Was ist Geist?
Im allgemeinen gilt »Geist« als immaterielles Lebensprinzip und
speziell als Denkkraft. Aristoteles definierte Geist als die höchste
Vollkommenheit der Seele. Aufgrund seiner wörtlichen Be-
deutung als »Atem« oder »Wind« verstanden die Stoiker (ca. 300
v. Chr.) unter Geist einen lebendigen Grundstoff, auch die
Weltseele. Thomas von Aquin sah Geist als immaterielle Er-
kenntniskraft und sprach ihm die höchste Potenz der Seele zu,
ähnlich wie Aristoteles es getan hatte.
Im Alten Testament ist der Geist Jahwes eine überwältigende
schöpferische, aber auch zerstörerische Macht. Im Neuen Testa-
ment bedeutet Geist darüber hinaus die in Jesus geoffenbarte
und durch ihn erfahrene Gottesgabe des ewigen Lebens.
Wolfhart Pannenberg: In unserer abendländischen Tradition gibt es
zwei ganz verschiedene Geistbegriffe. Der eine, der uns vertrau-
ter ist, kommt aus Griechenland und ist verbunden mit dem
Begriff der Vernunft. Wir verstehen gewöhnlich Geist im Sinne
von vernünftigem Selbstbewusstsein.
Der andere Geistbegriff
kommt aus dem Alten Testament und hat auch eine griechische
Parallele, die uns aber häufig nicht so bewusst ist. Und da bedeu-
tet Geist soviel wie »Atem« oder »Wind«. In diesem Fall hat
»Geist« zunächst einmal nichts zu tun mit »Bewusstsein« oder
»Vernunft«. Wenn es im Neuen Testament bei Johannes im
4. Kapitel heißt: »Gott ist Geist«, dann heißt das nicht, Gott ist
so etwas wie ein Bewusstseinswesen jenseits der Welt ohne Leib,
sondern es heißt, die Natur Gottes ist wie die alles durchdrin-
gende Luft, die bewegte Luft des Atems, des Windes, der über-
all gegenwärtig ist. Das entspricht einer Auffassung, die auch
ähnlich in der Philosophiegeschichte zu finden ist, sich dann
aber doch nicht durchgesetzt hat.
Die späteren Philosophen standen der Schule Platons näher, und da hat man Geist eben als Vernunft gedacht. Und auch die Kirchenväter haben seit
Origenes1 das biblische Wort für Geist im Sinne von Vernunft interpretiert.
Hans-Peter Dürr: In der Naturwissenschaft kommt der Geist selbst nicht vor, sondern er ist ein Träger der Naturwissenschaft. Er gehört meines Erachtens zur subjektiven Innenansicht, obwohl gewisse Ähnlichkeiten mit der Außenansicht bestehen. Nicht das Ich selber ist Geist, sondern das Ich steht dem Geist gewissermaßen gegenüber und kann mit ihm quasi in einen
Dialog eintreten. Bewusstsein zu haben bedeutet nämlich, dass
ich anfange zu differenzieren. Das Bewusstsein spiegelt ein
Abbild der Wirklichkeit, das wir entwerfen und mit dem wir umgehen können, als wäre es Wirklichkeit. Auf diese Weise simulieren wir die Wirklichkeit. Das ist vergleichbar mit einer Videoaufzeichnung, wo ich abspielen kann, was am Vortag geschehen ist. Ich schaue mir dann das Fernsehbild an - und nicht
die Natur selbst. Es ist nicht dasselbe, weil ich es mit einer Kamera aufgenommen habe, die nur gewisse Dinge aufzeichnen kann. Deshalb ist es nur ein reduziertes Abbild. Auf unsere Wahrnehmung übertragen, ist das Geistige sozusagen ein Simulationsprogramm. Was mein Denken mit dem Geist verbindet, ist dieses entworfene Abbild, das aber immer unvollständig ist. Denn unser Geist steht im Dienst unserer menschlichen Bedürftigkeit. Das,
was sich in unserem Geist spiegelt, ist deshalb eine ganz abgemagerte Wirklichkeit, die von dem unbewussten Interesse geleitet ist, den eigenen Fortbestand zu sichern.