Was bitte ist eigentlich Familie?

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Angeregt durch Phils Überlegungen in einem anderen Thread, würde ich hier gerne mal den Familienbegriff thematisieren.

Dieser kurze Text von Dr. Manfred Textor, deutet meines Erachtens ganz gut die Wandlungen an, denen die "Lebensform Familie" unterlag:



Die Formen der Familie, die wir aus persönlicher Erfahrung und Beobachtung kennen, sind im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Selbst der Familienbegriff - von der lateinischen Wortform "familia" abgeleitet - wurde erst um 1700 im deutschen Sprachraum heimisch. Er wurde anfangs sowohl zur Bezeichnung der Verwandtschaft als auch der Hausgenossenschaft verwendet, wobei er in der letztgenannten Bedeutung zusätzlich Gesinde, Lehrlinge, Gesellen, Schüler usw. umfasste. Zuvor waren Begriffe wie "Geschlecht", "Sippe", "Weib und Kind" sowie "Haus" üblich, die allerdings nicht genau das bezeichneten, was wir heute "Familie" nennen. Erst nach 1800 wurde unter dem Einfluss von Naturrecht, Aufklärung und Romantik der Familienbegriff immer mehr zur Bezeichnung der personalen und affektiven Beziehungen von durch Geschlechtsgemeinschaft (Ehe) und Elternschaft verbundenen Individuen verwendet. Diese langsame Begriffsveränderung spiegelt im Grunde den sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden gesellschaftlichen Wandel vom "ganzen Haus" des Mittelalters über die verschiedenen Familienformen des 19. Jahrhunderts bis hin zur tendenziell partnerschaftlichen Familie der Gegenwart wider.

Mehr dazu findet man hier:

https://freenet-homepage.de/Textor/Teil1.htm

Zumindest Wikipedia spricht, was die "heutige" Familie betrifft, von der "postmodernen" Familie:

Postmoderne Familie:
Als "Postmoderne Familie" entwickeln sich primär in Westeuropa Formen, die die Auflösung der Gattenfamilie tangieren. Wenn auch die Ehe der Ehegatten in der Kernfamilie zahlenmäßig weiter deutlich überwiegt, ist doch eine Reihe entsprechender Entwicklungen festzustellen. Sie reicht von Wohngemeinschaften und Lebensgemeinschaften über Einelternfamilien bis hin zur Verbindung zweier Eltern mit je eigenen Kindern zu einer Patchworkfamilie ohne rechtliche Bindung. Staatlicherseits wird die nicht-eheliche Verbindung formalisiert, sei es durch Anrechnung von Einkommen nicht-ehelicher Partner in der Armengesetzgebung (Deutschland: eheähnliche Lebensgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft), sei es durch Anerkennung der Verbindung homosexueller Paare (eingetragene Lebenspartnerschaft), oder - andererseits - durch gemeinsames Sorgerecht nicht-verheirateter Eltern bei gemeinsamen Kindern. Doch auch in modernen rechtsgültigen Ehen werden Lebensbeziehungen alltäglich, die solchen Entwicklungen entsprechen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Familienformen

https://www.stieffamilien.de/

https://www.uni-magdeburg.de/iew/web/studentische_projekte/ws03/spittel/index.html

https://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Fachbeitrag/a_Jugendforschung/s_1687.html

Herzliche Grüße von Leòn
 
Hallo,

ich habe jetzt mal Phils Beitrag aus dem Thread "Psychologie der Frau" "geklaut" und zitiere ihn hier:

.....dass heute soviele Beziehungen den Bach runter gehen zeigt doch auch, dass das Modell Kleinfamilie nicht mehr zeitgemäss ist. Die Angst sich zu binden ist so offensichtlich, viele wollen heute die Verantwortung, oftmals eine materielle, nicht mehr tragen, oder können sie auch schon gar nicht mehr. Allen Leuten recht getan - den Spagat zwischen Familie und dem Arbeitgeber ist für immer mehr Menschen der Untergang ihrer "heilen" Welt, Lebenskrise genannt.

