Harry, hast du das mit dem Selbstversorger schon mal gemacht?
Ja, nach dem Studium. Ich habe in den USA studiert und bin danach noch dort geblieben. In der Tasche hatte ich etwa $ 4000. Während durchaus einige Studenten nach dem Studium z. B. durch die Weltgeschichte reisen, um sich etwas Auszeit zu nehmen, habe ich was ganz anderes gemacht.
Ich machte mich nach South Carolina auf. Weil dort das wohl mildeste Klima auf dem Planeten herrscht. Es ist das ganze Jahr Vegetationsperiode. Neben den 4000 Dollar hatte ich noch meinen alten 74er VW-Campingbus. Das Ding war komplett ausgebaut, mit Wassertank, Kühlschrank, einfaches Klo, Heizung, Sitzgelegenheit, Tisch, Schrank und Bett. Das Bett war oben, ich aufstellbaren Dach, Strom kam über Solar, der Kühlschrank und die Heizung liefen mit Gas (beides brauchte ich nahezu nicht).
Mit dem Campingbus stellte ich mich an den Waldrand an einem kleinen Fluß in der Nähe einer kleinen Ortschaft. Natürlich dauerte es nicht lang und ein schwarz-weißes Auto mit dem Sheriff darin kam. Der Sheriff, ein freundlicher älterer Mann, wollte lediglich wissen, was ich da mache. Ich sagte ihm, daß ich hier für eine gewisse Zeit autark leben möchte und dieses Gelände sei ja nicht in privatem Besitz. Der Sheriff nahm meine Daten auf, um rückzufragen, ob ich was ausgefressen hatte. Hatte ich natürlich nicht und dann war's ok, daß ich hier stehenbleiben durfte. In den USA geht das, solange man sich ans Gesetz hält.
Da blieb ich zwei Jahre. Und versorgte mich selbst. Die Menschen der Ortschaft fanden den Crazy German witzig und so kam ziemlich schnell Kontakt mit den Leuten zustande. Mit einigen Familien und den Kindern des Sheriffs (er ist vor vielen Jahren gestorben, seine Frau viel früher) habe ich noch heute Kontakt.
Ich baute mir Obst und Gemüse an und versorgte mich zusätzlich aus der Natur mit Wasser. Einige Dinge tauschte ich mit Ranchern gegen Eier und Käse. Fleisch aß ich keines (ich bin seit einigen Jahren wieder Vegetarier, hat sich auf ME positiv ausgewirkt). Und für 50 Dollar kaufte ich mir ein altes Moped, ein Puch. So brauchte ich nicht mit dem VW-Bus fahren, wenn ich wo hin wollte, denn der VW soff umgerechnet auf 100 km knackige 15 Liter (in den USA wird der Verbrauch mit Meilen pro Gallone angeben). Das Moped brauchte nur 1,5 Liter. Ein Fahrrad bekam ich geschenkt.
Man muß für den Eigenbedarf mit etwa vier Stunden Arbeit täglich rechnen. Hinzu kommen Arbeiten am sonstigen Rundherum (0,5 bis eine Stunde pro Tag) und an der Wohnstatt, wenn es ein Haus oder eine Hütte ist. Am VW-Bus mußte ich nichts machen. Also blieb sogar Zeit für Muße. Die habe ich mit Waldläufen, Naturbeobachten und mit Lesen gefüllt. Zur örtlichen Bücherei fuhr ich mit dem Rad, das Leihen war umsonst.
Ich spielte natürlich mit dem Gedanken, einfach zu bleiben. Allerdings sollte man die Realität nicht ausblenden und so kam ich wieder nach Deutschland und gründete mein Unternehmen. Meinen Garten (The German Garden) gibt es immer noch, der wird von den Leuten dort weiter gepflegt und betrieben. Die Ernte wird zum großen Teil an Bedürftige abgegeben. Das ist die typisch amerikanische Solidarität. Von den 4000 Dollar hatte ich nach den zwei Jahren immer noch etwa 1900 Dollar. Die 2100 Dollar brauchte ich für kleinere Ersatzteile, Benzin fürs Moped oder einfachere Medikamente wie Kopfschmerz- und Halstabletten, etc.
Wenn man sich selbst versorgen möchte, ist der wichtigste Punkt, dafür eine Region ohne Winter zu wählen. Das macht die Sache wesentlich einfacher. Man braucht keine Heizung und keine Vorräte für mehrere Monate.
Der wichtigste Punkt: Wissen über die Natur. Und daran scheitert es meist. Man kann nicht in den Wald gehen und sich was zu essen oder Wasser kaufen.
Und wie kommt man z. B. an sauberes Wasser? Etwa zwei bis vier Meter neben einem Wasserlauf ein Loch graben, das gut unter die Wasseroberfläche des Wasserlaufs reicht. Warten, bis das Loch vollgelaufen ist. Der Boden zwischen dem Wasserlauf und dem Loch filtert das Wasser sehr gründlich. Schwebeteilchen entfernt ein Stoffteil. Das Loch muß so groß sein, daß immer Wasser darin ist. Und vor Regen sollte es auch geschützt sein und ein Wasservorrat für mindestens zwei Wochen ist auch wichtig. Das als winziger Exkurs in Sachen Naturwissen.
Mit ME braucht man daran allerdings keinen Gedanken zu verschwenden. Heute würde ich das nicht mehr schaffen, meine Energie würde nicht reichen. Und solange man im Arbeitsleben steht, egal ob ME oder nicht, ist es immer sehr schwer, sich in einem anderen Land niederzulassen und quasi von vorn anzufangen.
Allerdings sollte man das Auswandern in eine Region mit einem für ME passenden Klima im Hinterkopf behalten (das Leben dort ist in der Regel auch günstiger). Wenn man nicht mehr berufstätig ist, egal ob aufgrund des Alters oder sonst was, ist es ratsam, Deutschland zu verlassen.
Wir werden in einigen Jahren unser Unternehmen verkaufen und nach dem derzeitigen Stand wieder nach South Carolina gehen. Und an meinem alten Garten ein kleines Häuschen bauen (lassen), das Gelände können wir von der Stadt kaufen.