Glücklich trotz Krankheit?

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Strahlend blauer Himmel, die Sonne strotzt vor wärmender Kraft, kühles tiefblaues Wasser wellt sich sanft im lauen Sommerwind. Wiesen duften in saftigem Grün und schmiegen sich an das glitzernde Silbergrau der Berge.

Alle Sinne werden durch diese Genussvielfalt aktiviert! Was man da doch alles unternehmen könnte.

Könnte! Warum nur in der Möglichkeitsform? Ist es das Fehlen völliger Gesundheit, das Vorhandensein einer Krankheit, die das „kann“ in ein „könnte“ wandelt?

Ist denn die Fähigkeit Freude, Glück und Genuss zu empfinden, ausschließlich gesunden Menschen vorbehalten? Die gar nicht so unerwartete Antwort lautet „Nein“! Ob Menschen positive Emotionen empfinden und wahrnehmen können, hängt in erster Linie von ihrer Persönlichkeit, Einstellung und Lebensgeschichte ab und nicht von ihrem Gesundheitszustand.

Ich möchte zur Veranschaulichung meiner Behauptung ein Bespiel bringen:

Herr Meier, ein vitaler und sportlicher 60-jähriger Mann, berichtete seine aktuelle Lebenszufriedenheit betreffend, dass ihm seit seiner Knieoperation, die nicht den von ihm erwarteten Erfolg brachte, ihm alles genommen wurde, was ihm Freude machte. Er fühlte sich wichtiger Funktionen beraubt und sei frustriert und ärgerlich.

Mich irritierte diese Aussage, hatte Herr Meier mir zuvor berichtet, dass er oft wandern ginge und viel mit dem Rad fahre. Meine Nachfrage brachte zutage, dass Herr Meier, vor der Knie-OP Bergtouren mit dem Rad gefahren, und mehrere Wochen im Winter Skilaufen war. Das konnte er nun nicht mehr. Wobei noch anzuführen ist, dass er die Bergtouren mit dem Rad sehr wohl fahren konnte, aber er war dabei nicht mehr so schnell wie früher und wollte nicht hinter seinen jüngeren Kollegen nachhecheln und als alter, kranker Mann gelten.

Herr Meier sah zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben kaum mehr Möglichkeiten Freude, Glück oder Genuss zu empfinden.

Herr Huber, 55 Jahre alt, ist an Multipler Sklerose erkrankt, welche in den letzten acht Jahren infolge häufiger Schübe dazu geführt hat, dass er sich nur mehr unsicher und in kleinen Schritten fortbewegen kann. Spaziergänge sind kaum mehr möglich. An Wanderungen, eine der liebsten ehemaligen Freizeitaktivitäten von Herrn Huber, ist nicht mal mehr zu denken. Herr Huber jedoch meinte, es gäbe noch Schlimmeres. Er habe gelernt mit der MS zu leben, sei trotzdem mit seinem Leben zufrieden und verspüre durchaus Freude, Glück und Genuss.

Abgesehen von ihrer Persönlichkeit unterscheiden sich diese zwei Menschen in einem wesentlichen Punkt: ihrer Einstellung und der Akzeptanz. Herr Huber hat sich mit seiner chronischen Krankheit arrangiert und akzeptiert, dass sie zu seinem Alltag gehört. Herr Meier akzeptiert seine Funktionseinbußen nach der Knie-OP hingegen keineswegs und hat auch noch kein Arrangement gefunden, das wieder mehr Lebenszufriedenheit zulässt.

Akzeptanz ist im Verlauf einer traumatischen Krise jene Phase in der auch eine Neuorientierung stattfindet. Diese Phase ist jene, die signalisiert, dass Betroffene die Krise konstruktiv bewältigt haben. Die eigene Situation wird aus einem neuen Blickwinkel gesehen und bislang unentdeckte Perspektiven eröffnen sich.

Akzeptieren wird hier jedoch keineswegs  als Synonym für „sich hoffnungslos ergeben“ benutzt, sondern „einen Zustand oder eine Situation als Tatsache anerkennen“, was in diesem Fall bedeutet, eine Krankheit als eine in meinem Leben derzeit verankerte Gegebenheit anzuerkennen.

