Meine Familie väterlicherseits und meine Familie mütterlicherseits sind da etwas unterschiedlich. Gemein ist allen, dass sie tot sind. Alle sind sie nun tot. Meine gesamte Herkunftsfamilie.
Väterlicherseits:
Mein Opa war im 1. und 2. Weltkrieg. Er ist gestorben als ich 7 war. Er hat nie vom Krieg gesprochen. Ah. Ausser, dass er im Krieg in Schweden war. Er war vorher schonmal verheiratet und Witwer als er meine Oma heiratete. Ich weiß eigentlich nichts über seine Familie, die im Taunus lebt.
Meine Oma habe ich als Kind über alles geliebt. Mehr als jeden anderen Menschen. Sie ist gestorben als ich 11 war.
Sie hat mit mir unheimlich viel über den Krieg gesprochen.
Auch, weil ich sie unheimlich viel gefragt habe.
Sie hat während dem Krieg in einer Waffenfabrik gearbeitet. Sie hat gesehen, wie die Bombe, die im Garten ihres Wohnhauses lag, explodierte und alle Kinder zerfetzte, die dort spielten. Meinen Vater hatte sie kurz vorher hochgerufen. Deshalb hat er überlebt.
Die beiden kamen aus einer ganz anderen Zeit und unterschiedlichen Schichten. Er Handwerker. Sie aus einer anscheinend wohlhabenderen höchster Familie. Als Kind schon aus dem Auto gefallen.

Sie musste trotzdem immer alles aufessen und wenn es beim ersten Mal nicht geklappt hat, dann beim nächsten oder übernächsten Essen.
Damals trugen Mädchen noch keine Unterhosen.
Im Sportunterricht mussten die Mädchen einen Mast hochklettern. Der Lehrer stand unten drunter und schaute hoch.
Als meine Oma das ihrem Opa erzählte, ist der entrüstet zum Lehrer. Der hatte einen zweigeteilten Kinnbart. Die eine Seite des Bartes hat ihr Opa dem Lehrer ausgerissen und kam vor Gericht. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und sagte abschließend, dann hätte ich ihm die andere Seite ja auch noch ausreissen können.

So war das damals.
Auch zur Familie meiner Oma gab es nie irgend einen Kontakt, fällt mir gerade auf.
Mein Vater hatte eher altmodische Ansichten.
Mütterlicherseits:
Da wurde mal erwähnt, wo man wohnte, als man in dem Dorf im Odenwald ankam oder was man gearbeitet hat. Mehr nicht.
Von der ganzen schrecklichen Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechei, die man heutzutage sehr gut nachlesen kann, wurde ganz prinzipiell nicht gesprochen. Ich glaube, dass es ziemlich schlimm gewesen sein muss. Meine Mutter behauptete sogar, als ich sie als Jugendliche mal fragte, sie wäre erst 2 Jahre alt gewesen. Dabei war sie 1945 schon 8 Jahre alt.
Meine Tante hat einmal ein wenig darüber gesprochen, als sie schon etwas dement war.
Sie sagte, da kam ein Mann und sagte, in einer Stunde müsst ihr los. Haustiere sind beim Förster abzugeben. Sie waren wohl auch in einem Lager. Sie hat auf meine Nachfrage gesagt, dass sie damals 12 Jahre alt war. Sonst wüsste ich nicht, wann die hierher gekommen sind.
Mein Urgroßvater war im 1. Weltkrieg. Er ist im Dachstuhl des Hauses im Erzgebirge verbrannt. Der Vater meiner Mutter war auch bereits im Erzgebirge gestorben. Da gab es keinen Mann, als sie hier als Sudetendeutsche, aber eigentlich als tschechische Bürger deutscher Abstammung, ankamen.
Meine Mutter hatte eher lockere Ansichten.
Aus anthroposophischer Sicht habe ich mir meine Eltern ausgesucht.
Das war mutig. Wer weiß, was ich in meinem letzten Leben Schlimmes verbrochen habe.
Es ist einfach Toten zu verzeihen, um sich selbst zu entlasten.
Bei meiner Mutter hätte ich es wohl auch so geschafft, wenn sie nicht so früh gestorben wäre.
Bei meinem Vater war es mir zu seinen Lebzeiten schlussendlich nicht möglich. Obwohl ich es probiert hatte. Man rührt seine Tochter eben auch dann nicht unsittlich an, wenn man sie sehr liebt.

Aber heute auch egal.

Ich bin trotzdem, von dieser unschönen Sache abgesehen, wie eine Freundin der Familie immer sagt, der beste Sohn meines Vaters geworden.

))
Naja. Vor dem Hintergrund, dass meine beiden verstorbenen Brüder ihr Leben lang unterschiedlich starke Drogenprobleme hatten, weil sie ihre Kindheit (trotz fehlender sexueller Übergriffe) nicht so gut überlebt haben wie ich, und zu meinem völligen Unverständnis auch noch bis zum Schluss um die Zuneigung meines Vaters buhlten, war es auch leicht für mich, der beste Sohn zu sein.
Vielleicht sind Frauen eben doch das stärkere Geschlecht.