Hallo Heather,
ja, ich habe Deinen Text gelesen. Er berührt mich sehr.
Ich wurde katholisch getauft und hatte auch mal so einen Kinderglauben. Ich habe gebetet, bin mit meinen Eltern jeden Sonntag zum Gottesdienst gegangen, wir feierten Weihnachten u.s.w.
Solche traumatischen Erlebnisse wie Du hatte ich nicht auszustehen, aber je älter ich wurde, desto mehr kamen bei mir Zweifel auf, ob denn da alles mit rechten Dingen zugeht. Die Diskrepanz zwischen den Reden der Kirchenoberen und ihrem Verhalten hat mich zunehmend verärgert. Heute bin ich der Ansicht, daß solche Menschen jedesmal, wenn sie das Wort "Liebe" in den Mund nehmen, den Haß meinen. Und wie oft sprechen Bischöfe und der Papst dieses Wort aus. Diese Heuchelei ist für mich kaum noch zu überbieten.
Mit 25 Jahren bin ich dann aus der Kirche ausgetreten. In diesem Zusammenhang fällt mir auch wieder so eine "Schweinerei" ein, die in Deutschland an der Tagesordnung ist. Es gibt seit dem Jahr 1922 das Gesetz über die religiöse Kindererziehung. Danach besteht das Recht zum Kirchenaustritt ab dem 14. Lebensjahr. Aber glaubst Du, mich hätte jemand im Gymnasium über dieses Recht informiert? Daß man mit 18 Jahren wählen darf, wird einem schon vorher lang und breit verkündet. Aber über so ein fundamentales Recht wie das, über seine Kirchenmitgliedschaft selbst zu bestimmen, darüber erfährt man nichts. Es ist auch heute noch so, daß die Jungendlichen in der Schule nicht darüber aufgeklärt werden, wie mir der Leiter eines Gymnasiums bestätigt hat. Wie soll ein Mensch sein Recht wahrnehmen können, wenn er nicht weiß, daß es existiert? Aber darin liegt ja gerade die Perfidie!
Ich kann meinen Freund auch verstehen, zumal seine Frau an einem Hirntumor nur wenige Tage nach seinem Geburtstag starb und ihn und die minderjährige Tochter zurückließ. So viel persönliches Leid, und nicht nur das, sondern millionenfach, wie Du es mit den aidskranken Kindern in Afrika angedeutet hast. Und nicht nur die Grausamkeiten den Menschen gegenüber, auch die Tierquälereien weltweit sprechen eine beredte Sprache, wozu die selbsternannte "Krone der Schöpfung" fähig ist.
Für mich kann das nur zweierlei bedeuten: entweder es gibt keinen Gott oder er ist nicht allmächtig. Vielleicht ist die Erschaffung der Welt ja das Werk eines Demiurgen, der sich selbst für Gott hielt.
Gnostizismus - Wikipedia
Wenn Gott aber existierte und allmächtig wäre, verstände ich auch nicht, wieso er all das Leid an Mensch und Tier zuläßt. Aber an der Lösung dieses Theodizee-Problems, ein Begriff, der auf den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz zurückgeht, haben schon viele ergebnislos geknobelt.
Theodizee - Wikipedia
All die dort gennanten Lösungsansätze überzeugen mich nicht. Vor allem auch nicht das häufig vorgebrachte Argument des "freien Willens", den der Mensch habe.
Der Autor Richard Doolin hat in seinem Roman "Bett fünf" ebenfalls eine Lösung parat: Gott kommt mal wieder auf die Erde. Er setzt sich an eine Bar, um etwas zu trinken. Da fällt ihm eine Münze herunter. Er bückt sich, um sie aufzuheben und stößt, als er wieder hoch geht mit seinem Kopf so heftig an den Tresen, daß er seitdem im Koma liegt und künstlich beatmet wird...
Ich bin von der Reinkarnation überzeugt. So glaube ich auch, daß wir in diesem Leben durch unsere Taten gutes oder schlechtes Karma anhäufen. Daß es Wesen gibt, die uns helfen und leiten, mögen sie nun "Engel" oder Geistführer oder anders heißen, glaube ich ebenfalls.
Die mir sympathischste Richtung ist der Buddhismus, mag man ihn nun als Religion oder Philosophie sehen. Er braucht keinen Gott und dennoch ist es für Buddhisten selbstverständlich, möglichst keinem Lebewesen Schaden zuzufügen.
Liebe Grüße
Jürgen