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Arbeitsgruppe im Portrait: Molekulare Physiologie der Niere der Medizinischen Universität Innsbruck...
Definierte Zellkulturmedien stellen bis heute die Standardmedien für die Kultivierung tierischer und humaner Zellen dar. Jedoch müssen die Primärzellen oder auch Zelllinien zusätzlich "motiviert" werden, sich zu teilen. Das geschieht über ein noch nicht vollständig geklärtes Zusammenspiel von Hormonen und Wachstumsfaktoren imFBS [= fetales Kälberserum], das dem Basalmedium zugefügt wird. Mit dem Serum wird somit ein undefiniertes Gemisch biologisch aktiver Substanzen in ein definiertes Kulturmedium eingebracht, klärt Prof. Gstraunthaler auf.
Die Gewinnung von fetalem Kälberserum erfolgt in der Regel aus dem Tier und das ist das Tragische: Pro Jahr wird weltweit von Millionen Kälberföten Serum gewonnen, Prof. Gstraunthaler spricht von rund 2 Mio. Rinderföten pro Jahr. Die Tiere sind ein Beiprodukt aus der Massentierhaltung, denn es werden millionenfach trächtige Kühe geschlachtet. Die Kuh wird durch Bolzenschuss betäubt und - oft hängend an einem Bein - durch Entbluten getötet. Wird im Schlachthof-Fließband ein trächtiges Tier vorgefunden, wird dieses separiert, der Uterus mitsamt der noch ungeöffneten Fruchtblase aus dem Knochengerüst des Muttertiers herausgenommen und eine dicke Nadel ohne Betäubung durch die Rippen in das noch schlagende Herz des Kälberfötus gestochen und pro Tier rund ein halber Liter Blut abgezapft. Das ergibt eine Million Liter fetales Kälberserum4.
Vor einigen Jahren haben windige Geschäftemacher die Seren verschiedener Herkunftsländer gepanscht, um ihren Gewinn zu maximieren. Die Verwendung von fetalem Kälberserum birgt eine Reihe von Nachteilen. Seren können toxische Stoffe (z. B. Umweltgifte), bakterielle Toxine (Endotoxine)c und unerwünschte Mikroorganismen wie Bakterien (einschließlich Mykoplasmend), Viren oder Prionene enthalten. Die Serum-vertreibenden Biotechnologiefirmen garantieren, dass die Produkte z.B. ultra- bzw. sterilfiltriert und auf Endotoxine getestet sind. Da Mykoplasmen und Viren jedoch Cellulose- und Polyvinylfilter mit 0,45 Mikrometer Porenweite problemlos passieren können, kann je nach Art der Sterilfiltration eine Kontamination nicht völlig ausgeschlossen werden.
Auch wenn das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik in Halle Hochpräzisions-Filtermembranen aus Aluminiumoxid mit Porendurchmesser von 15 bis 450 Nanometer entwickelt hat, der die kleinsten Virenpartikel noch fernhalten kann, gibt es noch weitere Nachteile. Jahreszeitliche und geographische Schwankungen in der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung treten in einzelnen Serum-Chargen auf. Deshalb muss jede Charge auf ihre wachstumsfördernden Eigenschaften neu getestet werden. Ein zusätzlicher Aufwand, nachdem der Wissenschaftler* bereits das teure Serum gekauft hat.
Der Industrie ist es zudem bisher nicht gelungen, chemisch definierte Nährmedien zu entwickeln, die dem Kälberserum in allen Belangen gleichwertig sind (vor allem, weil man bei weitem noch nicht alle in FBS enthaltenen Inhaltsstoffe kennt). Wissenschaftler schätzen, dass annähernd 1.000 Inhaltsstoffe in den fetalen Kälberseren enthalten sind8. Aktuellere Proteomf- und Metabolomg-Untersuchungen gehen davon aus, dass ungefähr 1.800 verschiedene Proteine und mehr als 4.000 Metabolite im Serum enthalten sind.
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Laborjournal online: Tricks - Verwendung von fötalem Kälberserum
Das schmutzige Geschäft mit dem Blut ungeborener Kälber - Wissen - Süddeutsche.de
https://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/02/18/a0259:
Anscheinend gibt es doch schon Ersatz für das Kälberserum:
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"Serumfreie Medien werden in Deutschland jedoch noch viel zu wenig verwendet", klagt Corina Gericke von Ärzte gegen Tierversuche. Ein Grund dafür ist, dass das Universal-Medium noch erfunden werden muss. "Solange es das nicht gibt, wird sich das serumfreie Arbeiten vor allem in der akademischen Forschung nicht durchsetzen", erklärt Kurt Mack von der schwäbischen Servichem GmbH. "Seit mehr als 40 Jahren wird mit FCS gearbeitet und publiziert. Und wenn eine Methode funktioniert, ist ein Forscher nur schwer davon zu überzeugen, auf eine andere Methode umzuschwenken."
Das bestätigt auch Andrea Seiler von der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (Zebet): "Sogar hier haben die Forscher oft noch mit FCS gearbeitet, bis eine Diplomandin in mühsamer Kleinarbeit die Systeme umstellte." Und obwohl viele das moralische Problem kennen, verliert sich das Wissen um die grausame Gewinnung im Laboralltag. Hier muss ein Forscher lediglich das FCS aus dem Kühlschrank nehmen und zu seinen Zellen in der Plastikflasche pipettieren. "Er hat beim Arbeiten mit Zellkulturen ja nicht ständig das leidende Tier vor Augen", so Seiler.
Dabei läge der Umstieg in seinem eigenen Interesse. Serumfreie Medien sind wesentlich sicherer. "Es gibt keinen Ärger mit Mikroben, die das Serum kontaminieren und unbrauchbar machen", so Fischer. Deshalb forcieren Behörden serumfreies Forschen, das sie als "sauber" ansehen, vor allem in der Humanmedizin. Und es stehen bereits zahlreiche serumfreie Systeme zur Verfügung. Etwa für die Produktion von monoklonalen Antikörpern, die eine Rolle in der Krebsdiagnostik spielen oder teilweise als Arzneimittel zugelassen sind.
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Eigentlich hätte ich erwartet, mindestens eine Petition für die Abschaffung der Verwendung von Kälberseren zu finden. Bis jetzt bin ich nicht fündig geworden.
Grüsse,
Oregano