Hermann Hesse

An die Melancholie

Zum Wein, zu Freunden bin ich dir entflohn,
Da mir vor deinem dunklen Auge graute,
In Liebesarmen und beim Klang der Laute
Vergaß ich dich, dein ungetreuer Sohn.

Du aber gingest mir verschwiegen nach
Und warst im Wein, den ich verzweifelt zechte,
Warst in der Schwüle meiner Liebesnächte
Und warest noch im Hohn, den ich dir sprach.

Nun kühlst du die erschöpften Glieder mir
Und hast mein Haupt in deinen Schoß genommen,
Da ich von meinen Fahrten heimgekommen:
Denn all mein Irren war ein Weg zu dir.
 
Der Maler malt eine Fabrik im Tal

Du auch bist schön, Fabrik im grünen Tal,
Ob auch verhaßter Dinge Sinnbild und Heimat:
Jagd nach Geld, Sklaverei, düstre Gefangenschaft
Du auch bist schön! Oft erfreut
Deiner Dächer zärtliches Rot mir das Auge
Und dein Mast, deine Fahne: das stolze Kamin!
Sei gegrüßt auch du und geliebt,
Holdes verschossenes Blau an ärmlichen Häusern,
Wo es nach Seife, nach Bier und nach Kindern riecht!
In der Wiesen Grün, in das Violett der Äcker
Spielt das Häusergeschachtel und Dächerrot
Freudig hinein, freudig und doch auch zart,
Bläsermusik, Oboe und Flöte verwandt.
Lachend tauch ich den Pinsel in Lack und Zinnober.
Wische über die Felder mit staubigem Grün,
Aber schöner als alles leuchtet das rote Kamin,
Senkrecht in diese törichte Welt gestellt,
Ungeheuer stolz, ebenso schön wie lächerlich,
Zeiger an eines Riesen kindlicher Sonnenuhr.
 
Meinem Bruder
Wenn wir jetzt die Heimat wieder sehen,
Gehen wir bezaubert durch die Stuben,
Bleiben lang im alten Garten stehen,
Wo wir einst gespielt als wilde Buben.

Und von jenen Herrlichkeiten allen,
Die wir draußen in der Welt erbeutet,
Will uns keine freun mehr und gefallen,
Wenn daheim die Kirchenglocke läutet.

Stille gehen wir die alten Wege
Durch das grüne Land der Kindertage,
Und sie werden uns im Herzen rege,
Fremd und groß wie eine schöne Sage.

Ach, und alles, was auf uns mag warten,
Wird den einen Glanz doch nicht mehr haben
Wie vor Zeiten, da wir noch als Knaben
Falter fingen, jeder Tag im Garten.
 
Häuser, Felder, Gartenzaun

Liebe Häuser, lieber Gartenzaun,
Weiher, Feld und Wiese, Straßenschlange,
Gelber Hügel, Äcker rot und braun,
Fett erblühte Telegraphenstange,
Müßt auch ihr, ihr alle, einst vergehn,
Sterben, modern, faulen, schwinden,
Hingemäht, verblasen von den Winden,
Und die gute Sonne nimmer sehn?
Baum, du Freund, wirst denn auch du zu Staub,
Fensterladen grün und rote Dächer?
O so rauscht doch heut noch Halm und Laub,
Glüht noch heut der volle Liebesbecher!
Trinken will ich euch, geht in mich ein,
Gras und See und Palme will ich sein!
Warum bin ich so von euch geschieden?
Lügt ihr? Seid ihr selig? Habt ihr Frieden?
Bin nur ich allein vom Brand verzehrt,
Der so süß und heiß und schmerzend loht,
Der mir Taumel gibt und Frieden wehrt,
Leide ich allein an Zeit, an Angst, an Tod?!
O ihr schweigt, ihr mahnt mich ohne Wort:
Leide, male, dichte, lebe fort!
Trinke uns und laß uns trinken dich,
Ehe dir und uns der Tag verblich!
 
"Sie haben eine Krankheit, die leider Mode ist und der man jeden Tag bei intelligenteren Menschen begegnet. Die Ärzte wissen natürlich nichts davon. Es ist mit moral insanity verwandt und könnte auch Individualismus oder eingebildete Einsamkeit genannt werden. Die modernen Bücher sind voll davon. Es hat sich bei Ihnen die Einbildung eingeschlichen, Sie seien vereinsamt, kein Mensch gehe Sie etwas an und kein Mensch verstehe Sie. Ist es nicht so?"

