Hallo Geri1,
gerade habe ich eure schöne Unterhaltung verfolgt und den Wunsch verspürt, auch etwas dazu zu sagen.
Für Motivationslosigkeit kann es sicher vielerlei Gründe geben. Gerade in der Mitte des Lebens fragen sich ja Menschen oft: was habe ich erreicht? Meist ist diese Frage auf materiellen oder sozialen Wohlstand bezogen, etwa ein gutes Einkommen, eine gute Position, eine gute Altersversorgung, ein Eigenheim, schöne Urlaube und Reisen, eine glückliche Ehe, wohlgeratene Kinder, ein befriedigendes Hobby, etc. pp.
Jetzt könnte man ja meinen, wer einen größeren Teil dieser Fragen bejahen kann, der müsste besonders glücklich sein oder zumindest besonders zufrieden und ausgeglichen. Umgekehrt müssten dann in diesen Bereichen weniger erfolgreiche Menschen besonders unglücklich sein. Dennoch ist es nicht so, denn was uns antreibt ist nicht, das Erreichte zu bestaunen sondern es zu erreichen. Ersteres wird schnell langweilig, und wenn man nicht teilen kann was man hat oder was einen bewegt, dann entsteht eine gewisse Leere. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Wir wollen uns ausTAUSCHEN und mitTEILEN, einBRINGEN und wahrNEHMEN, und das möglichst auf einer Ebene, die ungefähr unserem Naturell und unserer Weltsicht entspricht. Wir entwickeln einen WissensDURST, LebensHUNGER, ReiseLUST, ForscherDRANG.
Diese Bedürfnisse kommen aus dem inneren, unser nach außen gerichteter Lebensstil hat dafür oft keinen Platz und wir unterdrücken sie, oft ohne sie richtig wahr zu nehmen. Für das eine sind wir zu beschäftigt, das andere ergibt sich halt nicht, manches begegnet uns nie oder etwas hindert uns, Bedürfnisse zu erkennen oder sie zu stillen. Manches enthalten wir uns vor, weil es anders einfach praktischer ist. Oder weil wir ein potentielles Konfliktpotential meiden möchten, Scheu vor Veränderungen haben, eingefahrenen Spuren folgen...
Und vieles mehr.
Wenn dann alles was uns sonst beschäftigt hat einmal richtig läuft und die wohltuende Routine dafür sorgt, dass wir weniger Aufmerksamkeit für diese Dinge benötigen, sie aber auch für weniger Befriedigung sorgen, dann beginnt man das Fehlende zu vernehmen. Die Ziele sind erreicht, der Gipfel ist erklommen, aber ich brauche weder bis zum Abend abzusteigen, um eine Mahlzeit und ein warmes Bett zu erhalten, noch gibt es einen anderen Grund, mich wieder auf den Weg zu machen.
Und dann fehlt halt doch was.
Zeit, sich ein paar Fragen zu stellen:
Was fehlt uns - oder was treibt uns an?
Wie du selber sagst: es gibt nichts mehr zu jagen.
Aber stimmt das? Oder ist es nicht vielmehr so, dass man auf das was es zu jagen gibt nur nicht mehr hungrig ist.
Vielleicht spürst du den Hunger noch nicht, merkst aber bereits, dass dir doch etwas fehlt. Etwas anderes vielleicht. Etwas für das vorher keine Zeit, kein Platz, keine Gelegenheit oder keine Notwendigkeit war. Zeit für andere Fragen, z. B.:
Welche Bedürfnisse haben noch keine Beachtung gefunden?
Ich stelle mir manchmal vor wie es wäre, wenn ich plötzlich alles hätte was ich mir wünsche. Gesundheitlich, materiell, emotional. Dann erschrecke ich jedesmal, wenn ich mich bei dem Gedanken ertappe (der nie ausbleibt):
O Gott, wäre das langweilig! Hätte ich dann überhaupt noch einen Grund, morgens aus dem Bett zu steigen?
Dann spinne ich den Gedanken weiter: was wäre, wenn ich schon IMMER alles gehabt hätte was ich mir gewünscht habe bzw. was ich glaubte gerade zu brauchen? Also bereits zu dem Zeitpunkt wo der Wunsch auftrat. Seit ich lebe. Spätestens dann weiß ich die Hürden und Hindernisse und die Höhen und Tiefen im Leben zu würdigen, die mich stark machten und die mich in der Summe der Jahre und Erfahrungen gelassen machten.
Am motiviertesten war ich in einer Zeit wo es an allem dramatisch fehlte. Ich hatte aber eine Perspektive, und zwar den Wunsch und den Glauben, an meiner Situation etwas verändern zu können. Ich hatte ein leeres Gefäß, das es zu füllen galt. Und da wurden sie wach, der HoffnungsSCHIMMER, der VeränderungsWILLE, der ForscherGEIST und ein unerschütterlicher GLAUBE, dass ich darauf VERTRAUEN konnte, dass alles sich richtig ENTWICKELN würde.
Und so war es dann auch. Wobei es weder leicht war noch schnell ging. In der Rückschau trifft der Begriff Entwicklung ganz wortwörtlich zu. Etwas, das vorher verborgen war, hatte sich ent-wickelt, und Schicht für Schicht, Schritt für Schritt taten sich immer wieder neue Herausfoderungen auf, aber auch neue Wege und Türen. Erfolge und Rückschläge wechselten sich ab, und gerade diese Dynamik ist es, die mich am meisten antreibt.
Das mag jetzt paradox klingen, aber ausgerechnet der Kontrollverlust ermöglichte, dass vieles in Fluss kam was sich später als richtig und gut heraus stellte, und dass ich heute viel glücklicher und gelassener bin. Vielmehr hörte ich auf, gegenzusteuern und akzeptierte, dass es ist wie es ist. Aber nicht so bleiben muss. Die Perspektive änderte sich, und damit die innere Haltung. Vor allem die Erfahrung, dass es im eigentlichen Sinne keinen Kontrollverlust gibt, weil alles einen Sinn hat und am Ende meine innere Ausrichtung weit mehr als eine äußere Kontrollinstanz den Verlauf einer Angelegenheit beeinflusst. Ich brauchte nur darauf zu vertrauen und etwas Geduld. Je häufiger sich das ereignete umso mehr vertraute ich darauf und umso sicherer fühlte ich mich mit der Zeit, selbst in einer Lage völlig auf mich gestellt und ohne Netz und Boden.
Auf diese Weise lernte ich Vertrauen und Selbstvertrauen, auch in Bezug auf die Widrigkeiten des Lebens, der nicht kontrollierbaren; und ich vertraute mich mehr dem Fluss des Lebens an, wurde aufmerksamer gegenüber den echten Bedürfnissen, statt nur meine Vorstellungen zu definieren, lernte, dass, was ich gut fände nicht automatisch gut für mich ist, und dass manches, was mir so gar nicht zu liegen schien und ich immer vermied am Ende mein Leben bereicherte.
Was ich damit ausdrücken will ist, dass noch manches unerfüllte Bedürfnis oder Potential in uns schlummern kann, dass man sich manchmal nur was trauen muss, sich etwas zutrauen und vertrauen, und dass Kontrolle nicht immer das Beste sondern oft nur das von uns für das bestmöglich Gehaltene zulässt. Und dass Kontrolle loszulassen nicht heißt, dass man sie gleich verliert.
In diesem Sinne wünsche ich dir das Allerbeste :bier:
Liebe Grüße
Lealee