Ja, vor ein paar Tagen wurde eine Statistik eröffnet, in der beklagt worden ist, dass nur noch in jedem vierten Haushalt in der BRD Kinder leben!

Ich erleben dhingegen in der Arbeit, dass Familien mit mehr als zwei bis drei Kindern schnell als "asozial" gelten und verschiedenste Nachteile zu dulden haben: Schwierigkeiten bei der Wohnraumbeschaffung (es gibt kaum ausreichend große Wohnungen), besondere Beäugung durch Institutionen wie Kindergärten und Schulen, bis hin zur Nachrede und Ausgrenzung. Wenn die Eltern (in der Regel die Mütter) überfordert sind und zum Beispiel die Kinder mal nicht so sauber zur Schule schicken, wie es als en vogue gilt, vielleicht nicht die erforderliche Förderung leisten können, gibt es kaum adäquate Hilfemöglichkeiten. Das neue programm unseres Familienministeriums ist in dieser Hinsicht ein Witz!

Das Mann und Frau sich als Paar zusammenfinden ist nicht mehr als natürlich. Dass Mann und Frau mit Kindern in einer Kleinfamilie leben, das ist eine Entwicklung innerhalb der Industriegesellschaft.

Phil, familiengeschichtlich betrachtet, war die Bildung des Systems Kernfamilie (Vater - Mutter - Kinder) bereits im späten Mittelalter abgeschlossen.
Bereits die hochmittelalterlichen Ritterfamilien hatten die Trennung zwischen Haus und Hof vollzogen. Die spätmittelalterlich - bürgerlichen Familien erst recht.
Die Verbindung (Kern)Familie, Emotionalität, Partnerschaft von Frau und Mann etc., gilt so etwa erst seit dem 18. Jahrhundert.

Ich sehe als ideale Möglichkeit für Mann und Frau - jeden Alters - sich zu erkennen, wahrzunehmen und zu entwickeln in der Grossfamilie.

Ja, aber das wäre ein neues Modell, denn die "Großfamilie", im Sinne der Römer und des frühen/ hohen Mittelalters, in der Gents (genetische Familie) und Mägde, Knechte, sonstige "Familarie" (allerlei Bedienstete), unter einem Dach lebten, gibt es so schon lange nicht mehr und ist nicht mit der Mehrgenerationenfamilie zu verwechseln.
(Siehe hierzu bitte: Schulze, Hans K.: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter. Bd. 1 und 2. Stuttgart 1985)

Dabei denke ich weniger an Blutsverwandtschaft als vielmehr an Seelenverwandtschaft. Und ich meine, dass man auch innerhalb einer "Grossfamilie" seine Partnerschaft leben kann, mit weit weniger ökonomischem Stress, und allein schon dadurch bedingt, kleinerem Krankheitsaufkommen.

Ja, und damit wären wir bei einer "Utopie", im besten Sinne, angekommen.

Es ist natürlich nicht so, dass es solche "Modelle" nicht schon gegeben hat, ich denke da an die Hippie - Kommunen und die Kommunen der "68er" - Zeit.

(Wie heißt diese Frau? :D )
Vermutlich gibt es weitere Beispiele. Woran sind solche und andere Projekte eigentlich gescheitert? Sind sie überhaupt gescheitert?

https://de.wikipedia.org/wiki/Kommune_(Lebensgemeinschaft)

Hier ein paar Beispiele von existierenden "alternativen" Lebensmodellen:

https://www.kommune-buchhagen.de/

https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Lutter

www.kommune-niederkaufungen.de/kommune/eindex.htm



https://de.wikipedia.org/wiki/Kibbuz

Herzliche Grüße von Leòn
 
Dieses "Modell" habe ich gerade im Internet gefunden:

https://www.br-online.de/umwelt-gesundheit/unserland/landwirtschaft_forst/oeko_landbau/lpg.shtml


