Hallo hier ein beitrag mit kleiner Einführung zu Toleranz
In seinem Verhör vor Pilatus gab Jesus seinem heidnischen Richter auf dessen Frage: "Bist Du dennoch ein König?" die bedeutungsvolle Antwort: "Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeugen soll." (Joh 18,37). Ja, dazu also ist der Sohn Gottes als Mensch zu uns Menschen gekommen, damit er uns die volle Wahrheit über Gott und das Woher und Wozu unseres Lebens offenbare. Diese uns durch Jesus Christus authentisch mitgeteilte Wahrheit allein kann den Nebel unserer Orientierungslosigkeit lichten; sie allein vermag unserer Gebundenheit durch die dämonischen Mächte der Lüge zu sprengen kann, damit wir in Jesu Nachfolge wahrhaft frei werden (Joh 8,31f).
Ebenso wie Jesus selbst wesentlich dazu in die Welt gekommen war, um die Wahrheit zu verkünden, so sandte er nach seiner Auferstehung auch seine Apostel als seine Zeugen zu allen Völkern. Sie sollten unter diesen das Evangelium von der Erlösung durch Christi Kreuz und Auferstehung predigen und die gläubig Gewordenen lehren, alles zu halten, worin er seine Jünger zuvor unterwiesen hatte. Darum nennt der Apostel Paulus (1Tim 3,15) die Gemeinde des lebendigen Gottes einen "Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit".
Darum scheuen sich Christen auch nicht, für die ihr aufgetragene Botschaft einen universalen Wahrheitsanspruch zu erheben. Sie erhebt ihn im Namen dessen, der gesagt hat: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14,6).
Über diesen Wahrheitsanspruch ist nun aber schon seit den Erdentagen Jesu ein gewaltiges Ringen ausgebrochen; denn an seiner Kühnheit scheiden sich die Geister. Denn die Menschheit ist in der Vielheit und Unterschiedenheit ihrer Kulturen und Religionen in dem zunehmend engeren Raum der einen Welt zusammengerückt. Überall begegnen sich im Miteinander der Menschen vielfältige Wahrheitsbegriffe; es sind solche wissenschaftlicher, ideologischer und - nicht zuletzt! - religiöser Art. Je tiefer nun die Anhänger der jeweiligen Richtung von ihrer Wahrheit überzeugt sind, um so leidenschaftlicher versuchen sie, diese allgemein zu Anerkennung zu bringen: mit werbenden Worten, mit dem beglaubigenden Vorbild oder unter Umständen auch gewaltsam. Über solchem Durchsetzungsbemühen kann es dann zu gefährlichen Konflikten kommen, ja sogar zu blutigen Auseinandersetzungen. - Vor diesem explosiven Hintergrund wird deutlich, warum heute von vielen Seiten her die Forderung Toleranz zum wichtigsten Gebot der Stunde erklärt wird.
Was versteht man allgemein darunter? Tolerant sein heiße, so sagt man, für Versöhnung, Koexistenz und Zusammenarbeit eintreten; denn nur so könne der bedrohte Frieden bewahrt werden. Wer dagegen nicht "tolerant"in diesem Sinne ist, sondern auf der Gültigkeit seines weltanschaulichen Standpunktes besteht, wird alsbald als sog. "Fundamentalist" verpönt. Das aber ist einer der schlimmsten Vorwürfe, die man heute einem Menschen machen kann. Häufig heftet man dieses Etikett gerade den sich als "bibeltreu" bezeichnenden Christen an. Darum ist es unverzichtbar, daß wir uns heute einmal Klarheit darüber gewinnen, wie das mit der Toleranz eigentlich ist. Sind bibeltreue Christen wirklich so verbohrt, eng und verständnislos andern gegenüber, wie man uns vielfach vorwirft? Darum wollen wir uns erst einmal bewußt machen, was diese meist gedankenlos gebrauchten und zu Schlagwörtern verkommenen Vokabeln eigentlich meinen. Wir müssen uns um eine saubere Begriffsbestimmung bemühen, nicht aus Wortklauberei, sondern aus Verantwortung gegenüber dem uns Christen aufgegebenen Zeugnis für die lebenswichtige Wahrheit. So fragen wir also:
Das Fremdwort Toleranz leitet sich ab von dem lateinischen Verbum tolerare, das zu deutsch "tragen", "ertragen", "erdulden" bedeutet. Ein toleranter Mensch ist also jemand, der bereit ist, eine Last auf sich zu nehmen, was er natürlicherweise nicht mag. Schon diese sprachliche Herleitung zeigt an, daß Toleranz kein charmantes Vergnügen ist, wie aus gewissen zweideutigen Zeitungsannoncen hervorzugehen scheint: "Lebensbejahender Er sucht tolerante Sie". Nein, echte Toleranz ist stets mit einem Opfer verbunden, zumindest einem Verzicht.
