Sinn und Unsinn von Nahrungsergänzungsmitteln?!
Für mich waren und sind Mineralien und Spurenelemente am wirkungsvollsten.
Künstliche Vitamine haben eher bescheidene bis kontraproduktive Wirkung. Einzig Vitamin-D funktioniert zuverlässig. Alle anderen Vitamine würde ich viel mehr aus natürlichen Quellen empfehlen:
Künstlich oder Natürlich? Hier mal eine ausführliche Erläuterung von Dr. van Lunteren:
Die teilweise mit sektiererischem Eifer geführte Diskussion darüber, ob natürliche Substanzen den künstlichen vorzuziehen sind, leidet von vorneherein unter schwammigem Sprachgebrauch und waberigen Definitionen. Hierbei werden exakte Begriffe aus der Chemie oder Pharmazie in unzulässiger Weise verallgemeinert oder gar völlig unsinnig gebraucht.
Das Wort künstlich hat viel mit Kunstwerk zu tun, also einer Sache, die es in dieser Form, in diesem Umfeld in der Natur nicht gibt. Aber: Ganze Landschaften sind künstlich angelegt, dennoch wird wohl kaum jemand allein deswegen von einer Kunstlandschaft sprechen. Insgesamt ist dieser Begriff nicht eindeutig definiert, die Wissenschaft lebt jedoch von der Genauigkeit.
Der Begriff synthetisch wird in der Regel mit künstlich gleichgesetzt, ist auf alle Fälle eindeutiger belegt und umschreibt praktisch immer einen Stoff oder Vorgang, den es in dieser Form in der Natur nicht gibt. Typisch dafür sind synthetische Kleiderstoffe (Diolen, Polyester usw.). Aber: Synthetisiert der Chemiker etwas, dann ist damit das Zusammenfügen verschiedener Substanzen gemeint; im engeren Sinne handelt es sich bei diesen Stoffen um natürliche Elemente, im weitesten Sinne können jedoch auch Moleküle gemeint sein. Es lässt sich daraus nicht ablesen, ob die jeweils gemeinte Synthese ein natürlicher oder unnatürlicher Prozess ist. Auch im Organismus werden ständig Substanzen synthetisiert.
In der aktuellen Auseinandersetzung werden die Begriffe synthetisch und künstlich gleichgesetzt. Grundsätzlich stehen wir auf dem Standpunkt, dass natürliche Substanzen den künstlichen vorzuziehen sind. Es ist sogar die Frage, ob der Mensch überhaupt synthetische Substanzen in Massen herstellen sollte, da deren (Wechsel-)Wirkungen und ökologische Folgen nicht überschaubar sind. Letztendlich fingert man damit in einem jahrmillionenalten chemischen Gleichgewicht herum und hat keine Ahnung von den langfristigen Effekten.
Dennoch ist ein Naturprodukt deswegen noch lange nicht harmlos oder gar per Definition gesund. Auch Arsen, Fliegenpilz und Kolibakterien sind Naturprodukte. Andererseits gelten manche Naturprodukte wie z.B. Hormone als unnatürlich – was ebenfalls Unsinn ist.
Die gegenwärtige Polarisierung von künstlich vs. natürlich trifft nicht den Kern und folgt lediglich dem derzeitigen Modetrend. „Bio“, „Öko“ und „Natur“ verkauft sich nun mal gut und etliche Produkte sind bereits so ökobiologisch, ökobiologischer geht’s nicht mehr ... So verwendet die häufige Frage, ob natürliche Vitamine den künstlichen vorzuziehen seien, von vorneherein unklare Begriffe – und jede Beantwortung geht daher haarscharf an der Sache vorbei. Der Unsinn, der mit den Terminologien betrieben wird, ist teilweise recht absurd. Letztendlich werden klare Begriffe ideologisch verbastert – was leider lange Tradition hat –, um angebliche Qualitäten zu unterstreichen, die in der Form nicht existieren.
