Chronic Fatigue-Syndrom (CFS)
Das klinische Bild des CFS überschneidet sich in vielen Bereichen mit dem der
Multiple Chemical Sensitivity und in der Fachliteratur wird insbesondere auf
die Ähnlichkeit mit dem unter Neurasthenie operationalisierten Krankheitsbild
(F48.0, siehe 8.4.1.7) verwiesen. Charakteristisch ist eine überdurchschnittlich
starke oder rasche Erschöpfbarkeit, die über mehr als sechs Monate anhält und
> neu oder zeitlich bestimmbar eingetreten ist,
> nicht Folge einer anhaltenden Überlastung ist,
> sich durch Schonung und Ruhe nicht wesentlich bessert und
> zu einer deutlichen Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten in
Ausbildung
/ Beruf sowie im sozialen oder persönlichen Bereich führt.
Zudem müssen 4 oder mehr der folgenden Symptome vorhanden sein, die alle
für mindestens 6 aufeinanderfolgende Monate persistierend oder rezidivierend
nebeneinander bestanden haben müssen und der Erschöpfung nicht vorausgegangen
sein dürfen:
> selbstberichtete Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Konzentration,
die schwer genug sind, eine deutliche Reduktion des früheren
Aktivitätsniveaus in Ausbildung / Beruf sowie im sozialen oder persönlichen
Bereich zu verursachen
> Halsschmerzen
> druckempfindliche Hals- und Achsellymphknoten
> Muskelschmerzen
> Kopfschmerzen
> Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung
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> Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades
> keine Erholung im Schlaf
> Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen
Eine die erhöhte Erschöpfbarkeit erklärende organische oder psychische Erkrankung
muss ausgeschlossen sein. Ob es sich bei dem CFS um eine abgrenzbare,
eigenständige Krankheit handelt, ist durchaus umstritten. Teilweise wird die
Bezeichnung inflationär für Erschöpfungssyndrome vielfältigster beziehungsweise
ungeklärter Genese verwendet. Bei strenger Anwendung der oben genannten
Kriterien dürfte die Zahl Betroffener relativ gering sein.
Ähnlich wie bei den „Umwelterkrankungen“ existiert bis heute keine umfassende
wissenschaftliche Fundierung der CFS-Beschwerdebilder. Vor allem bei einer
vermuteten externen oder genetischen Ursache der Beschwerden (Intoxikations-,
Genhypothese) bindet nicht selten ein energisch geführter Kampf um Anerkennung
und Entschädigung (Rente) wertvolle Ressourcen der Betroffenen für
Behandlung und aktivierende Rehabilitation.
Auch das CFS zeigt deutliche Überschneidungen mit zahlreichen psychischen
Störungen wie Depressionen, Angststörungen und somatoformen Störungen,
aber auch mit organisch bedingten Erkrankungen, die mit erhöhter Ermüdbarkeit
einhergehen können, wie beispielweise Karzinomerkrankungen, Multiple
Sklerose, bestimmte Virusinfektionen oder Anämien (siehe auch S3-Leitlinie
„Nicht erholsamer Schlaf / Schlafstörungen“, AWMF-Register Nr. 063 / 001).
Es existiert kein einziger diagnostischer Parameter, der spezifisch für das
CFS wäre. Das Erkennen spezifisch behandelbarer Ursachen einer erhöhten
Erschöpfung wie beispielsweise einer depressiven Störung oder einer Schilddrüsenunterfunktion
ist für die Prognose essentiell. Gemäß der Leitlinie zum
CFS der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF) findet sich bei 50 bis 80% der CFS-Betroffenen eine frühere
oder aktuelle psychische Erkrankung.
Eine zentrale Problematik in der Diagnostik, Behandlung und Begutachtung von
Menschen mit CFS ergibt sich aus der vorwiegenden Subjektivität und damit
erschwerten Erfassbarkeit der Beschwerden. Andererseits behindert ein häufig
ausschließlich somatisches Krankheitskonzept der Betroffenen eine sinnvolle
und pragmatische, biopsychosoziale Faktoren einbeziehende Behandlung und
Bewältigung – zum Teil gefördert durch bestimmte Ärzte und Interessenverbände.
Inaktivierung, Schonung und länger dauernde Krankschreibung erhöhen das
Risiko der Chronifizierung. Eine spezifische, kausale Behandlung des CFS steht
bislang nicht zur Verfügung, die besten Erfahrungen wurden mit einem aktivierenden,
multimodalen Behandlungskonzept einschließlich psychologischer
beziehungsweise psychotherapeutischer Interventionen gemacht.