sie ohne mich nicht können. Weil ich sie so liebe wie niemand anderen auf dieser Welt, möchte ich nicht vor ihr sterben. Ob mir und ihr das geschenkt ist, weiss ich natürlich nicht. Aber dieses Beispiel sollte nur zeigen, wie wenig wichtig wir sonst sind. Selbst unsere Kinder und Enkel werden nicht extrem leiden, wenn ich nicht mehr da bin. Sie werden sicher traurig sein, aber ihr Leben geht auch ohne mich so weiter wie bisher. Also bin ich doch für sie nicht wichtig. Jedenfalls nicht besonders wichtig.
Alle Menschen sind natürlich nicht so, dass sie sich extrem wichtig nehmen, so wie Gerold das in seinem Beispiel beschrieben hat. Nach meiner Beobachtung finde ich jedoch, dass sich unendlich viele Menschen wirklich wichtig nehmen. Ich sehe auch, dass dies ein typisches Kennzeichen aller westlichen Kuturen ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist doch der Glaube an ein Leben nach dem Tod. Wenn wir uns nicht wichtig nehmen, dann ist es doch egal, ob wir weiter leben oder nicht. So jedenfalls empfinde ich das. Seitdem ich von dem Glauben an ein Leben nach dem Tod frei geworden bin, lebe ich viel gelassener und bin wirklich glücklicher. So weit zu kommen, dass man sich wirklich überhaupt nicht wichtig nimmt, ist sicher nicht einfach. In jungen Jahren sicher noch viel weniger als im Alter. Je älter man wird, umso mehr wächst die Einsicht, dass man nicht wichtig ist. Das ist meine Erfahrung. Bei vielen Menschen sehe ich, dass sie ihre Wichtigkeit nicht ablegen können (siehe das Beispiel von Gerald!), aber ich sehe auch bei solchen Menschen, dass sie vor lauter Wichtigkeit nicht wirlich leben. Mit "wirklich Leben" meine ich eben nicht, unser Ego in den Mittelpunkt zu stellen, sondern ich meine damit, sich dem Leben hinzugeben. Ja, auch diesen Begriff muss ich wohl erläutern: Das Leben, das ist nach meiner Vorstellung alles, was uns umgibt. Also die Natur, das Wetter, Menschen, Tiere, Geschehnisse. All das kann man intensiv erleben oder auch oberflächlich. Man kann so mit sich selbst beschäftigt sein, dass man kaum wahrnimmt, dass die Sonne scheint oder dass es regnet. Das kommt besonders in unserer heutigen schnellebigen Zeit sehr oft vor. Man nimmt sich nicht die Zeit, um alles - auch das, was gerade nicht so wichtig erscheint wie das Wetter zum Beispiel - wirklich intensiv wahrzunehmen und in sich aufzusaugen. Wenn man das kann, dann ist das nach meiner Vorstellung "wirklich und intensiv zu eben".
Nun zum Sport: Natürlich kann und soll er auch Freude machen. Natürlich kann man eine solche Freude wichtig nehmen. Aber nun kommts: Nehmen wir den Sport als Erlebnis wichtig (oder besser gesagt: Als eine Möglichkeit, uns zu freuen), oder nehmen wir UNS und UNSEREN ERFOLG für sehr wichtig.
Natürlich muss ich hier wieder einräumen, dass wir uns an einem Erfolg freuen können. Das ist nicht verkehrt. Warum auch nicht. Aber der Grad, wie wichtig wir uns dabei vorkommen, ist schon sehr verschieden. Beim Mannschaftssport ist es auch nicht so extrem, denn da gehört ja der Erfolg der gesamten Mannschaft. Aber wenn ich mir die Leistungssportler ansehe, dann habe ich meine Bedenken, ob die Erfolge die Sportler wirklich glücklich machen. Auf lange Sicht doch wohl kaum. Denn jeder Erfolg ist doch nur ein kurzes Glück und schon denkt man und trainiert man für den nächsten Erfolg. So peitscht man sich durchs Leben und in Wahrheit leben solche Menschen kein glückliches Leben, ausgenommen in diesen kurzen Augenblick des Erfolgs.
Es ist sicher für dich anders, sonst würdest du auch gar nicht so schreiben, wie du schreibst.
Und nun zu Weihnachten: Ja, das ist ein schönes Fest (es kann zumindest ein schönes Fest sein, was leider nicht für alle Menschen zutrifft). Aber überlege mal, warum es ein schönes Fest ist! Ist es die Religion, die es schön macht? Oder ist es die Stimmung?
