Grenzgänger

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Grenzgänger

Reisende

Wir Reisenden zwischen den Welten, Bewegung ist unser hauptsächliches Wort.

Wir tanzen den Reigen der Sterne, den Tanz zwischen Materie und Geist.
Wir können nicht einer Welt angehören, nicht einer Welt allein. Erlaubt
ist uns nicht das Verweilen.
Und wir wollten es nicht, auch wenn man uns ließe.
Denn wenn auch Zwiespalt und Zweifel uns lieben, so lieben wir beide ebenso.
Und liebten wir sie nicht, so bräuchten wir sie dennoch, so nötig beinah’ wie zum Atmen die Luft.

Als die Alten am Feuer saßen und Lieder sangen über die Götter, da war unser Weg schon gebahnt.

Glücklich mögen manche diejenigen schätzen, die sich finden auf der einen oder der anderen Seite des Zaunes; jene die entweder wohnen im Dunkel oder im Licht.


Glücklich der Bauer, der
sein Feld bestellt, in
Erwartung reicher Ernte.

Glücklich der Lehrer,
der seine Schüler unterweist,
überzeugt von seinem Wissen.

Glücklich der Schmied,
der das Eisen formt,
so wie sein Wille es verlangt.​


Wir aber, die wir reisen zwischen den Welten, wir wissen um das Zeugnis, das wir abzulegen haben, von beiden Seiten des Zaunes.



Reiter


Wir reiten auf gescheckten Pferden; unsere Rösser sind schwarz nicht noch weiß.

Wir erweisen den unterschiedlichen Herren unsere Referenz, nicken freundlich oder mit Hochmut ihnen zu. Denn wie es in den Wald ruft, so schallt es heraus und wir geben dem Pferd unsre Sporen.
Oftmals da tänzelt unser Ross, ob wir wolln oder nicht, auf der Grenze.

Wir tragen Licht und Dunkel in uns. Wir kennen die Welten, wir kennen sie alle. Doch in keiner steht unser wärmendes Haus.


Das heißt auch: wir sind keine Sklaven!

Wir sind frei zu
handeln

Wir sind frei zu
suchen

Wir sind frei zu
Künden


Kein Herr kann uns weisen,
kein Richter uns verurteilt,
kein Büttel wird an den
Pranger uns führen.
Verantwortlich sind wir uns selbst.


Immer wieder reiten vom Licht wir ins Dunkle, vom Dunklen ins Licht.

Manchmal halten wir an, auf der einen oder auf der anderen Seite
Und wir besinnen uns. Wir entscheiden, wohin der nächste Ritt uns führt.

Und wir nehmen vom Dunklen und nehmen vom Hellen.


Wissen

Wir tragen das Wissen uralter Zeiten, in ins, Licht, eingeschlossen in gläsernen Perlen, wie luftige Blasen in Bernstein geborgen. Ober wie millionenfaches Leben, in einem Teich verborgen ist. Nicht immer dringt es an die Oberfläche, beschienen vom Licht unsres Bewusstseins. Oftmals treibt es, in untergründlichen tiefen, unbewusst und unerkannt – und ist dennoch da.

Manches das wir sehen
manches das wir wissen
ist nicht auszusprechen
ist nicht zu vermitteln
behalten wir für uns

müssen andre sehen
müssen andre wissen
müssen andre künden.​

Es ist auch zu greifen, in besseren Stunden, und auszusprechen auch, in manchen.

Wer es hört, mag es doch nicht verstehen, wer es versteht, versteht es vielleicht falsch. Wer es versteht mag es vielleicht nicht glauben. Es werden nur wenige sein, in deren herz und Verstand es dringt.

Und wie sie handeln, mit diesem Wissen, noch weniger können wir dies bestimmen.


Der Weg

Durch schrundige Schluchten, fruchtbare Täler, durch Wüsten, über Berge, auf schmalsten Graten und durch breiteste Ebenen führt unser Weg.

