Heute wissen wir, dass ca. 45% der propriozeptiven Impulse, die die Stellung der Gelenke, Muskelspannung und Lage im Raum vermitteln, aus den Segmenten C0 bis C3 stammen.
Von diesen 45% wiederum machen die Signale aus den Kiefergelenken und deren Muskulatur fast 2/3 aus (Schupp 2000). Durch diese Besonderheit und die reiche Verschaltung werden die Afferenzen, die im Kerngebiet des N. trigeminus einlaufen, an nahezu alle Ebenen des Körpers weitergeleitet. Durch Konvergenzen nozizeptiver Fasern auf das gleiche Neuron im Trigeminuskern wird eine dauerhafte Erregungen der Nozizeptoren des Kiefergelenkes durch eine CMD als fortgeleiteter Schmerz („referred pain“) im Bereich der HWS als Nackenverspannung oder Nackenschmerz, im Bereich der Hirnhäute als Kopfschmerz und durch direkte Reizung trigeminaler Fasern als Trigeminusneuralgie empfunden.
Die Funktionsstörung im Kiefergelenk mit den dauerhaften nozizeptiven Impulsen führt zu einer Hypomobilität des craniozervikalen Überganges. In vielen Fällen resultieren Blockierungen der Kopfgelenke, die wiederum über Rückkopplungsmechanismen an o. g. Kerngebieten zu Schwindel, Kopfschmerz, Seh- und Hörstörungen führen können.
Die Verschaltungen zum Hypothalamus und zur Hypophyse erklären die Veränderungen die sich im Hormonhaushalt, nachgewiesenermaßen bei den Stresshormonen ergeben können.
In eigenen Untersuchungen an Patienten, die wegen chronischer Kopfschmerzen stationär in unserer Klinik behandelt worden sind, konnten wir feststellen, dass sich die Beckenstatik bei fast 90% der Patienten mit einer CMD ändert. Die Verkippung des Beckens ist Folge der kinetischen Weiterleitung der asymmetrischen Funktion der Kaumuskulatur über den lateralen Trakt des M. erector spinae, v. a. den M. longissimus (Neuhuber 2005).
Bei solch komplexen Krankheitsbildern ist eine Zusammenarbeit von verschiedenen Fachdisziplinen nötig: Zahnärzte, Allgemeinärzte, Orthopäden und Physiotherapeuten müssen zeitgleich am Patienten arbeiten.
Aus unserer klinischen Erfahrung heraus empfiehlt sich zunächst die Behandlung anderer Faktoren, die die Fehlstatik bedingen können. Solch eine Behandlung beinhaltet die manualtherapeutische Lösung von Blockierungen sowie Infiltration von Narben oder schmerzhaften Verspannungen mit einem Lokalanästhetikum. Auch eine unterstützende Physiotherapie ist durchaus sinnvoll, um eine harmonische Balance der Muskulatur zu erreichen. Sind diese Ursachen für eine Fehlstatik beseitig, sollte die CMD durch eine entsprechende Behandlung ausgeglichen werden. Will man die Beschwerden des Patienten auf Dauer beseitigen, ist für eine kausale Behandlung eine interdisziplinäre Therapie dringend erforderlich....