Bei Angst, Aufregung und Stress lässt der Körper eine Reduzierung der Verdauungsprozesse durch Hemmung der Magen- und Darmtätigkeit, um Energie zu sparen und den Körper kurzfristig ganz auf die Kampf- oder Fluchtreaktion einzustellen (verminderte Beweglichkeit bzw. reduzierte Muskelspannung von Speiseröhre, Magen und Darm, weniger Magensäure, Gefäßverengung).
Zum Ausgleich erfolgt etwas später eine verstärkte Parasympathikus-Aktivität mit Magen- und Darmreaktionen (auch ohne vorherige Nahrungsaufnahme). Während eines Dauerlaufs ist keine Verdauung möglich. Leistungssportler (z.B. Marathonläufer) ergänzen ihren Energiehaushalt durch Flüssigkeitslösungen oder Traubenzucker, nicht jedoch durch feste Nahrung.
Subjektiv äußern sich Angst und Stress oft in funktionellen Oberbauchbeschwerden (Appetitlosigkeit, Unwohlsein, Schlechtwerden, Völlegefühl, Magenschmerzen, Erbrechen, Aufstoßen, Sodbrennen usw.) und funktionellen Unterbauchbeschwerden (Durchfall, Verstopfung, Reizdarm: Wechsel von Durchfall und Verstopfung).
Funktionelle und organisch fundierte Magen- und Darmstörungen gehen zwar mehrheitlich mit einer vagotonen (parasympathischen) Fehlsteuerung einher, können jedoch auch durch eine sympathische Überaktivität mitverursacht sein (neben Anlagefaktoren und Risikoverhaltensweisen).
Bei der Kampf- oder Fluchtreaktion werden Skelettmuskeln, Herz und Gehirn stärker durchblutet als im entspannten Zustand, die Verdauungsorgane dagegen weniger. Die kleinen Arterien in der Magenschleimhaut verengen sich unter dem Einfluss der Stresshormone. Durch die mangelhafte Durchblutung wird auf die Dauer die Schleimhaut geschädigt, so dass die Magenwände selbst bei verminderter Magensäure nicht mehr geschützt sind. Somit sind nicht nur die Schreckhaften, Hilflosen in Gefahr, ein Magengeschwür zu entwickeln, sondern auch Menschen, die ständig "eine Wut im Bauch" haben.
Oft bewährt sich folgende Differenzierung:
Angst, Trauer, Depressionen und stressende Aktivitäten senken die Magensaftproduktion und die Muskeltätigkeit der Verdauungsorgane (deshalb oft Verstopfung oder Unwohlsein).
Unterdrückter Ärger und Zorn sowie ohnmächtig machender Stress dagegen erhöhen die Magensäureproduktion und Muskeltätigkeit der Verdauungsorgane.
Dies ist biologisch-evolutionär sinnvoll (vgl. die Tierwelt):
Bei Angst muss man eher davonlaufen, also braucht die Muskulatur das ganze Blut und nicht der Verdauungstrakt.
Bei Aggressionen muss man sich auf Nahrungsverarbeitung (Fressen) vorbereiten.
Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Anregung der Verdauungsprozesse durch die Aktivierung der Magen- und Darmtätigkeit in Form von Anspannung der Muskulatur, Anregung der Peristaltik (wellenförmige Bewegung von Magen und Darm zum Weitertreiben des Speisebreis), Verstärkung der Drüsentätigkeit (mehr Magensäure) und Gefäßerweiterung. Die parasympathische Überaktivität in Schock- und Schreckreaktionen bewirkt zahlreiche Symptome.
Funktionelle oder organisch fundierte Magen- und Darmstörungen treten häufig auf bei Menschen, die sich ständig hilflos fühlen und chronisch schreckhaft sind, denen die Möglichkeiten fehlen, sich zu wehren, die sich nicht durchsetzen können und daher allem und jedem ausgeliefert erleben. Klinisch ist oft eine Depression oder eine Angststörung vorhanden.
Viele Magen- und Darmstörungen sind funktioneller Natur:
Schluckbeschwerden können auf einer dauerhaften Verspannung der Speiseröhre beruhen, z.B. als Folge von Angst oder Stress. Speiseröhrenverkrampfungen bewirken ein Knödelgefühl (Globusgefühl) im Hals.
Die Gallengänge können sich ebenfalls verkrampfen, so dass es durch die Stauung der Gallenflüssigkeit zu Koliken kommt.
Magenkrämpfe entstehen durch krampfartiges Zusammenziehen der Magenwand als Folge starker nervlicher Erregung (Stress, plötzlicher Zorn oder im Experiment durch elektrische Reizung von Hirnteilen, in denen Gefühle lokalisiert sind). Die Verkrampfung der Magenmuskulatur führt zu Übelkeit oder Erbrechen (etwas ist zum Erbrechen, "zum Kotzen").
Der überhöhte Säuregehalt des Magens bewirkt saures Aufstoßen oder Sodbrennen, besonders bei leerem Magen, aber auch Übelkeit.
Beim Sodbrennen steigt Magensäure in die Speiseröhre. Dies kann die Folge einer zu hohen Säureproduktion und/oder Zeichen eines mangelhaften Verschlusses des Magens nach oben sein. Übersäuerung entsteht, wenn dem Magen durch Hormone und parasympathische Aktivität ständig suggeriert wird, es gäbe etwas zu verdauen, die Säure dann aber nicht durch Nahrung wieder neutralisiert wird.