Erfolgreich - eine Landkommune im Allgäu


Auf dem St. Michaelshof in Laubegg im Allgäu ist alles ein wenig anders. Das merkt man schon, wenn man ankommt. Im kreisförmig angelegten Obstgarten steht zwischen den Obstbäumen und Beerensträuchern die Statue einer antiken Frauenfigur. Und sie ist nicht allein. Zwischen den Gewächshäusern stehen Kunstwerke, zwischen dem Gemüse Blumen. Hier gehört alles irgendwie zusammen. So wie die Besitzer. Fünf Familien, die vor rund 19 Jahren aufs Land gezogen sind und den Einstieg in die Landwirtschaft gewagt haben.
Unterschiedlicher geht's kaum



Die Menschen vom St. Michaelshof kommen aus den unterschiedlichsten Berufen. Ein Lebensmitteltechnologe ist dabei, ein Unternehmensberater, eine Kunsthistorikerin, eine Geschäftsfrau, ein Land- und Forstwirt und eine Bankkauffrau. Gemeinsam haben sie in der alten Hofstelle ein Zuhause für alle geschaffen. Und weil auf dem St. Michaelshof heute zwar allerlei Ziergeflügel, Hunde und Katzen, aber keine Nutztiere mehr gehalten werden, wurde der alte Stall zur riesigen Wohnstube umfunktioniert. 20 Leute unter einem Dach, in einer Küche, einem Wohnraum.
Erfolgreich biologisch-dynamisch



Kunst und Natur, Mensch und Landwirtschaft im Einklang - dieser Eindruck begegnet dem Besucher überall in Laubegg. Die Bodenhaftung ist den Bewohnern dabei nicht verloren gegangen. Auf dem St. Michaelshof wird professionell Gemüse und Getreide erzeugt. Auf über 700 Höhenmetern werden 50 verschiedene Gemüsesorten und Erdbeeren angebaut. Gewirtschaftet wird biologisch-dynamisch. Gemäß den Demeter-Richtlinien werden Präparate in homöopathischen Dosen zur Stärkung der Pflanzen eingesetzt. Und beim Anbau werden die Mondphasen und die Stellung der Sterne berücksichtigt.
Alles wird geteilt


Viel Arbeit fällt auf so einem Hof an. Um die zu bewältigen, müssen alle am Hof mithelfen. Doch die Mühe lohnt sich, denn letztlich profitieren auch alle vom Ertrag. In der Betriebsgemeinschaft am St. Michaelshof gibt es nämlich nur eine Kasse. In die fließen sämtliche Einkommen der Familienmitglieder und jeder nimmt sich daraus, was er braucht. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine so genannte GBR, eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts, die in der Landwirtschaft weit verbreitet ist. Investitionen und wichtige Entscheidungen für den Betrieb werden gemeinsam abgesprochen. Die Mehrheit der Erwachsenen bestimmt, was wann und wie umgesetzt wird.

Gemeinsam fiel auch die Entscheidung für den Verkauf der Produkte, die anfangs nur für den eigenen Bedarf angebaut worden waren. Und mittlerweile wird nicht mehr nur frisches Obst und Gemüse vermarktet, sondern auch weiterverarbeitete Lebensmittel. In der Profiküche werden Marmeladen gekocht, Gemüsebrühen, Sirupe, Säfte und Brotaufstriche hergestellt. Alle Produkte werden an Marktständen in München, Immenstadt, Sonthofen und am Bodensee verkauft.
Vom Idealismus profitieren alle


Verkauft wird nur auf entfernten Märkten.
In der unmittelbaren Umgebung verkaufen die Familien vom St. Michaelshof nicht. Sie wollen den Bauern aus der Nachbarschaft nicht in das lokale Geschäft pfuschen, denn die Betriebsgemeinschaft in Laubegg hätte einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Viele Mitglieder arbeiten außerhalb der Landwirtschaft. Auch deren Einkommen fließt vollständig in die gemeinsame Betriebskasse. Und weil auch sie nach Feierabend mit anpacken, steht der Betrieb finanziell auf gesunden Beinen.
 
