Eilmeldung
Hallo Rohi,
diese Gedanken bewegten uns auch vor gut einem Jahr, als wir entscheiden mussten, was nach Waldorf kommt.
Es geht und ging uns nicht darum, ein Kind ohne Rücksicht auf Verluste durch das Gymnasium zu schleifen (wie es leider viele Eltern tun).
Wir wollten das Beste für unseren Sohn und die Suche danach bereitete uns etliche Nächte mit wenig Schlaf und viel Diskussion.
Fakt war: In Waldorf wurde es den Kindern zu langweilig, u.a. da viele der Lehrer nicht in der Lage waren, Unterrichtsstoff interessant aufzubereiten. Dazu muss man wissen: In Waldorf arbeiten die Kinder größtenteils ohne Bücher, d.h. jeder Lehrer kocht sein eigenes Süppchen, und wem keine Kreativität in die Wiege gelegt wurde, der macht den Stoff dann recht phantasielos.
Außerdem war es eine Gesamtschule mit sehr unterschiedlichem Niveau in den Klassen.
Mein Sohn hatte Null Bock mehr auf diese Art des Lernens und wollte da nur noch weg. Ein entsprechend mieses Zeugnis und eine Empfehlung für die Realschule waren das Ergebnis.
Wir hatten die ganze Entwicklung schon länger mit Sorge betrachtet, aber erst sein statement ließ uns dann etwas unternehmen.
Nun ist es bekannt, dass es gerade bei ADSlern wichtig ist, dass ihr Interesse am Unterricht geweckt wird, da sie sonst ganz abschalten und unmotiviert sind.
Wir hatten daher beschlossen, ihn auf eine integrierte Gesamtschule mit ABC-Kursen zu geben. Die waren aber alle überlaufen, wir bekamen keinen Platz, was im Nachhinein auch gut war.
Nun stand noch Gymnasium und Realschule zur Wahl. Ich rief seine alte Lehrerin aus dem Schulkindergarten und seine Kindergärtnerin an und besprach mit beiden die Situation. Hinzu kam ein Legasthenietest samt Intelligenztest.
Alle Befragten waren - wie wir - der Meinung, dass sie ihn auf das Gymn. geben würden, da er intelligent genug sei und er immer noch absteigen könne, falls es nicht klappt.
Wir haben übrigens alles, was wir unternommen haben, mit unserem Jungen besprochen und ihm gesagt, was ihn wo erwartet. Er war stets einverstanden.
Auch in den Legastheniebüchern steht immer wieder, dass die Kinder auf eine Schulform entsprechend ihres IQ geschickt werden sollen, es sei denn, sie seien extrem "hoffnungslose" schwere Fälle. Da gibt es durchaus verschiedene Schweregrade, genau wie bei ADS.
Im ADS-Buch steht, dass ADSler sich hauptsächlich schlecht konzentrieren und organisieren können. Da IQ allein nicht für Schulerfolg reicht, muss das Betreuungsteam (Eltern, Lehrer ...) das Kind so fördern, dass es seine Stärken voll ausspielen kann und seine Ziele erreicht.
Ohne gut zusammenarbeitendes Betreuungsteam schafft es ein ADSler meist trotz hohem IQ nicht.
Diese Kinder müssen es lernen, sich zu organisieren und Arbeiten strukturiert anzugehen. Wenn das Team die oft nur kleinen Fortschritte akzeptiert und nicht thematisiert, und wenn Kind und Team realistische Ziele haben, dann kann das Kind später sein Leben ohne Trainer meistern.
Dafür benötigt es jedoch gutes Selbstbewusstsein Disziplin und eine gute Motivation. Und genau das bekommt das Kind durch einfühlsame Begleitung und Training.
Gerade ADSler sind sehr wohl "Schultypen" und haben oft brilliante Talente auf Schulgebieten. Sie fallen besonders durch schnelles Erfassen logischer Zusammenhänge auf und lösen solche Aufgaben schnell, kreativ und ideenreich.
Ihre Stärke liegt daher meist im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich und ggf. auch im Künstlerischen, also Musik und Zeichnen.
