Hallo,
na, nun sieht die Welt gleich ganz anders aus. Erst durch Oreganos Beitrag bin ich auf Franz Wittig aufmerksam geworden, der mit bisher ganz entgangen war. Er ist beim Südwestfunk (auch der war mir bisher nicht als wissenschaftliche Informationsquelle bekannt – meine Schuld!) „Odysso-Reporter“. Er schrieb das von Oregano zitierte Artikelchen selber - aber über sich selber in der 3. Person – irgendwie "kommt" das expertenhafter.
Jedenfalls hat Reporter Franz Wittig schon „mehrfach die Versprechen der Vitamin-Hersteller überprüft“ – mit dem sensationellen Ergebnis, dass Vitamine in der Regel nichts nützen, manchmal aber schaden. Zu derartigen „Überprüfungen“ braucht es sogenannte Metaanalysen, mit denen die Ergebnisse unterschiedlicher Experimente kombiniert werden. Um das zu lernen (von den entsprechenden Sachkenntnissen bis zu relativ neuen Methoden der urteilenden Statistik), brauchen gewöhnliche Sterbliche ein paar Semester. Reporter Franz Wittig kann’s einfach. Schön. Und er macht sich kundig im Ärzteblatt, einer der bedeutendsten Fachzeitschriften weltweit. (Ich werde mich hüten, dies nochmal als tendenziöses Käseblättchen zu bezeichnen.)
(Gar nicht neu ist, dass Pharmariesen die Wirkung orthomolekularer Substanzen untersuchen. Die Wirkung dieser Substanzen stellt sich als nichtexistent heraus. Die Wirkung derartiger Behauptungen auf Ärzte, Patienten und die Öffentlichkeit (alle nicht methodenkritisch geschult) ist aber gewaltig – ebenso wir die Wirkungen auf die Rendite. Natürlich steigen die Umsätze der nebenswirkungsreichen und z.T. sündteueren Medikamente bei einem Publikum, dem man erfolgreich andere Optionen ausgeredet hat. Die Untersuchungen selber sind vielfach ohne Erkenntniswert; am bekanntesten ist wohl die über die Wirkungen von „Vitamin E“. Dieses sehr wichtige Vitamin hat bekanntlich 8 Komponenten, 4 Tocopherole, 4 Tocotrienole – aber die Untersuchung hat sich schlicht auf eine einzige davon beschränkt, den Rest bekamen die Probanden gar nicht. Einer der zahllosen Tricks; man braucht ja längst nicht mehr zu fälschen.)
Nun diese NORVIT-Studie. Zunächst mal ist sie hier völlig irrelevant. Nämlich handelt es sich um eine Interventionsstudie bei PatientInnen, die alle schon einen Infarkt (oder deren mehrere) erlitten hatten. Das nennt man Sekundärprävention (in Gegensatz zu Primärprävention, wenn es um Vermeidung des ersten Infarkts ginge). Es ist längst bekannt, dass Sekundärprävention wesentlich schwieriger und aufwendiger ist als Primärprävention; bei der Planung von Untersuchungen geht man für Studien zu ersterer von etwa 10-fach höheren Fallzahlen aus, verglichen mit solchen zu letzterer (wenn man Unterschieden in beiden Fällen die gleiche Chance geben will, statistisch signifikant zu werden. Also, erst mal hat NORVIT zu wenig Fälle.
Weiterhin hatte ein Großteil der TeilnehmerInnen bereits vor Beginn der Studie Vitamine eingenommen. Das wurde erfragt aber nicht weiter beachtet. Natürlich methodisch ein grober Fehler, der dazu führen kann, dass die Intervention weniger Wirkung zeigen konnte.
Zudem trat – wie nebenbei berichtet wird – etwa die Hälfte der neuerlichen Infarkte innerhalb eines Jahres nach Studienbeginn auf. Tja, soo schnell wirkt Orthomolekulare Medizin bei schweren Erkrankungen in aller Regel nicht; hier muß erst mal Homocystein gesenkt werden, dann muß sich diese Senkung auf die unterschiedlichen Mechanismen auswirken, durch die Hc Schäden produziert hat. Das sind ja überwiegend keine funktionellen Störungen sondern strukturelle Veränderungen an Organen (z.B. am Endothel, dazu Entzündungen, Schädigung der Mitochondrien usw.)
Schließlich kriegten alle PatientInnen Statine und ASS, ein großer Teil davon noch Betablocker, etliche zudem ACE-Hemmer. Waren also schon ziemlich gut versorgt und zwar mit Substanzen, die in vieler Hinsicht ähnliche Wirkungen haben sollten wie Folsäure – bloß eben heftiger, nebenwirkungsreicher und, nicht zu vergessen, wesentlich teurer. Methodisch gesehen ist dieses Vorgehen ungefähr so, als würde man gesättigten Menschen nach ihrer Mahlzeit noch eine kleine Nachspeise geben; die wird bestimmt weniger bewirken als bei weitgehend Nüchternen.
Was folgt nun daraus?
Nun, man könnte ein wenig kontemplieren, wie – ja eben nicht evidenzbasierte sondern - rofitgeleitete Medizin funktioniert. Und wie leicht man sich zu falschem Denken verführen lässt, sogar durch einen SWR-Odysso.
Und Perle? Die soll sich mal „ nicht verrückt machen“ lassen. (Das lasse ich mal unkommentiert.). „Und warte doch einfach mal ab, wie Dir die B12-Spritzen helfen!“ (Frag mich, wie und wo man die Wirkung von B12 so klar „spürt“.) Also mal nix tun.
Vielleicht noch ein bisschen „Labordiagnostik“ – die ja immer auf einen Vergleich mit „Referenzwerten“ hinausläuft. Diese kommen aber aus keiner Offenbarung sondern sind die Werte, die aus einer kranken Population gewonnen werden. Man wird also darüber informiert, ob man normal krank ist. - Dazu eine weitere Überlegung: Selbst wenn man Referenzwerte von Gesunden hätte: sie könnten irrelevant sein für Menschen mit Homocysteinämie – weil genau die eben viel mehr Folsäure und B12 brauchen. Schon seit Jahrzehnten wundern sich Patienten, dass B12 bestimmte Wirkungen hat (z.B. gegen Erschöpfung), ohne dass laborchemisch ein Mangel nachweisbar war. - Was die Nebenwirkungen von Folsäure betrifft: sie sind selten und gut beherrschbar. Und: es gibt keine bei der aktivierten Form 5-MTHF (u.a. weil da die Leber sich nicht mit der Aktivierung plagen muß).
Allen Interessierten kann ich wärmstens empfehlen das Buch von Uwe Gröber: Mikronährstoffe. Metabolic Tuning – Prävention – Therapie, 3. Aufl., 2011. – Zufällig steht vor mir das neueste Buch der führenden Expertin für nichtchirurgische Glaukomtherapie: Ilse Strempel: Glaukom – mehr als ein Augenleiden. Handbuch für Ärzte und Patienten, 2. Aufl. 2009; sie erwähnte – neben sehr vielem anderen - die Senkung von Hc sowie B12 und Folsäure mehrfach und mit Nachdruck.
Liebe Grüße,
Windpferd