Niemand kennt den Weg, den wir beschreiten; niemand die dunklen, niemand die lichten Pfade die wir durchstreifen, auf unseren Reisen. Nur uns selbst und denen, denen wir erlauben, unsere Begleiter zu sein, sind die Routen – und das längst nicht immer - bekannt.

Doch hören wir manchmal, da drin - tief in uns, eine Stimme, die lockt und uns ruft.

Also gibt es wohl doch noch EINEN
der diese Wege kennt
und sie uns vielleicht sogar ebnet?​

Doch das bleiben spekulative Gedankengemälde. Wir wissen uns auf unserem Wege allein. Allein doch längst nicht immer einsam.

Wir fühlen uns durch manches auf dem Weg geführt; durch Liebe und Hass, durch Hunger und Not, durch Bedrängnis und Glück

Und dann diese Stimme … die wir manchmal hören….oder glauben zu hören… . Wer weiß!

Wir folgen den Wegen, die sich uns auftun, durch Täler, über Berge, durch fruchtbare Auen, durch steinige Wüsten, bis an unser Ziel.

Das Ziel, das wir selber nicht so recht kennen und manchmal hoffen, dass ein Andrer es weiß!


Nachdenkliche Grüße von
Leòn
 
Grenzgänger​


Erkenntnis

Wir Reisenden suchen die Erkenntnis nicht. Es reicht uns, Reisende zu sein. Wir streben nicht nach Erkenntnis.

Es sei denn nach jener Erkenntnis, dass das Erkannte einer Wegmarke im Nebel gleicht, die kurz auftaucht und dann wieder verschwindet in wabernden Schwaden, um von einer weiteren gefolgt zu werden. Dieser nähern wir uns dann wieder, mit sehnsuchtsvollem Blick und schon sind wir vorüber geeilt und blicken der nächsten entgegen.

Wir Reisenden suchen
die Erkenntnis nicht,
doch manchmal fällt
sie uns zu.

Reisende sind wir
zwischen den Welten.​

Bruderschaft der Reisenden

Es kann nicht jeder ein Reisender sein! Sei nicht traurig, wenn Du keiner bist.

Wir tragen die Bürde der wandernden Zunft: nirgends geliebt und selten geachtet.

wir bringen die Kunde, die jeder begehrt, wenn sie Sonnenschein verheißt. Und die jeder ablehnt zu wissen, wenn Regen dräut.

Wir Reisenden merken es früh, dass wir Wandernde sind. Dort wo man uns gebar und uns aufzog, so dass wir zu ein wenig Verstand kamen, sagten wir bald: "Ich will nach Hause!" Andere sagten uns dann, "Du bist doch hier Zuhaus und wir lachten und glaubten es nicht.

Denn da war diese Sehnsucht, da war dieses Streben, von Innen nach Außen, von Außen nach Innen, da war dieses Wissen: "Ich muss fort!"

Vielen von uns ist das Lachen geblieben. Das Lachen über uns, über die Welt, über das Alltägliche.

Noch im schärfsten Ritt ein heitrer Gedanke, ein Lachen, ein Scherz über uns und die Welt.​

Wir Reisenden sind Schwestern und Brüder.
Ein Wort. Ein Blick. Ein Bild. Ein Lächeln. Eine Blume. Ein Lied: wir sind verbunden!
Und wenn wir uns treffen erkennen wir uns, an unbekannten, unbenannten Zeichen.

Brüder und Schwestern auf stetiger Reise:

Gefährten zuzeiten,
dann wieder allein.
Verpflichtet einander
den Wegen und Pfaden
zu folgen.

Die Kunde in uns,
die tragen wir weiter und
bringen sie dorthin
wo unser Weg hin uns führt.​

Wir hören und sehen, auf unserer Reise. Wir hören Berichte, hören Geschichte, wir sehen so vieles, erfahren so manches, das dringt in uns ein und wir tragen es weiter. Wir, Reisende zwischen den Welten. Reisende von Ort zu Ort.