Magendrücken ist oft die Folge von "Verschlucken" von Luft, die sich im oberen Teil des Magens ansammelt. Im Extremfall kann der Magen nach oben auf das darüberliegende Herz drücken und so "Herzschmerzen" bewirken. Eine falsche Atemtechnik kann die Ursache sein. Eine stärkere Bauchatmung ist hilfreich.
Blähungen (Meteorismus) sind nicht die Folge vermehrter Gasproduktion, was bei der Verdauung völlig normal ist, sondern Folge von Verkrampfungen der Darmwände aufgrund des trägen Transports des Kotes bei falscher Ernährung.
Diffuser Magenschmerz beruht oft auf einer Reizung der Magenschleimhaut durch mangelhafte Durchblutung der Magenwand als Folge sympathischer Übererregung durch Überlastung, Stress und Verspannung (sympathische Überaktivierung);
zuviel Produktion von Säure, die eine durch Mangeldurchblutung geschwächte Magenwand reizt (parasympathische Überaktivierung).
Diese Kombination kann auf einem Hin- und Her-Gerissen-Sein zwischen zwei Haltungen beruhen. Jemand weiß nicht, ob er
"angreifen" soll: Aktivierung des Parasympathikus (Säureproduktion, weil im Rahmen der Evolution zum Angreifen auch "Fressen" gehört) oder
davonlaufen bzw. sich "unterwerfen" soll: Aktivierung des Sympathikus (Mangeldurchblutung als Folge der Blutumverteilung zur Skelettmuskulatur).
Zorn und Wut bewirken eine Rötung der Magenschleimhaut (vermehrte Durchblutung), verstärkte Säureproduktion und starke Magenwandbewegungen. Unterdrückte Wut ("alles in sich hineinfressen") kann bei entsprechender Veranlagung zu Geschwüren führen. Bei ständig erhöhter Säureproduktion entstehen mehr säureproduzierende Zellen. Seelische Verspannung führt auf Dauer zu Blutarmut der Magenwand. Die Fähigkeit der Magenschleimhaut, Schleim zu produzieren, nimmt ab, so dass Magengeschwüre entstehen. Schleim schützt die Magenwand gegenüber der eigenen Säure.
Übermäßige Verkrampfung des Dickdarms kann zweierlei bewirken:
Durchfall: Abgabe von Wasser und infolgedessen eine schnelle wässrige Entleerung des Darms. Wenn die Dickdarmwand zu aktiv ist und der Kot zu schnell weiterbefördert wird, wird dieser nicht eingedickt und bleibt flüssig. Im Rahmen der Evolution ermöglichte die Darmentleerung weniger Gewicht und schnellere Flucht.
Spastische Verstopfung: Spannungsbedingte Behinderung des Transports des Darminhalts, gelegentlich auch Blähungen bei fast leerem Magen, was ebenfalls ein Verstopfungsgefühl bewirkt. Dieses wird begleitet von Völlegefühl, Blähungen, Leibschmerzen und Appetitlosigkeit.
Ein Reizdarm (colon irritabile) ist eine funktionelle Dickdarmstörung mit folgenden Symptomen: unklare Bauchbeschwerden, Wechsel von Durchfall (Diarrhoe) und Verstopfung (Obstipation), oft nur fallweise Verstopfung oder häufige Durchfälle, Neigung zu Blähungen, "Blähbauch" und reichlicher Abgang von Winden. Nach einer deutschen Studie führen Ängste zu einer erhöhten, Depressionen zu einer verminderten Darmmotilität. Die durchschnittliche Passagezeit des Nahrungsbreis im Darm betrug bei Gesunden 42 Stunden, bei Angstpatienten 14 Stunden, bei Depressiven 49 Stunden. Angstpatienten bekommen leicht Durchfall, Depressive leicht Verstopfung.
Bei chronischer vagotoner Fehlsteuerung, d.h. bei ständigen Schreck- und Hilflosigkeitsreaktionen, können in Verbindung mit Anlagefaktoren und Risikoverhaltensweisen bestimmte Geschwüre entstehen (z.B. Magengeschwür, Zwölffingerdarmgeschwür). Vererbung (Neigung zu erhöhter Magensäureproduktion) und Risikoverhaltensweisen (Rauchen, Alkohol, Kaffee, falsche Ernährungsgewohnheiten, zu viele Medikamente u.a.) gelangen oft erst durch chronischen Stress zur vollen Auswirkung.
Dafür gibt es zwei Voraussetzungen:
Schäden (Reizung) an der Schleimhaut des Magens bzw. des Darms,
Verätzungen des darunter liegenden Muskelgewebes durch die Magensäure.
Magen und Darm reagieren mit Überanspannung und erhöhter Säureproduktion. Dadurch werden die Schleimhäute geschädigt. Durch die Verkrampfung der Muskulatur ist die Blutversorgung der Schleimhäute gestört. Schlecht oder gar nicht durchblutetes Gewebe wird geschädigt. Es bekommt zuwenig Sauerstoff, und die Abfallprodukte des Stoffwechsels werden nicht abtransportiert. Das durch die geschädigte, vielleicht abgestorbene Schleimhaut nicht mehr geschützte Muskelgewebe entzündet sich durch die Einwirkung der recht aggressiven Magensäure. Es kann zu Blutungen, aber auch zum Magen- oder Darmdurchbruch kommen. Ständiges Unterdrücken der Entspannungsbedürfnisse des Körpers führt im Ausgleich zu überschießender Parasympathikusaktivität, besonders in der Nacht, wo es nichts mehr zu verdauen gibt.
Autor: Dr.Hans Morschitzky