Wichtig ist es nun, zu unterscheiden zwischen zwei Formen oder Verständnissen von Toleranz, nämlich der persönlichen und der sachlichen Toleranz. Die eine bezieht sich auf unser Verhalten gegenüber den Menschen, die eine uns fremde Überzeugung vertreten; die andere auf unsere geistige Beurteilung ihrer Wahrheit.
A. Beginnen wir mit der persönlichen Toleranz. Sie urteilt nicht über die Überzeugung eines anderen, sondern sie gilt seiner Person. Die Menschen in unserer Umgebung vertreten alle irgend eine ihr Empfinden und Handeln bestimmende Wertvorstellung. Solche können vom künstlerischen Ideal bis zur Weltmeisterschaft im Fußball variieren. So lange eine Person das als ihre Privatangelegenheit für sich behältund nur gelegentlich darüber spricht, wird uns das nicht stören. Wir werden sie ausreden lassen und es wird uns nichts kosten, "tolerant" zu sein. Problematisch dagegen wird es, wenn der betreffende Mitmensch seine Meinung ständig penetrant in Wort und Verhalten zur Darstellung bringt. Eine solche Person - wie z.B. ein Werber für eine bestimmte Sekte! - kann uns bald schwer erträglich werden. Denn es kostet ein Maß innerer Selbstüberwindung, ihre Gegenwart auszuhalten. Man denke an einen Menschen, der auch in der Nähe anderer ständig Knoblauch kaut, vielleicht aus lebensreformerischen Grundsätzen!
Vielleicht kann uns dieses harmlose, aber drastische Beispiel einen Hinweis geben sowohl auf die Berechtigung als auch die Grenzen der Forderung nach persönlicher Toleranz. Menschen sind nun einmal sowohl aufgrund ihrer Veranlagung als auch ihrer kulturellen Prägung verschieden. Unsere pluralistische Gesellschaft läßt uns jedoch keine andere Wahl, als mit unseren uns zu Nachbarn gewordenen fremden Mitmenschen zusammenzuleben. Wir sollen uns bemühen, mit ihnen gemeinsam das Wohl unserer Gesellschaft zu suchen. Wir können unsere Bereitschaft zur Koexistenz nicht davon abhängig machen, daß die anderen zunächst so werden wie wir, daß sie also unsere Kultur, unseren Lebensstil und unsere Religion übernehmen. Das, was uns eint, ist unser gemeinsames Menschsein und unser gesellschaftliches Zusammenleben. Das müssen wir so gut wie möglich gemeinsam zu bewältigen suchen. Im Übrigen soll ein jeder das Recht und die Freiheit genießen, nach seinen persönlichen Überzeugungen zu leben, solange er damit nicht verletzend in die Sphäre anderer eingreift.
Dieses Toleranzverständnis entspricht jedenfalls unserer neuzeitlichen Rechtsordnung, die auf den Grundwerten des Gewissensschutzes und der demokratischen Freiheiten aufgebaut ist. Es kann sich zugleich auch auf das Vorbild Jesu berufen. Nahm er seine Umwelt doch zunächst einmal so, wie sie war, ohne sie in allen Stücken verändern zu wollen. Vor allem aber verzichtete er bewußt darauf, den Menschen sein Evangelium mit Gewalt aufzuzwingen (Lk 9, 54-56). Vielmehr begegnete er auch Heiden oder den Samaritern mit menschlichem Respekt, den er sogar den Zöllnern und Dirnen nicht versagte. Jesus konnte deswegen menschlich tolerant sein, weil er ganz auf die geistliche Wirkung seines evangelistischen Bemühens vertraute. Andererseits entband er die Ungläubigen nicht von ihrer eigenen Verantwortung für die zeitlichen und ewigen Folgen ihrer Ablehnung seiner Botschaft. Er appellierte an ihr Gewissen: "Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme" (Joh 18,37).
