Guten Morgen,
mal ein ganz simpler, vielleicht enttäuschender Sachverhalt: Definitionen (ausnahmslos alle) sind niemals richtig und niemals falsch. Sie sind immer willkürlich.
Jede(r) hat seine eigenen Definitionen.
Damit zwischen Menschen wenigstens eine gewisse Verständigung möglich ist, gibt es Ähnlichkeiten, manchmal teilweise Übereinstimmungen zwischen Menschen, vor allem innerhalb von Subkulturen, Gruppen, Familien, Paaren ...
Definition heißt Abgrenzung - die Grenzen werden von Menschen gezogen und sind sehr veränderlich über die Zeiten und unterschiedlich zwischen Menschen.
Woraus folgt: Es gibt keine Argumente für oder gegen bestimmte Defintionen. Es ist sinnlos, darüber zu streiten.
Denken wir etwa an "Liebe". Eigentlich sollte jede(r), die / der meint zu "lieben", der / dem anderen ganz genau sagen, was sie / er damit meint. (Das kann sogar zärtlich und romantisch sein.)
Ein wichtiger Aspekt: Derartige Definitionen sind nie vollständig sondern an den Rändern immer unscharf. -
Oder "Tod" - das wurde in den vergangenen Jahren sehr komplex und kontrovers definiert.
- Oder "Grün": Die genauen Frequenzen, bei denen eine Farbe doch eher Blau wird oder Gelb, sind nicht für alle Menschen gleich, nicht einmal in derselben Kultur. (Angeblich haben manche Stämme viele Namen für Grüntöne.)
Und, natürlich, gilt das auch für "Alt", "Alter". Es steht mir frei, jede Erscheinung als Altererscheinung zu etikettieren - aber das sagt nichts über den Sachverhalt aus, nur über meine Verwendung des Wortes.
Es scheint, als fielen wir dadurch ins Bodenlose - es gibt keine vermeintlichen "Richtigkeiten" mehr, an denen wir uns festhalten können.
Zugleich werden wir dadurch freier.
Wir müssen uns selber und andere nicht mehr in Schubladen stecken.
Ulrich Volz wies kürzlich auf der Tagung der Open Mind Academy auf die gewaltigen Wirkungen hin, die es hat, wenn ich nicht mehr denke oder sage "Ich habe ein Problem" sondern etwa "eine Aufgabe", "eine Herausforderung", "eine Chance, neue Erfahrungen zu machen", "eine Prüfung", ja "ein Geschenk".
Dieses Etikettieren (das wir ja den ganzen Tag betreiben) steht uns frei - und wir haben dadurch eine gewisse, manchmal sehr große Macht über die Sachverhalte.
Natürlich gibt es Gegenargumente. Zum Beispiel korrelieren manche Erscheinungen mit dem chronologischen Alter. Aber ich brauche sie trotzdem nicht als "Alterserscheinungen" zu etikettieren. Denn ist immer willkürlich, wo - bei welcher Intensität oder Häufigkeit usw. - ich die Grenze ziehe.
Und es gibt noch viele andere Aspekte, Begriffe (= Möglichkeiten des Begreifens) unter denen ich ein und denselben Sachberhalt betrachten kann.
Diskussionen über Definitionen sind deshalb nicht wirkungslos. Sie können zwar nie zu einer "richtigen" Definition führen (weil es die nicht gibt, s.o.), aber durch sie lernen wir die / den DiskussionspartnerIn ein wenig besser kennen: "Ah, das nennst
du also "alt" ...
Was noch dazugehört: Der Gedanke "Alter" ist häufig mit Gefühlen verbunden. Nehmen wir z.B. "Angst". Wir denken und reden meistens so, als seien Gefühle ganz bestimmte abgegrenzte Zustände. Wir meinen dann: "Jetzt habe ich Angst und das ist nichts anderes als Angst". Wenn wir und aber auf diese "Angst" einlassen, uns in sie vertiefen - nicht darüber nachdenken, sondern eher eins werden mit ihr, uns ihr überlassen - dann können wir erleben, daß sich das Gefühl ein wenig wandelt: sich intensiviert, im Körper wandert, die Qualität leicht ändert, irgendwie changiert, schillert, geheimnisvoll und spannend wird. Und es kann vorkommen, daß es von selber "kippt" -
die körperlich spürbare Energie, die ich vorher "Angst" nannte, scheint mir jetzt z.B. "Vorfreude" zu sein. Das ist immer eine Befreiung, sehr bewegend, in der Regel von Lachen und / oder Weinen begleitet. Da rückt der erlebende Organismus etwas zurecht, weit jenseits von Definitionen.
Dies Phänomen gibt es vermutlich, seit Menschen existieren.
Zum ersten mal beschrieben, begrifflich gefaßt und lern-, anwendbar gemacht hat es Eugene Gendlin (Österreicher, später in Chicago Nachfolger von Carl Rogers) in seinem Buch "Focusing. Eine Methode der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme". Das ist eine der Grundlagen jeder modernen körperorientierten Psychotherapie. Auch ohne Therapeuten erlernbar. (
DAF - Deutsches Ausbildungsinstitut für Focusing und Focusing-Therapie,
Focusing-Netzwerk Home usw.)
Vielleicht könnten wir dazu kommen, auch "alt" nicht einfach als Etikett zu verwenden sondern uns geduldig hinein zu vertiefen: "Wie fühlt sich das an?", "und wie noch?" "wo spür ich's körperlich"", usw. Wir könnten dahin kommen, nicht immer "über" die Dinge zu reden sondern "aus" den Dingen, diesen Sprache zu geben. Auch unserem wirklichen oder vermeintlichem Alter.
Ich würde mich freuen, wenn Du den Eingriff in Deine Arbeitsweise nicht krumm nehmen würdest.
Liebe Grüße
Margot