Vorwärtslernen und rückwärtslernen

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Freiwillige Probanden sahen auf einem Computerbildschirm ein geometrisches Muster entweder vor einem milden Stromschlag (Vorwärtslernen), oder aber erst nach Abklingen des Stroms (Rückwärtslernen). Dann wurde die Schreckhaftigkeit der Probanden getestet:
Es wurde plötzlich ein sehr lautes Geräusch eingespielt, während die Probanden das geometrische Muster betrachteten. Es zeigte sich, dass die Schreckhaftigkeit nach Vorwärtslernen viel stärker, nach Rückwärtslernen aber deutlich abgeschwächt ist. „Das ist sinnvoll, denn nach Vorwärtslernen fürchten die Probanden, dass gleich der Stromschlag wieder einsetzen könnte. Nach Rückwärtslernen aber dürfen sie hoffen, dass der Stromschlag eben gerade nicht gleich erneut auftreten wird“, erläutert Fendt.
Eine Überraschung ergab sich aber, als die Forscher die Probanden nach dem Experiment befragten. Auf einer Skala von „sehr unangenehm“ bis „sehr angenehm“ beurteilten die Probanden die Figuren allesamt als unangenehm! Die unterbewusste Schreckreaktion und das bewusste Beurteilen benutzen also womöglich unterschiedliche ‚Wertesysteme’, vermuteten Fendt und seine Kollegen. Hier liefert nun die neue Studie einen ersten wichtigen Anhaltspunkt:
Es wurde die Gehirnaktivität der Probanden während des oben beschriebenen Tests gemessen. Tatsächlich aktiviert das geometrische Muster nach Vorwärtslernen das Furchtzentrum, nach Rückwärtslernen aber das Belohnungszentrum. In Folgeexperimenten an Laborratten ging Fendt dann einen entscheidenden Schritt weiter: Wurde das Furchtzentrum der Ratten betäubt, kann das unangenehme Gedächtnis an das Vorwärtslernen nicht mehr abgerufen werden– wurde aber das Belohnungszentrum betäubt, erinnerten sich die Ratten nicht mehr an die angenehmen Gedächtnisse des Rückwärtslernens!

Fliegen, Ratten und Menschen bilden offenbar immer zwei Arten von Gedächtnis für schmerzhafte Erlebnisse: eine ‚negatives’ und ein ‚positives’. „Das Gleichgewicht zwischen diesen Gedächtnissen ist entscheidend“, sagt Fendt, „und es wird spannend sein zu untersuchen, ob Störungen dieses Gleichgewichts zu post-traumatischen Belastungsstörungen, Angsterkrankungen, hochriskantem Verhalten, oder zur Spielsucht beitragen. Und für die Therapie ist es wichtig zu verstehen, wie bewusste und unbewusste Wertesysteme miteinander in Beziehung stehen- und wie eine Störung in dieser Beziehung behoben werden könnte“.
...
Die Macht des Unterbewusstseins

Wenn es dem Menschen gelingen könnte, nur noch rückwärts zu lernen, wäre das ein Riesenfortschritt bei traumatischen Erlebnissen.
Hypnose könnte hier ein Weg sein, das Amygdala-Retraining ein anderer, und sicher gibt es hier noch mehr Möglichkeiten.

Grüsse,
Oregano
 
warum muss man schon wieder neue begriffe erfinden für etwas was schon lange bekannt ist.

diese erkenntnisse werden schon lange in der ericksonschen hypnotherapie, besonders im nlp aber auch vielen anderen bereichen und therapieformen angewandt.
es wäre vorteilhaft, wenn einige wissenshaftler sich erst kundig machen würden, was es schon gibt, ehe sie publizieren.

das artifizielle modell eines vorwärts- und eines rückwärts-gedächtnisses stellt ein verkomplizierung und somit verschlechterung gegenüber existierenden modellen dar, die der funktionsweise des gehirns in keiner weise gerecht wird, und somit therapien eher behindern dürfte.
 
Hallo Paule,

ich kenne mich mit der Hypnotherapie nach Erickson nicht aus. Aber es würde mich interessieren, welche existierende und vor allem funktionierende Modelle in Bezug auf die Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung Du meinst?
Es stimmt: NLP und wahrscheinlich auch Erickson bieten gute Ansätze. Aber anscheinend doch noch nicht genügend, um hier grundlegende Veränderungen in der Therapie zu bringen?

Oft führen verschiedene Wege zum Ziel, und meines Wissens ist das Gebiet der PTBS auch heute noch ein nicht wirklich bekanntes Gebiet, vor allem, was eine erfolgreiche Therapie angeht.
Vielleicht führt ja der Ansatz, der hier vorgestellt wird, auch dazu, daß Medikamente entwickelt werden können, die das "Gleichgewicht zwischen positivem und negativem GEdächtnis" herstellen könnten? Bis jetzt gibt es so etwas ja noch nicht, und die von Dir genannten Ansätze gehen auch nicht in die Richtung.

Grüsse,
Oregano
 
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nochmal: der Mensch hat nur ein Gedächtnis, und kein Vorwärts- oder Rückwärts-Gedächtnis.
Dies sind nur zwei abstrakte Begriffe/Konzepte, die kein physiologisches Korrelat besitzen. Daher ist für mich auch der Ruf nach Medikamenten hier nicht angebracht.

Was in dem Experiment gemacht wurde, nennt man im NLP Ankern. Das Bild wurde einmal zum Ankern eines positiven Gefühls benutzt, und einmal zum Ankern eines negativen Gefühls.
Und dass "das Gehirn" neben bewussten auch noch unbewusste Anteile hat, sollte inzwischen schon jeder Grundschüler wissen.

Erickson war derjenige, der die Wechselwirkung zwischen unbewussten und bewussten Anteilen meisterhaft auszunutzen verstand. Er legte damit eine praktische Grundlage für viele Techniken des NLP, die wiederum in die meisten aktuelle Therapieformen Einzug gefunden haben (ausser natürlich irgendwelche rückständigen hardcore-verhaltensth., -tiefenpsych, oder gar psychoanalytiker).

Hier angewandt werden die Prinzipen in hypnotherapeutischen Verfahren, für mich am überzeugensten im hypno-systemischen Ansatz von Gunther Schmidt (Systelios-Klinik) und von Bernhard Trenkle, Stephen Gilligan. Hier auch erfolgreich bei PTBS. Das Grundprinzip basiert auf der Grundlage der prinzipiellen Funktionsweise des Gehirns und ist somit universell, und nicht auf bestimmte Fälle eingeengt.
Auch die Ego-State-Therapie geht in diese Richtung.
Ebenso in gewisser Weise Somatic-Experiencing.
Damit "gibt es so etwas schon"und du hast somit Ansätze, die "in diese Richtung" gehen und erfolgreich angewandt werden.

Bei jeder erfolgreichen Therapie werden diese Prinzipien aktiv, oft wohl, obwohl dem Therapeuten nicht klar ist, was er da eigentlich macht. Und wenn eine Therapie nicht funktioniert, dann weil die meisten Therapeuten die Grundprinzipen nicht verstanden haben und nur stumpf irgendwelche gelernten Techniken anwenden.
 
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