Im Bezug auf diese erstgenannte menschliche Toleranz gegenüber Anhängern anderer Lebensanschauungen und Religionen können wir uns sicher mit der Mehrheit unserer Zeitgenossen einigen, - jedenfalls bisher. Christen sollten solche den Angehörigen einer anderen Religion erwiesene Toleranz nicht prinzipiell in Frage stellen. Leider ist das in der Geschichte der Kreuzzüge, Konfessionskriege und auch Judenpogrome lange Zeit geschehen. Denn wir sollten nicht vergessen, daß ja auch das Ende der altkirchlichen Christenverfolgungen einem Toleranz-Edikt, nämlich dem 312 n.Chr. in Mailand von Kaisers Konstantin erlassenen, zu verdanken war. Deswegen können wir heute das Recht der von uns als Gastarbeiter ins Land gerufenen muslimischen Mitbürgern nicht bestreiten, ihre Freitagsgebete in ihren vielerorts erbauten Moscheen zu verrichten. Hier ist die Forderung nach persönlicher Toleranz gegenüber sowohl einzelnen als auch Gemeinschaften berechtigt. Begründeten Einspruch sollten wir allerdings dagegen erheben, wenn von den Minaretten wie in islamischen Ländern nun auch inmitten unserer Städte fünf mal am Tage- durch Lautsprecher verstärkt - die Muezzime in Ohren betäubendem Ton ihre Shahadah verkünden, in der mit antichristlicher Spitze der Eingott Allah zum einzigen Gott und Mohammed als sein Prophet proklamiert wird. Denn hier ist die Grenze der persönlichen Toleranz eindeutig überschritten.
B. Nun stehe ich allerdings unter dem Eindruck, daß viele Leute beim Einfordern von "Toleranz" nicht mehr allein deren soeben behandelte persönliche Gestalt im Auge haben. Vielmehr denken sie zunehmend eher an die zweite, d.h. sachliche Toleranz, die man besser auch als "inhaltliche Toleranz" bezeichnen kann. Damit verbindet sich vielfach die Vorstellung, daß alle Religionen und sich moralisch begründenden Lebensstile gleichberechtigt nebeneinander bestehen können; denn - so meint man - ihre Inhalte seinen doch alle in gleichem Maße wahr, bzw. ethisch verantwortbar. Ja, auch ihre verschiedenen Gottesvorstellungen und Namen bezeichneten doch letztlich ein und dieselbe übermenschliche Macht.
Oder aber man bezweifelt wie Pilatus relativistisch, daß es überhaupt eine objektive und deswegen universal gültige Wahrheit gibt. Man hat nämlich seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert den Glauben an eine von Gott der Menschheit gegebene Offenbarung preisgegeben. Deswegen ersetzt man mit G. Ephraim Lessing (1729-81) die Wahrheit als solche mit der beständigen Suche nach ihr. Das Maß der dabei gefundenen Wahrheit solle - wie Nathan der Weise in seiner Ringparabel lehrt - sich daran erweisen, inwieweit eine bestimmte Religion - heiße sie Christentum, Judentum oder Islam - dem einzelnen Wahrheitssucher zu einem tugendhaften und sinnvollen Leben verhilft. Praktisch solle dann jeder nach der Religion leben, die ihm am meisten gibt. Welche dies ist, könne letztlich nur jeder für sich persönlich beantworten. Da schließlich, wo über diesen privaten, innerseelischen Bereich hinaus nach Maßstäben für eine von allen Bürgern verbindliche sittliche Ordnung gesucht wird, gelte es, im Dialog zwischen den Vertretern möglichst vieler Religionen und Weltanschauungen einen Konsensus darüber zu finden, wozu jeder von seinen Voraussetzungen her ja sagen kann. Das Ergebnis sind dann so allgemein akzeptable Maximen wie: Freiheit, Humanität, Friedensbereitschaft, Menschenwürde, Gleichberechtigung, Solidarität. Mit dem Tübinger Theologen Hans Küng kann man sie wohlformuliert in einem universal zu akzeptierenden "Weltethos" zusammenfassen.
Verborgen bleibt dabei allerdings, daß diese Parolen in unterschiedlichen Situationen und von unterschiedlich geprägten Voraussetzungen her ganz widersprüchlich gefüllt werden können. Um nur zwei heute umstrittene Prüfsteine für solches Weltethos zu nennen: Wie steht es z.B. mit dem heute von vielen postulierten Recht auf Abtreibung unerwünschten menschlichen Lebens und um dessen Tötung auf Verlangen, d.h. der kürzlich in Holland und Belgien legalisierten Euthanasie? Was heißt in diesem Falle "sachliche Toleranz"? Bedeutet es etwa, daß jede Mutter autonom entscheiden darf, ob und bis zu welchem Wachstumsstadium sie das Kind in ihrem Leibe töten lassen darf? Bedeutet es, daß der unheilbar Kranke selber oder sein Arzt oder seine Angehörigen stellvertretend entscheiden dürfen, ob ihm die sogenannte Sterbehilfe zu gewähren sei? Was sagt hierzu das viel berufene Weltethos?
