Hallo Tapachula,
Deine Zeilen "Lebensmüde" haben mich berührt -gerade dadurch, daß sie mich hilflos machen. Nicht daß es keine Hilfe gäbe - ich fürchte, daß Du auch das Beste nicht leicht annehmen könntest. und ich habe eine Scheu, mich oder irgendwas Dir aufzudrängen. Die vage Vermutung, Du könntest es genießen, Anteilnahme, Ideen anderer Menschen abzuweisen? (Könnte das zutreffen?) Andererseits schreibst Du ja an ungezählte Mitglieder dieses Forums.
Was erwartest Du Dir von einem Forum-Mitglied? Oder, bescheidener, was erhoffst Du? Oder, unbescheidener und unabhängig von Verwirklichungsmöglichkeiten, was würdest Du Dir überhaupt von Menschen, von einem Menschen wünschen? Oder was wünschst Du Dir von Dir selber, unabhängig von anderen?
Ja, natürlich: Du reist nicht mehr, bist 61 (an sich nicht soo alt), bist krank, kannst nicht mehr richtig Essen, kein Sex mehr. Das ist hart - und zugleich: es ist häufig. (Ich hab in einem Hospiz gearbeitet.) Zugleich die Frage: ist das alles, was es gibt (und für Dich nun nicht mehr gibt) auf dieser weiten Welt. Wo sind denn Deine neun Kinder? Wo in der Aussenwelt? und wo in Dir? Wo der oder die Geliebte

, die es da ja wohl mal gegeben hat. Wo in der Außenwelt? und wo in Deiner Seele?
Gib es in Deiner Welt niemandem - um die Sache mal umzudrehen - für den
Du etwas tun, dem Du etwas mitteilen könntest, möchtest? oder danken? irgendwas Liebes sagen? oder Abbitte leisten für eine Schuld? Mehr, jedenfalls, als den "guten Abgang", was ja klingt wie eine Selbsmorddrohung. (Magst Du das nicht lieber lassen?) Gäbe es nicht die Möglichkeit, durch würdevolles und heiteres Ertragen Deiner Krankheit anderen zu helfen? andere zu inspirieren?
Und: unabhängig von allen Menschen: hat es für Dich nie etwas gegeben wie Meditation oder Gebet? Eine Täigkeit, die ihren Sinn in sich trägt oder in einer Transzendenz, die jenseits ist von Verfall und Leiden?
Eine Ultrakurzgeschichte: ein Zen-Schüler klagte seinem Meister: "Ich bin so entmutigt". Die Antwort, lapidar: "Ermutige andere!" (Viele brauchen Ermutigung.)
Übrigens: In der Weltliteraur gibt es immer wieder Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Auch des Lebens, das sich vielleicht seinem Ende zuneigt. Man muß nicht verzweifeln. (Das erste, das mir einfällt, ist von einem italienischen Mädchen, das mit 11 an einer unheilbaren, forschreitenden Krankheit starb: Alice Sturiale: "Vom Glücklichsein". Hab gerade bei Amazon nachgesehen: ist zu haben, spottbillig.)
Laß wieder was hören, ja?
Und sei herzlich gegrüßt von
Windpferd