Ihr Lieben, Ihr allzu Lieben, Ihr vermeitlich Lieben,
warum, um Himmels willen, wollte Ihr denn diese Frau daurend irgendwie heilen, therapieren, schmerzfrei stellen, normalisieren? (Hat sie denn darum überhaupt gebeten?)
Diese Frau erlebt die Wirklichkeit wie sie ist. Leben IST Leiden, das war das Erste, was der Buddha lehrte. War der denn blöd? Es gibt Liebe und es gibt Liebesschmerz, der einen umbringen kann. Das wollen wir normalerweise nicht wahrhaben (weil es uns aufwecken könnte? weil es aus unserer etablierten "Zufriedenheit" vertreiben könnte?
Jeder kennt diesen Schmerz (sofern er nicht systematisch sich selber ausweicht). Der Liebesschmerz ist am allerschlimmsten, wenn eine sehr langjährige, sehr lebendige, sehr erfüllte Verbindung endet. (Nicht eine Kuschelbeziehung, mit der man sich halt über die eigene Einsamkeit hinwegtäuscht.) Oder die Verbindung Mutter-Kind. Aber die Welt ist so gebaut, daß ausnahmslos JEDE dieser Verbindungen endet und bleibt zurückbleibt.
"Es schaudert vor der Lieb das Herz
als wär's der Tod,
denn durch die Liebe stirbt das Ich,
der mächtige Despot."
(Rumi)
"Es wandelt, was wir schauen,
Tag sinkt ins Abendrot -
die Lust hat eig'nes Grauen
und alles hat den Tod.
Ins Leben schleicht das Leiden
sich heimlich wie ein Dieb -
wir alle müssen scheiden
von allem, was uns lieb."
(Eichendorff)
"Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
wie kann das sein, daß diese nahen Tage
fort sind, für immer fort und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt
und vuiel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt ..."
(Hofmannsthal)
"Ich schreie vor Schmerz."
(Tagebuchnotiz Goethes, ca. 65, nach einer Trennung)
Tja, wir sind nicht vorher gefragt worden - aber vielleicht sollten wir uns doch mal auf die unabänderlichen Grundbedingungen menschlicher Existenz einlassen? (statt uns zu drücken in unsere Psychotherapie- / Psychopharma-"Kultur"?)
Natürlich kann man überleben. (Nicht alle tun das.) Einmal auf einem der authentischen und bei uns zugänglichen religiösen Wege. (Das sind wenige.) Oder durch künstlerische Gestaltung. (Um ihrer selbst willen - nicht um was zu haben, das man auf's Regal steht.) Das kann Dichtung sein. Dazu gibt es bei dieser Frau ja Ansätze. Die soll ihrem unerreichbaren Geliebten schreiben (ohne daß er die Briefe kriegt natürlich; anonym ist's schräg). Natürlich der Einwand: "dadurch kommt er nicht zurück." Das ist kleinmütiger Unsinn. (Die Ehefrau von de Saint Exupery hat ihrem Mann viele Jahre nach seinem Absturz Briefe geschrieben. Die sind veröffentlicht - "Die Rose des Kleinen Prinzen" - und er wird durch sie mehr als lebendig.) - Aber Schreiben ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Schauspielen ist DIE Möglichkeit, mit dem Verlorenen wirklich EINS zu werden, ihn zu "verkörpern". Was will man denn mehr? Ähnlich wie bildliches oder plastisches Gestalten. Alles, solang nicht herumtherapeutelt wird.
Und, scheint mir, dazu gehören kann, daß man sich Große Kunst zu Gemüte führt. Wir sind schließlich nicht die Ersten, die leben müssen zwischen Liebe und Tod.
"Ich gebe den Schmerz nicht her," schrieb Stifter, der kein Masochist war aber diese Energie zum Arbeiten brauchte. Und Rilke, der zeitweise erwog, sich zu Freud in Analyse zu begeben, fürchtete, dann nicht mehr schreiben zu können. Es würde uns viel fehlen, wenn er "geheilt" worden wäre.
Nach meinem Empfinden liegt in Euerer irgendwie krankenschwesterlichen Grundhaltung eine Weigerung, menschliches Leiden - damit aber den Menschen überhaupt - ernst zu nehmen.
"Wir haben einander immer verkleinert ... warum haben wir einander immer verkleinert ...?" (Die letzten Worte des Stücks "Biografie" von Max Frisch. Das war übrigens einer, der Trostlosigkeit aushielt - eigene und die anderer.)
Herzlich
Windpferd