"Ungefähr, ja", gab ich verwundert zurück.

"Sehen Sie. Für den, der die Krankheit einmal hat, genügen ein paar Enttäuschungen, um ihn glauben zu machen, es gebe zwischen ihm und anderen Menschen überhaupt keine Beziehungen, höchstens Mißverständnisse, und es wandle eigentlich jeder Mensch in absoluter Einsamkeit, könne sich den anderen nie recht verständlich machen und nichts mit ihnen teilen und gemeinsam haben. Es kommt auch vor, daß solche Kranke hochmütig werden und alle anderen Gesunden, die einander noch verstehen und lieben können, für Herdenvieh halten. Wenn diese Krankheit allgemein würde, müßte die Menschheit aussterben. Aber sie ist nur in Mitteleuropa und nur in den höheren Ständen zu treffen. Bei jungen Leuten ist sie heilbar, sie gehört sogar schon zu den unumgänglichen Entwicklungskrankheiten der Jugend. "
- Hermann Hesse, Gertrud
Worte-Projekt: Zitate von Hermann Hesse
 
Zu spät

Da ich in Jugendnot und Scham
Zu dir mit leiser Bitte kam,
Hast du gelacht
Und hast aus meiner Liebe
Ein Spiel gemacht.

Nun bist du müd und spielst nicht mehr,
Mit dunklen Augen blickst du her
Aus deiner Not,
Und willst die Liebe haben,
Die ich dir damals bot.

Ach, die ist lang verglommen
Und kann nicht wiederkommen -
Einst war sie dein!
Nun kennt sie keine Namen mehr
Und will alleine sein.
 
Auch hier gibt es Bücher von Hermann Hesse:
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Vielleicht hier? ;) :D :
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Grüsse,
Uta
 
Guten Morgen, Kathy :) :wave: .

Es war nicht der Champagner, aber ich finde diese Schriftzeichen so hübsch.

Gruss,
Uta
 
Belehrung

Mehr oder weniger, mein lieber Knabe,
Sind schließlich alle Menschenworte Schwindel,
Verhältnismäßig sind wir in der Windel
Am ehrlichsten, und später dann im Grabe.

Dann legen wir uns zu den Vätern nieder,
Sind endlich weise und voll kühler Klarheit,
Mit blanken Knochen klappern wir die Wahrheit,
Und mancher lög und lebte lieber wieder.

 
Sommers Ende

.... Manche gute Dinge stehen uns noch bevor, ehe es wieder in den Winter hineingeht. Die bläulichen Trauben werden weich und süß werden, die jungen Burschen werden bei der Ernte singen, und die jungen Mädchen in ihren farbigen Kopftüchern werden wie schöne Feldblumen im vergilbenden Reblaub stehen. Manche gute Dinge stehen uns noch bevor, und manches, was uns heute noch bitter scheint, wird uns einst süß munden, wenn wir erst die Kunst des Sterbens besser werden gelernt haben. Einstweilen warten wir noch auf das Reifwerden der Trauben, auf das Fallen der Kastanien, und hoffen, den nächsten Vollmond noch zu genießen, und werden zwar zusehends alt, sehen aber den Tod noch recht weit in der Ferne stehen. Wie ein Dichter gesagt hat:
Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot,
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute!
1926
Hermann Hesse, Tessin
 
Lulu

Flüchtig wie auf hohen Matten
Einer Wolke scheuer Schatten
Rührte mich mit leisem Wehe
Deiner Schönheit stille Nähe.

Zwischen Traum und Traum zuweilen
Will das Leben mich ereilen,
Glänzt so gold und lockt so heiter,
Und erlischt - ich träume weiter.

Träume von den Augenblicken
Des Erwachens - von Geschicken,
Deren Schatten ob mir liefen,
Während meine Augen schliefen.
 
Oktober 1944

Leidenschaftlich strömt der Regen,
Schluchzend wirft er sich ins Land,
Bäche gurgeln in den Wegen
Überfülltem See entgegen,
Der noch jüngst so gläsern stand.

Daß wir einmal fröhlich waren
Und die Welt uns selig schien,
War ein Traum. In grauen Haaren
Stehn wir herbstlich und erfahren,
Leiden Krieg und hassen ihn.

