Hallo Clematis
Doch frage ich mich: Was soll Normalität sein? Wer bestimmt das? Und darf man als Mensch nicht doch bestimmen, was man als Normal für sich selbst empfindet? Auch das kann bei jedem anders liegen, auch ohne, daß die Person auffällig wird oder anderen "ihre" Normalität abspricht. Seine eigene Normalität leben führt oft dazu, daß man schräg angesehen wird. Warum eigentlich?
Klar gibt es eine "subjektive und eine objektive Normalität". Subjektiv bestimmt jede/r selber für sich, was für sie/ihn normal ist. - Aber es gibt auch "objektive Normalität". Sie wird durch die Gausskurve bestimmt, welche sich auch ändert. - Selbstverständlich können auch die statistischen Erhebungen in Frage gestellt werden, inklusive der jeweiligen Fragestellungen.
Trotzdem hältst du dich wahrscheinlich öfters an die Gausskurve als dir lieb ist: Bei anderen "Krankheiten" - resp. Syndromen wird auch eine "Bandbreite" angenommen, nimm ein Beispiel: PAP-Befund am Gebärmutterhals. Je nach Menge der veränderten Zellen ändert sich die Interpretation ab Befund IV wird eine Konisation empfohlen. Es geht auch hier um die "Menge der Abweichung". - Auch hier ist es eine Variante des einzelnen Menschen...
Wie steht es mit Delinquenz? - Jede/r von uns hat sicher einmal etwas gestohlen... Aber irgendwann sprengt es die "Bandbreite" - und von aussen per Gesetz wird etwas unternommen...
Es gibt viele Beispiele...
Bei AD(H) sind es ja nicht Symptome wie "Aufstehen am Morgen", sondern:
1. Unaufmerksamkeit bzw. Schwierigkeiten bei der Konzentration
2. Hyperaktivität
3. Impulsivität
4. Sensibilität / Depression
5. Lernschwächen wie:
Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)
Legasthenie
Leseschwäche
Rechtschreibschwäche
Rechenschwäche
Dyskalkulie
Mit Impulsivität ist bei einem Schüler von mir gemeint, dass er sofort dreinschlagt, wenn ihn jemand (scheinbar) verletzt, dass er Erwachsenen gegenüber sofort verbal äusserst über die Grenzen geht, wenn er etwas tun soll, das er nicht selber bestimmt. (In den 9 Monaten, in denen er jetzt bei uns auf der Sonderschule ist, hat beides extrem abgenommen, kommt kaum mehr vor! - Wir sind uns nahe gekommen, über das Lösen von unzähligen Konflikten, in denen er ernstgenommen wurde.)
Wenn du für die "Wahlfreiheit" beim Aufstehen bist (dafür habe ich überhaupt nichts dagegen. Selber gehöre ich zu den Menschen, die frühestens um halb acht aufstehen sollten, muss aber selber um sechs raus...), wie stellst du dir unser Arbeitsleben vor. - Das, was wir jetzt haben, ist das was wir als menschliche Spezies bis jetzt entwickelt haben: sozial und politisch. Hier stehen wir.
Andere Kulturen gehen ins Bett, wenn es dunkel wird und stehen auf, wenn es hell wird. Im Sommer arbeiten sie länger, im Winter kürzer, (wenn es Jahreszeiten gibt).
Chancengleichheit, ja, nur wie will man das in einem Einheits- bzw. NullAchtFünfzehn-System umsetzen, denn jedes Kind ist anders, hat unterschiedliche Veranlagungen usw., insoweit bleibt das eine Illusion. Ein Lehrer mit 30 Schülern kann nicht alle einzeln fördern.
Es ist sehr einfach sowas zu schreiben. In meiner früheren Arbeit als Schulberaterin habe ich sehr viele, sehr engagierte Lehrpersonen erlebt, die auf individuelle Bedürfnisse der Kinder eingehen - oder sich wenigstens sehr bemühen. Dafür müsste aber die Fähigkeit, sich an Regeln halten zu können vorhanden sein, dann gibt es viele Lernformen und methodisch-didaktischen Möglichkeiten.... -
Ich habe bei uns in den letzten 30 Jahren keine Klassen mit 30 Kindern gesehen. In den Regelklassen der Volksschule sind es 18 - 24, es gibt Teamteaching und die Unterstützung von Schulischen HeilpädagogInnen. - Es gibt Projektunterricht, Lager, freie Arbeit, individuelle Zielvereinbarungen - etc. -
Einige Schulen haben Lager abgeschafft, weil sie die Verantwortung nicht übernehmen können.... / wollen ... -
Wir haben die Schule, die wir haben. Sie entwickelt sich laufend weiter und ist das Beste, was wir in dieser Hinsicht bis jetzt kreiert haben. Klar können wir etwas verbessern.