Mit dieser Einstellung kann man sein Leben trotz Krankheit konstruktiv und erfüllt mit Momenten der Freude, des Glücks und des Genusses (weiter)führen und im Idealfall gewinnt jemand durch eine Krankheit sogar neue Lebenserfahrung.

Ist es zulässig, dass ich beispielsweise das Leid eines Menschen mit einer eingeschränkten Funktion des Knies mit dem jenes Menschen vergleiche, der seine letzten Lebenstage in einem Hospiz verbringt? Das Leid ist aus objektiver Sicht natürlich nicht vergleichbar, ja es mutet hier die eingeschränkte Kniefunktion nahezu lächerlich an. Trotzdem kann es sein, dass eine schwer- oder todkranke Person mehr und intensivere Momente des Genusses und der Freude erlebt, als Herr Meier mit seinem „kaputten“ Knie.

symptome dreamstime s 18254420Herr Meier kann jedoch durchaus wieder den Weg zu Genussempfinden und Freude finden. Ein Grund ist, dass sich die Funktion seines Knies noch verbessern kann, da seine OP noch nicht gar so lange her ist. Damit einher geht auch, dass er bei der Verarbeitung seiner Funktionseinbuße noch in der Anfangsphase steht und Krisen und Verluste einfach Zeit brauchen, um aufgearbeitet zu werden.

Herr Meier kann motiviert werden, aktiv und hoffnungsfroh an seiner Lebenszufriedenheit zu arbeiten, mit all seinen Sinnen achtsam durchs Leben zu schreiten und offen für neue Genusserfahrungen zu sein. Kurzum er sollte parallel zum Radtraining ein Genusstraining starten.

Dazu würde sich z.B. in der Zeit der Rehabilitation seines Knies anbieten, dass er alleine oder mit Menschen seines Alters Bergtouren fährt, bewusst Pausen einlegt, sich die üppige Schönheit der Bergwelt achtsam zu Gemüte führt, sich an der frischen, klaren Luft erfreut, sich besonders leckere Jausen mitnimmt und für wohlschmeckende Getränke in seiner Radflasche sorgt. Das ist jedoch nur ein kleiner Auszug aus abertausenden Möglichkeiten, Augenblicke des Genusses und der Freude zu erleben – aber die wird Herr Meier hoffentlich selbst entdecken!

Ein Zitat von Schopenhauer: „Es gibt 1000 Krankheiten, aber nur eine Gesundheit.“
Gehen wir einmal davon aus, dass dem so ist. Warum wird diese „einzige“ Gesundheit oft erst dann zum wertvollsten Gut, wenn sie abhanden zu kommen droht? Warum nehmen so manche gesunde Menschen ihre Gesundheit als etwas ganz Selbstverständliches hin und sind trotz der Abwesenheit einer schweren Krankheit stets unzufrieden mit ihrem Leben oder streben unbeschwert nach immer „mehr“ im Leben (was immer das „mehr“ auch sein mag) und nehmen so die kleinen Glücks- und Genussmomente im Alltag gar nicht wahr?

Also muss es doch mehr als „eine“ Gesundheit geben! Die aktuelle Definition der WHO bestätigt dies, denn Gesundheit wird beschrieben als „Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ und daher weit mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. Das subjektiv wahrgenommene Wohlbefinden spielt somit eine wesentliche Rolle. Dazu kann jeder Mensch aber selbst beitragen.

Selbstfürsorge ist ein wichtiger Faktor in der Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Dazu zählt, seine Bedürfnissen zu erkennen und ihnen nachzukommen, sich Genussmomente zu schaffen und sein Wohlbefinden zu steigern.

Viele Menschen, die an einer Krankheit leiden oder eine schwere Krankheit bewältigt haben, sind sich ihrer Endlichkeit eher bewusst, als völlig gesunde Menschen. Dabei geht es nur um das „sich bewusstmachen“ und die Akzeptanz, dass wir einmal nicht mehr sein werden. Es geht nicht darum, ständig daran zu denken!

Jedoch ist in unserer Kultur die Auseinandersetzung mit dem Tod, also mit der Flüchtigkeit des Lebens, nahezu ein Tabuthema, sofern man nicht selbst oder als Freund und Angehöriger davon betroffen ist.