Kahlgefegt und ohne Flitter
Liegt die Welt, die einst gelacht;
Durch entlaubter Äste Gitter
Blickt der Winter todesbitter,
Und es greift nach uns die Nacht.

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Verfrühter Herbst


Schon riecht es scharf nach angewelkten Blättern
Kornfelder stehen leer und ohne Blick;
Wir wissen: eines von den nächsten Wettern
Bricht unserm müden Sommer das Genick.

Die Ginsterschoten knistern. Plötzlich wird
Uns all das fern und sagenhaft erscheinen,
Was heut wir in der Hand zu halten meinen,
Und jede Blume wunderbar verirrt.

Bang wächst ein Wunsch in der erschreckten Seele:
Daß sie nicht allzu sehr am Dasein klebe,
Daß sie das Welken wie ein Baum erlebe,
Daß Fest und Farbe ihrem Herbst nicht fehle.

 
September

Der Garten trauert,
Kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert
Still seinem Ende entgegen.

Golden tropft Blatt um Blatt
Nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt
In den sterbenden Gartenraum.

Lange noch bei den Rosen
Bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die (großen)
Müdgewordnen Augen zu.

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Ausklang

Wolkenflug und herber Wind
Kühlt mich, der ich krank gewesen.
Träumend wie ein stilles Kind
Ruh ich aus und bin genesen.

Nur ein Klang in tiefer Brust
Ist von meinem armen Lieben,
Dämpfend alle laute Lust,
Leis und trauernd überblieben.

Diesen namenlosen Klang,
Während Wind und Tannen rauschen,
Kann ich Stunden, Tage lang
Schweigend hingegeben lauschen.

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Wenn ich jetzt so nach draußen schaue, passt auch dieses Gedicht noch:
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Höhe des Sommers

Das Blau der Ferne klärt sich schon

vergeistigt und gelichtet

zu jenem süßem Zauberton,

den nur September dichtet.



Der reife Sommer über Nacht

will sich zum Feste färben,

da alles in Vollendung lacht

und willig ist zu sterben.



Entreiß dich, Seele, nun der Zeit,

entreiß dich deinen Sorgen

und mache dich zum Flug bereit

in den ersehnen Morgen

Hermann Hesse (1877 - 1962)

www.hermann-hesse-sekundaerschrifttum.de/019f5f972e0a42902/index.html (Bild)
 
Morgenstunde

Grau und blau getürmtes Schattenland
Ruht mit zackigem Gebirgesrand
Dunkelhart vor lichtem Himmelsgrün,
Ruht so ernst, so würdig, ruht so kühn
Wie ein Krieger nach bestandener Schlacht.
Wald und Schluchten hangen tief voll Nacht,
Schläfrig dämmern Dörfer, niedrig, mager,
Schafen gleich auf harter Heide Lager,
Tausendjährig, greis, doch kinderjung
In des alten Bergs Erinnerung,
Der sie gestern erst erbaun gesehen,
Der sie sinken sehn wird und vergehen,
Er, den einst das wilde Erdenweib
Glühend stieß aus schmerzgekrümmtem Leib,
Ehe Wälder, Schluchten, Dörfer waren.
Alles weiß er, der so viel erfahren,
Listig blinzelt er aus scharfer Scharte,
Daß Vergehn und Tod auch ihn erwarte,
Das zu spüren noch nicht steif und kalt genug,
Das zu denken noch nicht reif und alt genug.
Gähnend reckt er sich dem Licht entgegen,
Das den Himmel satt und satter tränkt,
Tief in seinen Schattenklüften regen
Sich die Wasser, die er seewärts lenkt.
Gipfel trägt und Grat er schneebedeckt,
Doch von Felsenstürzen grau gefleckt,
Sie erwarten schweigend und getrosten
Mutes ihren Morgenruf aus Osten.
Und der Ruf erdröhnt: lautlos, nur Licht!
Auf der höchsten Firnenkante bricht
Feuerfarbene Glut aus wie von innen,
Es erglühn, erstrahlen alle Zinnen
Rot und golden, königlich entfacht.
Aufhorcht froh erschrocken und erwacht
Berg und Tal und See. Der Traum zerrinnt,
Der sie niederhielt. Der Tag beginnt.
 
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