Boten

Wir sind nicht die Gärtner, die Blumen ziehen, wir verantworten nicht, wie schön sie sind.
Wir nehmen die Blume und tragen sie weiter, bis sie zu dem gelangt, für den sie bestimmt ist und sie sich zu eigen macht.

Ob er sie hegt und pflegt oder sie vernichtet, mit groben Stiefeltritten, liegt nicht in unserer Hand.

Das Wissen von jetzt und von morgen. Uralte Botschaft in neuem Gewand.

Der Streit, die Liebe, der Krieg, die Versöhnung, die Schönheit, die Stärke, das Wissen, die Weisheit, die Wahrheit........... .

Wir bringen es dar, wir bieten es feil. Ihr Anderen müsst sehen, was Ihr damit tut.
 
Ohhhh . . . Schwere Kost. ;) Erinnert mich etwas an Arthur Rimbaud . . .

Musste es mehrmals lesen, um zu meinen, verstanden zu haben, was die Aussage sein könnte.

Aber das macht ja große Schriftsteller aus.

LG, Bodo :)
 
Grenzgänger

Anpassung


Als wir klein waren lehrte man uns, es sei wichtig zu sein wie die anderen. Deshalb brachte man uns so manches bei, was wir lernten und praktizierten.

Sei sauber und wasch dich, dann lassen sie Dich in ihre Nähe, so lernten wir. Denn wer stinkt wird verbannt. Der beleidigt die Nasen und keiner will hören sein Lied.

Kleide Dich so, dass sie nicht denken, dass Du ein Bettler seist. Doch darfst Du nicht besser gekleidet sein als sie, denn das weckt Misstrauen und Neid!

Du bist gemein mit ihnen - so sollen sie denken. Dann werden sie Dir, wenn nicht vertrauen, doch da wo es wichtig für sie ist, glauben!

Wir müssen uns eines Gedenk sein: wir bringen die Kunde zum Nutzen der Andren. Nicht für uns verantworten wir sie!
 
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Grenzgänger

Wohin die Wege uns bringen, unser Auftrag ist uns gewiss. Wir werden nicht Führer sein und nicht folgsamer Untertan!

Auch nicht nicht Mahner und Warner, obwohl manchem von uns im Blute das liegt.

Wir sind die Künder -

die Engel des Wortes, wir überbringen die Botschaft, getreu und vereint!
- Wir sind die Boten uralten Wissens, wir verstehen es nicht, wir bieten es dar!

Wir müssen fechten, mit Taten, mit Worten, wir kämpfen und sterben, in endloser Zahl.

Wir werden dennoch dem Rufe folgen, der uns treibt seit ewiger Zeit.

Das ist unser Schicksal:

Das Wahre zu künden, das Glück zu verheißen, das Ende des Glücks ebenso!

Wir folgen dem Ruf, dem ewigen Ruf.
Ein Stern am Himmel, der uns führt. Wir folgen dem Klang der Äonen, dem Lied der Unendlichkeit. Treu unserem Wissen und unserem Glauben, treu uns selbst und dem, der uns schuf!

Das ist unser Schicksal, unsre Bestimmung. Nicht mehr und nicht weniger als das.
Gäste im Dasein, Aktive im Sosein, wir gehen, wir streben, wir sterben dafür!
 
Ich habe spontan an Hermann Hesse und das "Glasperlenspiel" gedacht, aber nur vom Stil her, nicht vom Inhalt her.

Haben wir nicht alle einen Grenzgänger in uns: einen, der über den Zaun zum Nachbarland hinwegschauen möchte? Einen, der die eigenen Grenzen kennelernen möchte? Einen, der sich nicht festlegen lassen möchte und sein eigener Herr sein will?
***************************************************************
Grenzgänger singt:

....
Es gibt so viele Wege, du weißt nie, wo du bist
weil die Erde sich dreht und eine Kugel ist
und auf dieser Kugel gibt’s nur ein Drittel Land
doch auf diesem einen Drittel hat sich mancher schon verrannt
Es gibt so viele Spuren,
die man verfolgen kann
Wo ich hintrat wächst schon Gras,
und ich fang gerade erst mal an
.............
Immer Geradeaus www.chanson.de