Doch auch in der Schule reagieren Menschen wie alle Menschen inkl. der Schulkinder: Sie brauchen Wertschätzung für das, was sie tun und für ihre Bemühungen, dann können sie schneller und besser dazulernen...
Und... findest du es wirklich sinnvoll, jedes Kind einzeln zu fördern? Wie stellst du dir das vor?
Keine Lust auf Schule? Da kann man wirklich ändern. Kinder sind neugierig, sie fragen Muttern Löcher in den Bauch, wollen spielerisch lernen, kreativ sein usw. Unser Schulsystem zwingt die Kinder aber in ein Einheitskorsett, das ihnen die Lust auf Neugier, Dazulernen, eigenen Ideen folgen, Eigeninitiative, leicht vermiesen kann.
Auch das klingt sehr einfach... Nochmals, ich kenne viele motivierte Lehrpersonen, die sich bemühen, aber nicht die Ansprüche aller Menschen von aussen erfüllen können... - Sie sind wahrscheinlich mehr im "Korsett" als ihre Schüler.
.... und ... nicht alle Kinder sind neugierig... Viele kommen schon mit Versagergefühlen und Ängsten in die erste Klasse... Viele Lehrpersonen suchen dann den "Fehler" bei sich selber....
Ich habe Schüler in meiner Klasse, die interessieren sich für "Gamen" und "Hängen". - Sie haben ganz tief drin eine riesige Angst vor Herausforderung und Leistung... - Sie fühlen sich hilflos. - Alle haben ein diagnostiziertes AD(H)S...
Manchmal stelle ich mir eine Schule vor, wie sie früher Indianerstämme gehabt hätten: Ganz sicher wollten nicht alle Indianerinnen reiten lernen, aber sie mussten...
Nicht alle Kinder kommen gleich auf die Welt. - Sind wirklich alle neugierig? - Oder ist das auch eine Schubladisierung? - Dann kommen viele in ein Umfeld, das schon als Kleinkind das Lernen behindert oder stört... - Ein Kind lernt ja schon sehr viel bevor es in die Schule kommt.... Lernen findet nur zu einem kleinen Grad in der Schule statt.
Ein Kind lernt immer, leider ist es manchmal zu sehr in "Überlebensstrategien" gefangen, kann gar nicht frei lernen, auch nicht, wenn es in der Schule Raum hätte. -
Früher waren die Mütter an allem schuld, jetzt gibt man/frau gerne den Schulen die Schuld... - Ich möchte das Muster der "Schuldzuweisungen" in Frage stellen. - Wir kreieren uns laufend gemeinsam unsere Welt, also auch "Erziehung und Schule".
Da wäre mal interessant zu erfahren, ob es an Montessori, Waldorf u.ä. Schulen auch so viele ADHS Kinder gibt. Wenn es dort dieses Problem viel weniger oder gar nicht gäbe, käme man einer Lösung wieder ein Stückchen näher.
Meine zwei Pflegekinder waren in der Waldorfschule, beide mit diagnostiertem AD(H)S, beide konnten nicht getragen werden. Der Unterricht war ausschliesslich frontal, nichts von individuellen Zielen... resp. Eigeninitiative. Der Lehrplan ist klar vorgegeben, jedes Kind ist in jedem Jahr in einem Entwicklungsstadium und bekommt die "passenden Lerninhalte"...
Nachher gingen sie in eine andere Privatschule mit viel Möglichkeiten für eigene Interessen. Beim Mädchen war das eine echte Erleichterung, der Junge hatte viel zu wenig Strukturen.
Dann viel Erfolg und Glück dabei, selbst Häuptlingsdame (=individualistisch?
) zu sein!
Anscheinend ist bei dir rübergekommen, dass ich etwas gegen das Leben persönlicher Stärken habe. - Schade! - Nein, ich bin mir nur sicher, dass Kinder auch soziale Fähigkeiten brauchen, wenn ein Unterricht sie echt fördern soll, dass jede Lehrperson an ihre Grenzen kommt, wenn sie all den Vorstellungen, die existieren gerecht werden soll. - Schliesslich ist jede/r selber zur Schule gegangen, viele Jahre und deshalb selber Expert/in. Und dann gibt es viele Bücher und Unterlagen darüber, wie Schule auch sein könnte...
Schule ist nicht mehr so, wie wir sie erlebt haben. Und... Veränderung vollzieht sich meist langsam, manchmal fast unmerklich (schauen wir doch in den Spiegel und vergleichen uns mal mit Fotos aus unserer Kindheit).
Auch Schule ist ein lernendes System und unterwegs und braucht auch aufbauende Rückmeldungen, Ermutigung und Anerkennung für das, was sie leistet - trotz, das gebe ich gerne zu, vieler Schwächen und Fehler.
PS. Sorry, der Beitrag ist viel zu lang....