Vitamine sind ein Naturprodukt, wie eine Kartoffel auch. Ein synthetisches Vitamin entspräche demnach einer synthetischen Kartoffel – und was bitte soll das sein? Künstliche Mineralien, wie z.B. Selen, wären sogar ein göttliches Wunder, weil der Mensch (bis dato) keine Elemente herstellen kann. Aber es gibt durchaus Unterschiede im Herstellungsverfahren (bzw. in der Aufzucht der Kartoffel), die möglicherweise zu unterschiedlichen Wirkungen führen. Grundsätzlich aber handelt es sich bei allen Lebensmitteln – egal ob Kartoffel oder Vitamine – um natürliche Substanzen, also Stoffe, wie sie auch von der Natur verwendet werden. Natürliche Moleküle sind z.B. das Vitamin C oder das Hormon Östrogen, aber auch giftiges Arsen und andere Schwermetalle wie Blei und Cadmium sind natürliche Substanzen.
Der Mensch ist jedoch in der Lage Moleküle (nicht Atome) herzustellen, die es in der Natur so nicht gibt. Nur diese Moleküle verdienen die Bezeichnung künstlich oder synthetisch. Dann aber bekommen die Moleküle auch einen Kunstnamen, eine mehr oder weniger willkürliche Wortschöpfung.
Im Bereich der Textilien hat der Mensch sich mittlerweile an die diversen Bezeichnungen gewöhnt: Baumwolle ist Natur, Diolen ist Kunststoff. Beide haben Vor- bzw. Nachteile, Mischungen sind gang und gäbe – und über die immense Palette weiterer Substanzen in Textilien ist damit nichts gesagt.
Da es sich bei einem synthetischen Molekül um eine eigene Erfindung handelt, kann man es patentieren lassen und damit wird es für die Industrie interessant. Ob die synthetische Substanzkreation (z.B. Medikament) mehr schadet als nutzt, wird bei der Patentvergabe nicht hinterfragt. Insofern sind Hinweise auf Patente in diesem Zusammenhang generell Null-Aussagen.
In vielen Fällen ist eine exakte Abgrenzung zwischen künstlich oder natürlich schwer und ergibt auch keinen Sinn. Am Beispiel der bekannten Acetylsalicylsäure (ASS, ASPIRIN) kann man ersehen, dass weder die pauschale Verdammung aller pharmazeutischen Produkte noch die generelle Bevorzugung natürlicher Heilsubstanzen der Sache gerecht wird (siehe Herz/Acetylsalicylsäure). Zwar handelt es sich bei den Einzelbestandteilen von ASS um Naturprodukte, aber das fertige Molekül gibt es in dieser Form in der Natur nicht. Es gäbe vermutlich keine Weiden mehr, und eine Packung ASS wäre schon längst unbezahlbar, wenn es dem Menschen nicht gelungen wäre die Salicylsäure industriell herzustellen. Wer will jetzt wo die Grenzen zwischen synthetisch und natürlich ziehen?
Es wird dabei vor allem von fanatischen Bio-Fans oft übersehen, dass die Pharmazie ihre Wurzeln in der Kräutermedizin hat. Etliche klassische Medikamente basieren auf der Wirkung natürlicher Substanzen, können deswegen aber noch lange nicht als gesund bezeichnet werden.
In letzter Konsequenz ist jede Haushaltsküche eine Art Labor, in der die ursprüngliche (molekulare) Form von Nahrungsmitteln verändert wird. Um dennoch eine Unterscheidung zu ermöglichen, definiert man „künstliche Moleküle“ in aller Regel als Substanzen, die man gezielt in ihrer Form verändert hat (um z.B. in den Genuss des Patentrechts zu kommen oder die Verträglichkeit zu verbessern).
Nun gibt es bestimmte Verfahren, um diese oder jene natürliche Substanz zu gewinnen. So kann man Vitamin C aus Obst synthetisieren oder z.B. aus Glucose herstellen. Bei letzterem Verfahren werden die natürlichen Vorgänge im Grunde genommen kopiert. Wie in der Natur ist der Ausgangsstoff Glucose (aus Kohlenhydraten), der von drei Enzymen zu Vitamin C umgebaut wird. Beim Tier geschieht das im Körper und die Industrie ahmt das in großen Tanks nach. Dem Menschen (und dem Meerschweinchen) ist ein Enzym in seiner Entwicklungsgeschichte verloren gegangen, weswegen er es nicht mehr selbst herstellen kann.
Der Kostenunterschied ist gewaltig, dennoch erhält man in beiden Fällen identische Moleküle Vitamin C. Würde man das reine Vitamin C einer Zitrone neben das Vitamin C aus dem Glucoseverfahren legen – es wäre kein Unterschied feststellbar, weder im Aussehen noch in der Wirkung. Wohl aber im Preis.