Gruss,
Uta
 
Hallo Leon :klatschen
Weniges auf dieser Welt gibt wohligen Schauer auf Geist und Körper. Grenzgänger spricht die/meine Seele an, und ich fühle mich verstanden und Zuhause darin.
Wie kann man tiefer "in sich" fühlen, und einsehen dürfen, um zu erkennen.
Kompliment Leon.
Liebe Grüsse Silvana
 
Grenzgänger


Märchen VII

Zu einem mächtigen König trat, aus fernen Sphären angereist, ein Bote einst. Dieser sprach: „König, ich habe Dir zu sagen: noch vor Ende des dritten Tages wird einer kommen und Deinen Tod Dir bringen, wenn Du in einem Palast Dich birgst!“

Mit Schrecken erst und der Gewissheit großer Schläue dann, beschloss der König zu reisen. Zu Pferde erst, mit dem Wagen dann und schließlich setzte über er, mit einem Schiff über die See.

In fernem Lande angekommen, floh in eine Einöde er. Einen verfallnen Schäferkarren, längst vom Hirten verlassen, fand er vor. Darin suchte Zuflucht er, am dritten Tage. „Dies wird niemand für einen Palast wohl halten!“ Es nahte der Abend und der König wähnte in guter Obhut sich.

Da fiel ein ausgezehrter Räuber ein, der nachts Quartier in diesem Karren zu suchen pflegte. „Wer bist Du, dass in meinem Palast Du Dich verkriechst?“ rief der im Zorne und schlug aus Wut den König tot.

Vorbei ritt ein Bote, auf geschecktem Pferde, der hörte die Mär und nahm sie mit sich fort.
 
Grenzgänger

Schein und sein

Es kann sein, wenn man denkt: es ist so klar und eindeutig zu erkennen, dann lacht die Wahrheit einen aus und spricht: Nicht so! Anders ist’s! – Die Trugbilder der Welten narren uns zuzeiten und gaukeln uns Gewinne vor wo Verlust nur ist, sprechen von Siegen, wo die Niederlagen harren und schmeicheln uns mit Triumphen, wo Scham und Schande aufblühen, wie Blumen der Finsternis.
Auch kann das, was trübe, grausam uns erscheint in Wahrheit erglühen wie Sonnen der Hoffnung und tragen den Atem des Glückes in sich!

Der Feind kann Freund sein, das Kind der Weise, der Arme und Bettler ein edelster Mann.

Das Gift der Schlange
kann heilsam sein.
Die Wüste trägt lieblichen Samen,
der reift im Regen, einmal im Jahr
und Früchte bringt
aufs köstlichste.
Der nützliche Regen,
zur Sintflut geschwollen,
vertreibt mit furchtbarer Macht,
Leben und Mut.​

Ob Himmel ob Hölle, ob böse ob gut, wer kann es sagen, wer kann’s erkennen, wer kann beurteil’n, verurteilen gar? Wer ist der weise, wahrhaftige Richter, der trennt zwischen Schwarz, Grau und Weiß? Wer sieht so klar, sieht Licht in dem Schatten und weiß es da noch da ist, am anderen Tag?
 
... schöne Sätze und ware Worte,..

Du Leòn, wenn du beim (hoffentlich) nächsten das Kästschen "Signatur anzeigen", ausschaltest, ist der Leser nicht so direkt wieder auf alltäglichen Ebenen... ;)

"Männer können gar nicht so gut einparken, wie man allgemein glaubt! "
... obwohl dieser Satz mir überigens ebenso gefällt.:D

Herzliche Grüsse
Kim
 
Ich danke Euch allen für die netten Rückmeldungen :).

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Grenzgänger

Märchen III

Ein reicher Mann, einer der Fabriken besaß, in denen Waffen hergestellt werden, für den Krieg, erhob am Morgen aus den Laken sich. Ein Sonntag war und früh war es noch. Da ein sehr frommer Mann er war, der die Kirche reich bedachte und zur Messe ging, wann immer die Glocke rief, erhob er für den Kirchgang sich. Doch weil es zu früh noch war, beschloss er erst im Walde noch, in Gottes freier Welt, sich zu ergeh’n.

