Borderline, Depressionen usw. - Ich halte mich selber nicht a
Liebe Pumuckel,
Autismus hat viele Gesichter. Es ist nicht so einfach, das in Kurzform zu erklären. Bei meinem Sohn äußert es sich in einer Störung der Kommunikation und Interaktion. Kommunikation insofern, dass er "normal" kaum in der Lage ist, seine Gefühle und seine Erlebnisse mitzuteilen. Seine Gefühle teilt er mit, indem er Texte wiedergibt.
Er kann Zusammenhänge erfassen, aber nicht verarbeiten und wie gesagt, schlecht für andere verständlich, ausdrücken. Erlebnisse, vor allem negative teilt er echolalisch mit, das heißt, er wiederholt das, was zu ihm oder anderen gesagt wurde. Teilweise ahmt er dann den Tonfall nach, oder er spielt es vor...z.B. hat er mir auf diese Weise eine Mißbrauchssituation in einem Kurzzeitpflegeheim mitgeteil. Niemand hat ihm geglaubt, bis durch Zufall herauskam, das dieser Mensch tatsächlich seine ihm anvertrauten behinderten "Gäste" mißbraucht hatte. Er hatte Sequenzen davon selbst gefilmt und Nachbarskindern gezeigt. Es dauerte jedoch ein halbes Jahr, bis die Polizei dann da tätig wurde und die Videos fand...
Außerdem leidet er unter einer Störung der propreozeptiven Wahrnehmung (Tiefenwahrnehmung des eigenen Körpers). Er mag es, feste gedrückt zu werden, wobei er gleichzeitig Körperkontakt nicht immer gerne hat. Manchmal hilft es ihm, wenn er stressige Situation (viele Menschen, Lärm, Trubel) nicht aushalten kann, wenn man seine Hand hält und ein bißchen drückt. Leider wird er oft nicht verstanden. Man muß ihn schon gut kennen und versuchen, sich in ihn einzufühlen.
Er ist ein sonniger, liebenswerter Mensch. Ich sage ihm immer, er ist auf der Welt, um Freude zu erleben und zu geben. Und das kann er auch. Er hat Charme und wenn er lacht, geht die Sonne auf. Und er hat Humor. Das wird den Autisten immer abgesprochen, komisch!
Bäume haben schon etwas Spezielles. Sie leben viel länger, als wir, wenn wir sie nicht abholzen. Sie haben also schon viel erlebt...Wenn man sich auf sie einlässt, spürt man ihre Stärke und den Jahreslauf, sie blühen voller Übermut im Frühling, sind stark im vollen Laub im Sommer, schmücken sich im Herbst, verlieren diesen Schmuck, durchstehen den Winter und finden immer wieder die Kraft, neu auszutreiben und zu blühen. Sie geben Schutz und Mut, wenn man es zulässt.
Ich habe schon lange keinen Baum mehr umarmt. Ich bin nicht dem begegnet, der zu mir spricht. Vielleicht muss ich mal nach Australien, denn Eukalyptusbäume faszinieren mich. Für unsere Breiten sind sie fremd. Ich glaube, sie verlieren ihr Laub nicht. Ich weiß es aber nicht genau. Birken mag ich auch, weil sie so licht sind, aber nicht zum umarmen. Ich schaue sie aber sehr gerne an und freue mich an ihrem besonderen Charme. Eichen sind mir zu kratzig, ihre Rinde ist so rauh, aber ihre imposante Größe, vor allem die alleinstehenden vor Bauerngehöften bringen mich zum Staunen und ich empfinde so etwas wie Ehrfurcht. Buchen sind auch schön, sie haben etwas Stolzes, vor allem jetzt in vollem Blütenschmuck, als hätten sie sich Kerzen aufgesteckt. Und ihre Früchte im Herbst sind lecker. Sie sind so freigiebig damit, sie zu verschenken. Linden kann ich schlecht erkennen, hier bei uns gibt es nur kleine. Ich suche immer eine große Linde, eine die mit einer Bank umkränzt ist.
Liebe Pumuckel, jetzt habe ich soviel über mich geschrieben. Wie geht es Dir denn jetzt? Was machen Deine Depressionen? Kannst Du ein wenig den Frühling und die Sonne genießen?
Ich finde es gut, dass Du jemanden hast, mit dem Du über Deine Kindheitserlebnisse sprechen kannst. Es ist glaube ich, wichtig, sie einmal zu sehen und jemand zu haben, der einem glaubt. Erkenne aber auch, dass Du sehr viel Kraft in Dir hast, denn Du hast sie überlebt! Vielleicht hilft es Dir ein bißchen, auch in Deinem Prozess, den Du jetzt mitmachst, immer wieder an Dich selbst und Deine Möglichkeiten zu glauben. Lass nicht zu, dass die Krankheit Dich frisst, nimm sie an, aber lass Dich nicht von ihr einnehmen. Lass Dir nicht einreden, dass Du die Krankheit bist, Du bist mehr!
Liebe Grüße
Kassandra