Was in Wahrheit oftmals verglichen wird, sind reines Vitamin C und Vitamin C mit Begleitstoffen (Flavonoide). Hier vergleicht man Kühe mit Kälbern. Da die Wirkung der Flavonoide auf Vitamin C durchaus allgemein bekannt ist – es steigert die Bioverfügbarkeit um ein Vielfaches –, fügen manche Hersteller die Bioflavonoide dem reinen Vitamin C wieder zu.
Im Nebensatz: Mit „natürlichem“ Vitamin C, wie z.B. in Acerolaprodukten, könnte man den heute empfohlenen Bedarf kaum decken, denn es enthält lediglich ca. 7% Vitamin C (oft wird noch „synthetisches“, also industriell gefertigtes Vitamin C hinzugefügt). Entscheidend dürfte der Umstand sein, dass es bisher keinen handfesten Beweis dafür gibt, dass der Organismus einen Unterschied zwischen „natürlichem“ oder „industriellem“ Vitamin C macht. Jedenfalls solange man vom reinen Vitamin C spricht.
Vergleicht man hingegen die verschiedenen Verfahren der Vitamin-E-Gewinnung, dann sind Qualitätsunterschiede, die sich physiologisch auswirken, feststellbar. Vitamin E besteht aus nur drei Elementen, nämlich Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff. Im räumlichen Aufbau hat dieses Vitamin jedoch eine Vielfalt, die gar nicht mehr in Worte gefasst werden kann: Von mehreren Milliarden Vitamin-E-Molekülen ist keines wie das andere. Bei der einen Herstellungsart sind alle Vitamin-E-Moleküle gleich; bei einem anderen Verfahren entsteht die auch in der Natur vorkommende Vielfalt. In diesem Fall wurde ein Unterschied in der Wirkung festgestellt. Aber alles andere als eindeutig: denn mal wirkt das „gleichförmige“ Molekül besser, mal das „vielfältige“.
Auf den Punkt gebracht, ist es eine pure Verkaufsmasche, wenn man mit den Begriffen natürlich oder biologisch so umgeht, als ob sie für sich schon Qualität verheißen würden. Suggeriert wird dabei die angebliche Überlegenheit nicht industrieller Produkte. Das ist – sorry – Kundenverarschung, denn praktisch alles wird industriell hergestellt, bearbeitet. Andernfalls könnte es sich kein Mensch mehr leisten. Es ist vergleichbar mit der Joghurtherstellung: Niemand wird ernsthaft behaupten, dass Joghurt ein synthetisches Produkt ist, obwohl in den Verkaufsregalen viele verschiedene Sorten angeboten werden und alle industriell gefertigt sind.
Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen beziehen sich übrigens auf die industriell gefertigte Substanz, in der bei den Krankenhäusern/Instituten üblichen, pharmazeutischen (reinen) Qualität. Natürlich wird dabei gelegentlich festgestellt, dass diese oder jene Darreichungsform (z.B. Ascorbinsäure und Flavonoide) der Monosubstanz überlegen ist. Dennoch beruhen die Erkenntnisse der Mikronährstoff-Forschung fast ausnahmslos auf industriell gefertigten Substanzen – allein schon aus Kostenerwägungen. Vitamine, die man z.B. aus Obst extrahiert („natürlich“), sind extrem teuer oder sogar mit Vorsicht zu genießen. So enthalten bestimmte ölige Extrakte zwar viel Vitamin E, aber die ölige Basis neigt zur Oxidation, wodurch das Produkt möglicherweise eher schadet als nützt. „Natürliches“ Vitamin C, also aus einer Pflanze synthetisiert, ist sehr kostbar, in einem Extrakt (z.B. Acerola) zwar preiswerter, aber immer noch teuer. Hinzu kommt, dass vor allem natürliche Substanzen oftmals verunreinigt sind. Zwar überwacht der Staat bestimmte Grenzwerte, aber sie beziehen sich auf deutsche Dosierungsempfehlungen.