Es ist deutlich, daß bekennende Christen eine so relativ verstandene "sachliche Toleranz" von ihren dogmatischen Voraussetzungen her nicht akzeptieren. Sie dürfen es weder auf religiösem noch auf moralischem Gebiet. Für sie ist es nicht egal, ob man durch die Versöhnung durch Jesus Christus zu einer ewigen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott kommt, oder aber ob man durch die buddhistische Erleuchtung über die Wesenlosigkeit der sichtbaren Welt, ja sogar des eigenen Ichs sich am Ende von tausend Reinkarnationen auflöse, um in das leere Nichts, das Nirvana einzugehen.
Auch dürfen gläubige Christen nicht darauf verzichten, unter den Angehörigen anderer Religionen zu missionieren - wohl wissend, daß genau das von vielen Zeitgenossen als Ausdruck unerträglicher Kultur-Arroganz betrachtet wird. Gilt es doch, die dämonische Trugbilder zu entlarven und zur Bekehrung zu dem lebendigen Gott aufzurufen Das heißt also: Inhaltliche Toleranz hat es, wenn es um den Glauben geht, unüberschreitbare Grenzen.
Ebenso dürfen Christen in der öffentlichen Debatte um die Zulässigkeit unterschiedlicher Formen des Sexualverhaltens nicht verschweigen, daß Gott uns für unser Zusammenleben klare Weisungen in Gestalt von Gebot und Verbot erteilt hat. Über deren heutige Gültigkeit und Anwendbarkeit hat deswegen nicht etwa ein vom Bundeskanzler einberufener "Ethikrat" und auch kein Parlament demokratisch gewählter Volksvertreter zu entscheiden. Vielmehr müssen die Kirchen und Gemeinden vor Ort unbeirrbar für die bleibende Verbindlichkeit des biblisch geoffenbarten Willen Gottes eintreten, notfalls im öffentlichen Protest. Die Konferenz Bekennender Gemeinschaften hat dies erst kürzlich getan, indem sie eine ethische Orientierungshilfe erarbeitete und nun verbreitet unter dem Titel: "Die Zehn Gebote - Gottes Wegweisung in unserer Zeit".
Was aber passiert, wenn wir weiterhin konsequent Gottes Wort als Maßstab sowohl zur Beurteilung religiöser Wahrheit als auch für die sittliche Gesetzgebung herausstellen? Als bekennende Christen, ob Protestanten oder Katholiken, werden wir alsbald erfahren, daß uns der Zeitgeist wie ein Sturmwind ins Gesicht bläst. Dann wird uns der Vorwurf entgegengeschleudert, wir verstießen mit unserer unbeugsamen Haltung gegen das Grundgebot der Toleranz. Man empört sich darüber, daß wir gegenüber den von uns Differierenden die Gleichberechtigung ihres Verständnisses von Wahrheit abstreiten und folgert daraus, daß wir ihnen letztlich das Existenzrecht aberkennen. Ungeachtet unseres freundlichen Verhaltens anders Denkenden gegenüber werden hier inhaltliche und persönliche Toleranz flugs in eins gesetzt.
Und nun entdecken wir die überraschend, daß die Anwälte der inhaltlichen Toleranz gegenüber denen, die ihren Relativismus nicht anerkennen, plötzlich sehr intolerant auftreten können. Man schließt sie aus der Gemeinschaft der an der öffentlichen Meinungsbildung Beteiligten, z.B. im Lehrberuf oder in der Medienarbeit aus. Man schneidet ihnen das Wort ab oder betreibt ein existenzbedrohendes Mobbing gegen sie. Aus der im modernen Sinne gedeuteten sachlichen Toleranz, die der amerikanische Autor Josh McDowell als die "neue Toleranz" bezeichnet und beschrieben hat, wird also im Umschlag in ihr eigenes Gegenteil eine totalitäre Ideologie. Diese sucht allen Menschen das Bürgerrecht zu entziehen, die sich aufgrund ihrer unwandelbaren ethisch-religiösen Überzeugungen nicht ihrem Grundgebot fügen, auch andere Denk- und Verhaltensweisen als gleich wahr und gleich berechtigt anzuerkennen, die ihnen widersprechen.