Falls es die Stimmung ist (das ist nämlich bei den meisten Menschen das, was sie schön finden), dann hat das eigentlich mit der Religion nichts zu tun, sondern damit, dass wir die Mitte des Winters mit seiner "stillen Zeit" feiern wie das unsere Vorfahren lange Zeit vor der christlichen Zeit auch gemacht haben. Das Schöne an Weihnachten ist also die Stille Zeit, die Zeit der langen Nächte. Weihnachten war - und ist es immer noch, trotz aller Religion - ein Jahreszeitenfest. Die Christen haben das ausgenutzt und haben den religiösen Inhalt drauf gesetzt. Natürlich ist auch die Geschichte von dem armen Jesulein, das im Stall geboren wird, sehr emotional geladen. Das kann einem schon die tränen in die Augen treiben vor lauter Rührung. Aber genau aus diesem Grund hat man diese rührselige Geschichte erfunden. Das ist alles sehr raffiniert eingefädelt worden. Interessant ist auch, dass kaum jemand an Weihnachten daran denkt, dass man dieses liebe Christkindlein dann später in grausamster Weise ans Kreuz genagelt hat. Das würde nämlich die schöne Stimmung verderben.
Wenn wir aber nun nur die Religion betrachten - und insbesondere die christliche Lehre - dann sehen wir doch sehr schnell, dass es hier um unser ICH geht. WIR wollen ewig leben und die Religion soll uns dazu verhelfen. Das amre Jesulein soll uns eretten vom ewigen Tod. Also nehmen wir uns doch extrem wichtig. Denn wenn wir uns nicht so wichtig nehmen würden, dann wäre es uns doch ziemlich gleichfültig, ob wir weiter leben oder nicht. Ich jedenfalls finde es unglaublich tröstlich, dass ich verschwinden werde. Ich brauche mir keine Gedanken machen, was dann sein wird und das macht mich frei. Nebenbei bemerkt kann ich es mir gar nicht so lustig vorstellen, dazu verdammt zu sein, immer da sein zu müssen. Und ohne die Welt, also die Materie, gibt es eigentlich keine echte Freude. Liebe, gute Erlebnisse, die Sonne geniessen, all das hat doch etwas mit unserem Körper und mit der Materie zu tun. Wenn meine Frau nicht da wäre, aus Fleisch und Blut, wie könnte ich sie dann lieben? Ein gutes Essen ohne unseren Körper, wo gibt es denn so etwas??? Aber die religiösen Führen reden uns ein, dass es auch eine Freude ohne den Körper geben kann. Wers glaubt, der ist selber Schuld! Wer im Glauben leben will, der soll es tun. Nach dem Leben ist es auch mit dem Glauben vorbei. Aber daran denkt wohl niemand. Man glaubt eben gerne etwas.
Warum das so ist, habe ich in einem meiner Bücher sehr genau beschrieben. Aber das ist ein zu umfangreiches Thema, um hier in aller Kürze darauf einzugehen. Aber ist sehr interessant, einmal ein wenig hinter die Kulissen unserer Religionen zu schauen und die Frage zu stellen, warum eigentlich so viele Menschen einen Glauben brauchen. Und die Hoffnung auf ein Leben danach.
Ja, du hast auch die Hoffnung angesprochen. Aber ich fürchte, ich muss jetzt aufhören, sonst liest ja keiner mehr meinen langen Beitrag.
Falls du willst, können wir uns gerne noch später über die Hoffnung unterhalten.
Liebe Grüße
Werner
PS: Ich lese übrigens deine Beiträge auch sehr gerne!
Obwohl das Posting schon viel zu lang geworden ist, muss ich doch noch etwas anfügen:
Du fragst, was solche Menschen, die Gerold beschrieben hat, dazu bewegt, sich so wichtig zu nehmen.
Eine gute Frage. Ja, du magst Recht haben, es kann die Angst sein, zu vergehen, nicht mehr wichtig zu sein. Aber das ist ja gerade der Knackpunkt. Das ist ja ein Kreis, der nie endet. Diese Menschen nehmen sich so wichtig, weil sie Angst haben, nicht wichtig zu sein. Es ist ihr extrem ausgeprägtes Ego, also insbesondere die Vorstellung, dass sie der Mittelpunkt der Welt sind oder die Krone der Schöpfung. Warum sie das denken, ist eine gute Frage. Es könnte sein, dass unser ewiges Gerede vom ewigen Leben tatsächlich etwas dazu beiträgt. Denn nur weil wir wichtig sind für Gott, leben wir ewig nach dem Glauben der Religion. Wenn wir es akzeptieren könnten, dass es gar keinen Gott gibt und auch kein Leben nach dem Tod, dann müssten wir doch automatisch unser kleines ICH gar nicht mehr so wichtig nehmen. Oder habt ihr da eine andere Meinung?