Ist mir meine Zeitlichkeit bewusst, kann diese Erkenntnis dazu führen, dass ich die kleinen, aber zahlreich vorhandenen täglichen Augenblicke, Momente oder Situationen der Freude, Glücksgefühle, Genussempfindungen des ganz banalen Alltag, sehr bewusst wahrnehme. Ich bin im Hier und Jetzt, der Grundvoraussetzung für Genuss.

Jede Jahreszeit eignet sich dazu, der Sommer jedoch platzt mit seinem Angebot an Genussmomenten nahezu aus allen Nähten. Wie herrlich spürt sich doch ein laues Sommerlüftchen, warme satte Tropfen des Sommerregens, das kühle samtige Wasser eines Sees auf der nackten Haut an. Die Duftsymphonien von Wiese, Heu, feuchter Erde nach einem Regenguss oder einem Abendlüftchen bringen unseren Geruchssinn zum Schwingen.

Freier Eintritt für die vielfältigen Konzerte der Natur, die unser Ohr erfreuen können. Buntheit und strahlende Farben wohin man den Blick auch schweifen lässt. Saftige Früchte, frisches Obst und Gemüse, prickelnde, spritzige, kühle Getränke oder einfach nur ein Schluck kristallklares, kaltes Quellwasser an einem heißen Sommertag! Wer kann da noch widerstehen, sich auf die Suche nach sommerlichen Genussmomenten zu begeben?

Anregungen sind in dem Buch „Mit allen Sinnen leben. Tägliches Genusstraining“ zu finden. Autorin Beate Handler, erscheint im Juli 2012 im Goldegg Verlag nun bereits in der 3. Auflage. Erhältlich im Buchhandel. Es ist ein Sach- und Fachberatungsbuch, das aus purer Lust an der Thematik zu lesen ist, oder auch als bibliotherapeutische Lektüre dienen kann.

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Mag. Beate Handler

Beate Handler ist Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Arbeitspsychologin und Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie).

Sie hat langjährige verhaltensmedizinische Erfahrung in den Bereichen Psychosomatische Erkrankungen, Burnout und Stressfolgen.

In ihrer Praxis arbeitet sie mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen, die von unterschiedlichen psychischen Störungsbildern betroffen sind. Schwerpunkt der psychotherapeutischen Arbeit von Beate Handler, ist die Vermittlung genussvoller Selbstfürsorge. Dazu zählen, neben dem Training mit allen Sinnen zu leben (Genusstraining), Entspannungstools, der Einsatz von Achtsamkeitsstrategien und heilsamen Humor. Therapeutische Interventionen, die mit dem Ziel gesetzt werden, dass das Klientel Sinn und Frohsinn in privaten, wie beruflichen Lebenswelten erreicht, sowie Selbstfürsorge, Glücks- und Genussmomente und die psychophysiologische Gesundheit gefördert wird.

Wissenschaftliches Arbeiten, Vorträge, Workshops, Coaching und Supervision zählen zu ihren weiteren Tätigkeitsfeldern.

Sie ist die Autorin der im Goldegg Verlag erschienen Büchern: „Mit allen Sinnen leben. Tägliches Genusstraining." (2010, 2. Auflage), „Meine magische Persönlichkeit. Persönlichkeitsanalyse mit der Erdgeistchen-Methode." (2009), Wie der Mensch denkt. Die Milliarden im Kopf" (2010) und "Monster von nebenan. Wie gut kennen Sie Ihren Nachbarn?"

Diese Sach- und Fachberatungsbücher, sind aus purer Lust an der Thematik zu lesen, ebenso können sie auch als bibliotherapeutische Lektüre dienen.

Ein Kommentar in “Glücklich trotz Krankheit?

DieSachen November 11, 2018
Wäre interessant ob zwischen den beiden Beispielpersonen auch ein genetischer Unterschied beim COMT-Enzym vorliegt. Zu wenig COMT führt zu verlangsamtem Abbau von Dopamin, Adrenal, Noradrenalin und leider auch zu "schwächerem" Immunsystem. Dopamin = Glückshormon!

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