Mein Sohn klagte z.B. im letzten Schuljahr in einem naturwissenschaftlichen Fach zwar über langweiligen Unterricht, bekam aber trotzdem das Wesentliche mit, eben weil ihn dieses Fach interessiert.
Wenn das Betreuungsteam es schafft, den Spass am Stoff und am Lernen zu erhalten und damit eine gute Motivation erreicht, dann funktioniert das Aufpassen auch besser und auch Anstrengendes lässt sich meistern.
Nur so kann das ADS-Kind aus dem Teufelskreis von Verwirrung, Enttäuschung und Ablehnung entkommen.
Stärken müssen entdeckt und gestärkt werden, Schwächen nur so weit minimiert, dass sie dem weiteren Erfolg nicht zu stark im Wege stehen.
Das Gefühl des Ungenügens ist übrigens sehr von der eigenen Bewertung (die vor allem durch die Bewertung der Lehrer und Eltern entsteht) abhängig. Wenn ich einen Legastheniker auf eine Vier bringe in Rechtschreibung, dann ist das ein toller Erfolg. Mehr von ihm zu verlangen, wäre nicht förderlich. Eine Vier reicht doch und er soll sich auf seine Stärken konzentrieren.
Das Kind muss lernen, seine Behinderung zu akzeptieren und sie soweit zu minimieren, dass sie kein Stolperstein mehr ist.
Wenn ich ein ADS-Kind aufrichtig liebe und nicht auf seinen Schwächen herumreite, sondern es einfühlsam fördere, wird es sich selbst, trotz relativ schlechter Rechtschreibnoten, nicht als ungenügend empfinden.
Ich erkläre ihm, dass wir in Ruhe an dem Problem arbeiten und dass wir einfach Geduld haben müssen. Mit der Zeit wird das Kind feststellen, dass es sich auf meine Aussage verlassen kann und auch gelassener werden.
Wenn ich z.B. ein Legastheniekind mit permanenten Sechsen habe, ist es für das Kind hilfreich, ihm zu sagen, dass es sich vor einem Diktat nicht fürchten muss, schlechter als Sechs ginge ja nicht.
Damit nimmt man den Druck heraus und die Wahrscheinlichkeit, dass es besser als Sechs wird, steigt enorm. Bei uns hat das auch geklappt.
Und der freundliche Kommentar der Lehrerin neben der ersten Diktat-Fünf (kleine Fortschritte, weiter so) war dann das i-Tüpfelchen für die weitere Motivation.
Nun mag mancher denken, dass das Kind dann aufhört sich anzustrengen, wenn die Eltern auch mit einer Sechs "zufrieden" sind.
Diese Leute haben das System nicht verstanden und sollten "Das ADS-Buch" dringend lesen

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Gerade ADS-Kinder wollen lernen und leisten und sind dankbar für einfühlsame Unterstützung.
Durch Anerkennung und Erfolg entwickeln sich schnell gute Motivation, positive Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbewusstsein.
Wenn ich ein begabtes Kind wegen ADS und Legasthenie unterfordere und auf eine Realschule schicke, dann erreiche ich das Gegenteil: Geringes Selbstbewusstsein und Frust!
Denn dieses Kind lernt: Ich bin "behindert", deshalb muss ich eine Stufe tiefer als ich eigentlich könnte und ich selbst kann sowieso nichts an meiner Situation ändern, es wird unmündig.
Natürlich ist es für die Betreuer und das Kind anstrengender zum Erfolg zu kommen, als für ein "normales" Kind. Dafür ist der Erfolg und die Steigerung des Selbstbewusstseins aber aber auch umso größer und wichtiger, wenn es gut klappt!!!
Wenn ein Kind spürt, dass es trotz einer Behinderung erfolgreich sein kann, wenn es bestimmte Regeln einhält, mitmacht und den Betreuern vertraut, gibt das enorm Auftrieb und Selbstbewusstsein, auch für spätere Aufgaben, die nach der Schule kommen. Es weiß sich dann allein zu helfen und genau das ist doch das Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe.
Natürlich kommt es auf den Grad der Behinderung an. Wenn der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht und das Kind seine gesamte Freizeit für Üben opfern muss, damit es sich auf der Schule hält, dann ist es in der Tat ratsamer, eine Schulstufe tiefer einzusteigen!
Viele Grüße
Claudia