So bewegen sich die Verunreinigungen von preiswertem Vitamin C (oft China-Importe) zwar innerhalb der gesetzlich zulässigen Grenzen, aber man geht dabei von der DGE-Dosisempfehlung (ca. 100 mg/täglich) aus. Folgt man den jüngeren Empfehlungen (3.000–15.000 mg), dann sieht das schon anders aus.
Die Unterscheidung nach künstlichen oder natürlichen Vitaminen ähnelt jedenfalls einer Diskussion über einen schwarzen Schimmel.
Ähnlich im Bereich der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe (Heilpflanzen; Gemüsekonzentrate). Hier wird man sogar vergeblich nach „künstlichen“ Produkten suchen. Man kann sie entweder überhaupt nicht „künstlich“ herstellen oder nur mit enorm viel Aufwand.
Fazit: Bereits die Frage, ob natürliche Nährstoffe den „synthetischen“ vorzuziehen sind, ergibt – außer bei Vitamin E – keinen Sinn. Bezieht man sich auf das Herstellungsverfahren, dann lässt sie sich nicht allgemein beantworten und muss von Fall zu Fall entschieden werden.
Bringt man die Diskussion synthetische/natürliche Vitamine auf den Punkt, dann bleiben nur noch wenig eindeutige Fakten:
Man kann letztendlich nur das Endprodukt (z.B. das Vitamin-C-Molekül von Hersteller XY) untersuchen, denn – es liegt auf der Hand – kein Hersteller wird Details über seine Herstellung preisgeben. Das fällt unter das Betriebsgeheimnis.
Fast alle Untersuchungen basieren auf marktüblichen industriell gefertigten Substanzen.
Tatsache ist ebenfalls (gerichtlich festgestellt in einem Kartellverfahren, bei dem die betroffenen Firmen verurteilt worden sind), dass drei europäische große Pharmaunternehmen 90% des Vitaminhandels (Rohstoffe) beherrschen. Sogar US-Firmen kaufen ihre Rohstoffe in Europa, verarbeiten diese in den Staaten – und wir importieren sie wieder aus den USA.
Bezüglich einer isoliert untersuchten Wirkung hat man festgestellt, dass reine Vitamine (also industriell gewonnene) sogar oftmals besser wirken als jene, die mit Lebensmitteln aufgenommen werden. Das wird plausibel, wenn man berücksichtigt, dass die in Lebensmitteln enthaltenen Vitamine oftmals an andere Substanzen gebunden sind, die die Verfügbarkeit behindern. Besonders deutlich wird dies bei den meist gebundenen Spurenelementen. (Über die Gesamtwirkung sagt dies wiederum nichts aus.)
Es ist sogar völlig unmöglich, dass die heutzutage notwendigen riesigen Mengen an Vitaminen aus natürlichen Quellen (z.B. Zitronen) synthetisiert werden könnten.
Sehr ähnlich verhält es sich mit der ebenfalls häufig anzutreffenden Fragestellung, ob Vitamine tierischen oder vegetarischen Ursprungs sind. Nennenswerte Vitamin-A-Quellen gibt es z.B. in der Natur praktisch nicht. Es wird im Organismus aus Betakaroten gebildet. Natürliche Vitamin-A-Ressourcen sind demzufolge immer tierisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Vitamin A eines Nahrungsergänzungspräparats aus einem Tier synthetisiert worden wäre. Das wäre, wie gesagt, unbezahlbar.
Die allgemeine Begriffsverwirrung in Sachen synthetisch/natürlich/tie-risch ist vor allem auf unseriöse Werbung zurückzuführen, die dem Kunden bestimmte Qualitäten glauben machen will, die es in der dargestellten Form gar nicht gibt und/oder geben kann. So wurde eine Zeit lang mit „natürlichem Melatonin“ geworben und dabei suggeriert, dass es aus „natürlichen Quellen“ stamme. Dabei liegt es auf der Hand, dass eine Synthese des Melatonins aus beispielsweise Pflanzen sündhaft teuer wäre (von einer Synthese aus Tierkörpern ganz zu schweigen). Tatsache ist: Melatonin ist ein einfaches Molekül, das sich unkompliziert und preiswert herstellen lässt.
Fazit: Lassen Sie sich durch diesen terminologischen, eher theoretischen als pragmatischen Marketing-Hickhack nicht verunsichern. Eine Rose ist eine Rose und Ascorbinsäure ist Ascorbinsäure. Punkt.