So wanderte er auf bequemen Wegen durchs Gehölz, das ihm gehörte, wie viele andre auch. Da sah von weitem schon, er einen gebückten alten Mann sich nähern, der in eine Rückentrage, Holz sammelte für das Feuer seines Herdes.

Angespannt, mit schnellen Schritten, ging der reiche Mann auf den Armen zu und rief mit bebender Stimme: „Ja, bist denn Du kein gottesfürchtiger Mann, dass Du am Sonntage arbeitest im Wald? – Sprach doch Gott: am siebten Tage sollst Du ruh’n!“

Da blickte er auf, der Arme, mit einem milden Lächeln sprach er: „Frommer Herr, auch ich bin ehrfürchtig gegen Gott. Doch muss das Feuer brennen, auch am siebten Tag. Es müssen die Kinder essen auch am Sonntag. Es will das Vieh gefüttert sein, am siebten Tage auch!“

„Das ist nicht Recht!“ sprach da der Reiche. „Das tut man nicht, denn ruhen soll die Arbeit der Hände am Sonntag, so steht’s im heiligen Buche!“ Und mit bebendem Zorn stand er nun dem Alten gegenüber.

Der sprach: „Herr, ruht die Arbeit auch in Deinen Fabriken, am siebenten Tag? Steh’n die Maschinen still, die den Tod fertigen aus Pulver, Blei und Eisen? – Sag, reicher Herr, die Feuer der Vernichtung im Kriege, ruhen die am Sonntag? Die Soldaten, die sterben im Krieg, die Weiber und Kindlein, die sterben im Feuer, die werden zu Witwen und Waisen im Krieg – haben die Ruhe am siebten Tag?“

In rasender Wut erhob der reiche Mann einen Knüppel nun, der am Waldboden lag und erschlug den Alten im Zorn.

Zur Kirche ging er dann, zum Beten.

Der alte Holzsammler aber erscheint, bei jedem Vollmond nun, am Himmel. Im Monde selbst ist er zu sehen, als Mahnung für die Menschheit. Wozu er mahnt? – Das müsst wohl selbst Ihr seh’n!
 
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Grenzgänger

Wahrheit und Moral


Eine Wahrheit ist nicht wie die andere. Wir sind nicht die Hüter der Wahrheit. Wir verantworten sie nicht. Wir sprechen sie aus. Wir reiten vom Sonnenaufgang zum Sonnenuntergang hinüber. Die Worte im Gepäck, die Wahrheit in uns, die Botschaft auf den Lippen.

Und wir sind schon gar nicht die Hüter Euerer Moral. Dies sind manchmal anverwandte Dinge, die im Grau der Dämmerung sich oberflächlich gleichen und dann im Licht der Erkenntnis ihre Unterschiede offenbaren.

Die Unterscheidung auch, ist unsre Sache nicht. Nicht werten und beurteil’n wir, nicht sprechen wir Recht und richten.

Wir reiten über Brücken, die scharfkantige Grate miteinander verbinden. Durch wabernde Nebel und gräulichen Dunst. Von Licht zu Licht und von Dämmerung zu Dämmerung.
 
Hallo Leòn,

Wie es ein richtiges Märchen so passt, eine grausame Geschichte. Dennoch beim lesen deiner inspirativen Gedanken, bemerke ich ein breites Lächeln auf mein Gesicht..

LG
Kim
 
Ich danke Dir, Kim:) Aber viele Märchen enden auch nicht traurig ;).

Herzliche Grüße von Leòn
 
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Grenzgänger



Märchen II


Auf Erden lief ein Riese. Ein großer Kerl mit Füßen, die von einer Größe waren, die selbst eine Eichenwurzel nicht erreichen könnte.