Danke Leòn für die illustrierenden Beispiele. Mich erinnert das Ganze jedoch sehr an die Zeit der Bioläden. Inzwischen sind die meisten wieder eingegangen und Grossanbieter stellen Bioprodukte in ihre Regale.

So sehe ich auch, dass die Wohngemeinschaft (und eben nicht Komune) sich ähnlich entwickeln wird, als eine ganz normale ökonomisch sinnvolle und resoursensparende Wohnform der Zukunft.

Kürzlich zeigte SF DRS einen Bericht über eine Alters-WG, wo ältere Menschen sich zu einer Wohngemeinschaft zusammen gefunden haben, wo wohl vieles geteilt wird, aber eben nicht alles, jeder also durchaus seine Privatsphäre hat. Es sind denn auch nicht "progressive" die diese Wohnform gefunden haben, sondern ganz durchschnittlich Menschen. Eine Chance aus einer schmalen Rente das Beste zu machen.

Noch lieber wäre mir natürlich ein generationenübergreifendes Modell. Dies scheint mir nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern ebenso was die Entwicklung von Augenmass und gesundem Menschenverstand betrifft, eine sinnvolle Möglichkeit des Lebens zu sein. Ebenso, denke ich, würde die Sozialisation aller Altersschichten eine ander sein.

herzlichst - Phil
 
Hallo Phil,

nur mal am Rande: Hinsichtlich der Bioläden habe ich hier in der Stadt eine andere Erfahrung gemacht. Die beiden Läden, die es gab, als ich vor 13 Jahren herkam, existieren noch und ein dritter, größerer Bio - "Supermarkt" ist hinzugekommen.

Auf dem Wochenmarkt gibt es ein paar Stände mehr als "damals" UND die übrigen Läden, selbst die Discounter, bieten vermehrt (sogenannte) Bio - Produkte an.. .... aber darum geht es hier ja eigentlich nicht.



Ich habe auch einen Dokumentarfilm über Alters - WG's gesehen (vielleicht der selbe?) und teile Deine einschätzung, dass es sich hierbei eher um wirtschaftlich bedingte "(Zwangs) - Gemeinschaften" handelt.

Und jetzt beginnt, so finde ich, langsam die "Utopie".
Noch lieber wäre mir natürlich ein generationenübergreifendes Modell. Dies scheint mir nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern ebenso was die Entwicklung von Augenmass und gesundem Menschenverstand betrifft, eine sinnvolle Möglichkeit des Lebens zu sein. Ebenso, denke ich, würde die Sozialisation aller Altersschichten eine ander sein.

Ja, finde ich auch. Hier mal der Link zu nur einem Modell dieser Art:

https://www.seniorenpro.de/Generati...aus-ist-Heimat-Altern-A051026ELPEP018014.html

Nur allzuoft, scheint mir, ist da, wo "generationsübergreifende Wohngemeinschaft" draufsteht, nur Altenheim drin! Auch hier stellt sich meines Erachtens die Frage, wann, wie und warum die Gemeinschaften sich finden.

.....dass heute soviele Beziehungen den Bach runter gehen zeigt doch auch, dass das Modell Kleinfamilie nicht mehr zeitgemäss ist. Die Angst sich zu binden ist so offensichtlich, viele wollen heute die Verantwortung, oftmals eine materielle, nicht mehr tragen, oder können sie auch schon gar nicht mehr. Allen Leuten recht getan - den Spagat zwischen Familie und dem Arbeitgeber ist für immer mehr Menschen der Untergang ihrer "heilen" Welt, Lebenskrise genannt.
Hier heraus lese ich die Idee, zur Schaffung einer psychosozial, ökonomisch und sozialpolitisch motivierten Alternative zur Lebensform Kleinfamilie.

Mir persoenlich gef'aellt der Gedanke von mehreren Generationen, die in einem [berschaubaren Umfeld, zum Beispiel einem Hof, zusammenleben. Stellt sich dann die Frage nach den oekonomischen und soyialen Strukturen.... .


Herzliche Gruesse von
Leon
 
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