Tief in den Wald hatte er sich zurückgezogen. Gehasst, gejagt von allen. Manche Menschen sagten „Pfui - was für ein garstiges Wesen das ist!“ - „Er sieht so fürchterlich aus“, äußerten andere und wieder andere meinten: „Bestimmt nimmt er unser Vieh und unserer Getreide zur Beute!“

Verborgen hat er sich, von allen Menschen unbemerkt, in einem tiefen Wald. Er hielt sich dort, ganz ungestört, ein paar Ziegen und eine Kuh. Ein paar Hühner gackerten um ihn herum. Alle Tiere, auch die wilden des Waldes, hassten ihn nicht, denn er war gut zu ihnen.

Trotzt der Tiere, die seine Freunde waren, wurde der Riese mit der Zeit griesgrämig und mürrisch und er begann, die Menschen zu verachten.

An einem schönen Sommertag, umflutet vom Licht der Sonne und unter dem Blau des Himmels geborgen, hatte der Riese sich in den Schatten eines Felsens, auf einer hellen Lichtung seines Waldes, zurückgezogen. Groß und schwer dahingestreckt, durchdöste er die Mittagszeit.

Da schreckte er auf. Von Ferne her hörte er das Blöken von Schafen und Hundebellen. Immer näher kamen die Geräusche. Der Riese horchte und war verblüfft. So tief in seinen Wald verirrte sich sonst eine Schafherde nie. Viel zu groß war die Angst der Menschen vor ihm, dem gefährlichen Riesen.

Dann liefen schon die ersten Schafe, auf die Lichtung. Ein kleiner Hirtenhund umsprang die Herde, gelegentlich bellte er mit heller, wachsamer aber freundlicher Stimme.
Lautenklänge drangen an sein Ohr und schließlich kam, ein Hirtenjunge, gefolgt vom Rest der Herde, auf die Lichtung. Eine Laute hielt in den Armen er und zum blauen Himmel klang sein Lied:

Hier auf dieser Welt
Sind alle Dinge schön,
man muss sich nur bemühen,
die Schönheit auch zu seh’n!

Fühl das Gras, wie weich es ist,
wenn Du darin liegst,
spür’ wie leicht die Feder ist,
die in der Hand Du wiegst!

Sieh die Steine, wohlgeformt,
an des Baches Strand
im Wasser die Fische, die ruhen
auf dem hellen Sand.

Sieh Deine alte Nachbarin,
mit freundlichem Gesicht,
ihr freundlich - frohes Lächeln,
macht schön sie sicherlich!

Sieh das kleine Menschenkind,
das in der Wiege liegt,
wenn sein lauter Schrei ertönt,
ist’s schön doch, weil es lebt.

Hier auf dieser Welt
Sind alle Dinge schön,
man muss sich nur bemühen,
die Schönheit auch zu seh’n!​

Der Hirtenjunge hatte geendet und die Lichtung nun vollends betreten. Vor des Riesen Füßen war zum Stehen er gekommen. Die Laute senkend fragte er nach, ob da jemand sei.

„Das will ich meinen, dass ich da bin, Du frecher Knirps!“ polterte er los, der Riese, „Und Du solltest mich wohl sehen, denn ich bin wahrlich groß genug!“

„Nein, sehen kann ich Dich nicht, lieber Herr, denn blind bin ich von Kindheit an!“

„Oh“, entfuhr es dem Riesen gleich, mit Mitleid in der Stimme. „Deshalb hast Du keine Furcht vor mir!“

„Furcht, mein Herr?“ und der Hirtenjunge streichelte das dunkle Fell des Hundes, „Nein warum denn? Ihr müsst ein guter Mann sein, sonst hätte mein Harras mich nie zu Dir geführt!“

Der Riese war sehr verwundert. Und er erzählte dann von sich, von seinen Begegnungen mit den Menschen, von dem was Trauer in sein Herz begab.

Und dann sprach der Hirtenjunge von dem, was er von Menschen wusste. Davon, dass als Waise er bei Bauern er aufwuchs und zu deren Schafhirt wurde, er erzählte von Kriegen der Menschen, untereinander und davon dass manche Menschen als Hexen verdammt waren, weil sie bessere Medizinen als die gelehrten Doktoren brauen konnten. Er erzählte auch von den Juden, die gehasst und verfolgt wurden, weil sie anders glaubten.

„Wie furchtbar!“ sprach der Riese da. „Wie kommt das nur, warum lassen sie sich nur in all die vielen Kriege schicken die Menschen?“ – Und der Hirtenjunge wusste keine Antwort.
„Und warum bekämpfen sie nur die, die anders sind? – Das ist eine ganz schlimme Sorte, die Menschen!“ rief er laut. „Wie hältst Du es nur aus mit ihnen?“

„Ach ganz so schlimm, wie es scheint, sind sie nun nicht!“ antwortete der Hirtenknabe und er berichtete, dass die Menschen zu ihm sogar ganz nett seien. So hätten die Bauern, für die er arbeitete, ihm ja diese wichtige Aufgabe, das Hüten der Schafe, gegeben. „Sie halten mich für Schwächer und müssen deshalb keine Angst vor mir haben!“ – „Als ob die Gefährlichkeit eines Wesens etwas mit dessen Wert zu tun hätte“. Er lachte kurz auf.
„Außerdem glaube ich“, der Hirtenjunge lächelte, ein wenig verlegen, „brauchen sie mich, denn sie brauchen immer Leute, die ihnen zeigen, wie man anders und trotzdem „gut“ sein kann!“

Dem Riesen kam der Hirtenknabe nicht mehr klein vor. Dennoch sagte er: „Wie kommst Du drauf, dass Du Knirps ihnen etwas lehren könntest?“
„Das kann ich nicht!“ lächelte der Junge. „Ich kann nur sein, wer ich bin und das tun, was ich tun muss!“

Der Hirtenjunge erzählte noch viel von den Menschen. Zum Beispiel, warum er glaubte, dass manche gut und freundlich und andere eher garstig und feindlich erschienen. Das lag nämlich, so dachte er, nicht nur an ihnen. Sondern auch mit daran, wie sie aufwuchsen und wie die anderen zu ihnen waren.

Der Riese wurde mit der Zeit sogar richtig neugierig auf die Menschen. Und der große Geselle beschloss, noch einmal zu den Menschen zu gehen. In der Hoffnung, einige zu finden, mit denen er reden konnte und die ihn mochten …

Als der Hirtenjunge, gegen Abend aufbrach, um mit seiner Herde in sein Heimatdorf zurück zu kehren, da bat der große Riese ihn, doch bald wieder zu kommen. Dann wollten sie einander von ihren Erlebnissen bei den Menschen erzählen.
 
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Grenzgänger

Unser Antlitz ist Vielgestalt. Du wirst uns nicht erkennen. Zunächst. Und wenn es Dir dämmert dann sei beglückt. Dämmerung ist es, die Erkenntnis, dass da Licht ist, was uns von den Schafen trennt.
Erkenntnis, nicht nur Wahrnehmung.

Viele von uns eilen durch die Welt. Beritten und zu Fuß. In Kutschen, Wagen, zu Pferde,. Auf Rädern, vorwärts und rückwärts. Im Einklang mit der Zeit und dagegen. Wir werden vom Anfang bis zum Ende den Kreis durchmessen haben. Und niemand wird die Wahrheit kennen. Wir können sie nur verkünden. Wir sind und wir machen. – Kultur ist Menschsein und dies bedeutet „gestalten“. Wir tun und wir erfahren. Das Leben kann böse erscheinen!

Die Frage ist nicht: „Was erleben wir?“ sondern die: „Wovon lassen wir uns leiten!“
 
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Hallo Leòn,

:freu: dass es wieder neues gibt :freu: in dein spezieller Thread hier :fans:
Deine Märchen eignen sich auch Gut um nicht nur einmal gelesen zu werden ..:morgenkaffee:

Liebe Grüsse :)
Kim
 
Hihi sorry Leòn, ich äussere nun mal gerne auch meine positive Gedanken :)

Kim :)
 
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